Selbstbestimmungsgesetz
w/m/d – aber es bleibt kompliziert
Seit einem Jahr ist es viel leichter, Geschlechtseintrag und Vorname zu ändern. Tausende haben das seither getan. Warum wird trotzdem weiter über das Thema gestritten?
 
          © epd, KI/Midjourney/Ruckaberle
Selbstbestimmung schließt seit 2024 auch die weitgehend freie Wahl von Vorname und Geschlecht ein.
Von Joel Lev-Tov
Vor einem Jahr ersetzte das Selbstbestimmungesetz das mehr als 40 Jahre alte Transsexuellengesetz. Seither ist es viel leichter, den Geschlechtseintrag oder Vornamen zu ändern. Wie wird das Gesetz angenommen? Warum gibt es bis heute Kritik daran? Und wie empfinden das Betroffene? Dieser Beitrag beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum gibt es das Gesetz überhaupt?
Das Transsexuellengesetz von 1981 galt als überholt – unter anderem, weil das Bundesverfassungsgericht es in sechs Urteilen teilweise gekippt hat. Unter dem ursprünglichen Gesetz konnte der Geschlechtseintrag frühestens mit 25 Jahren geändert werden; Betroffene mussten sich unter anderem einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, sich sterilisieren und scheiden lassen. Zudem brauchten sie Gutachten von spezialisierten Ärzten. Am Ende entschied das Amtsgericht.
Ein Gutachten im Auftrag des Bundesfamilienministeriums kam zum Schluss, dass dieses Prozedere oftmals als „entwürdigend“ wahrgenommen wurde. Teuer war das Verfahren auch, der Bundesverband Trans* spricht von Kosten in Höhe von mindestens 2000 Euro. Wer das nicht zahlen konnte, erhielt Hilfe vom Staat.
Das Selbstbestimmungsgesetz spart dem Staat laut Gesetzentwurf pro Jahr 5,6 Millionen Euro. Vor allem ist es eine Erleichterung für Betroffene. Zwar diskutierte die rot-grüne Bundesregierung schon 2001 über eine Novelle des Gesetzes. Doch erst die Ampelregierung verabschiedete 2024 das neue Selbstbestimmungsgesetz.
Wie ändern Betroffene jetzt Vorname oder Geschlecht?
Betroffene können beim zuständigen Standesamt per Antrag ihren Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern. Wird der Antrag nach drei Monaten bekräftigt, ist die Änderung gültig.
Wie viele Menschen haben das neue Gesetz genutzt?
Nach Inkrafttreten gab es im November 2024 einen Ansturm mit rund 7.000 Anträgen bundesweit. Davor waren es im Schnitt 50 Anträge pro Monat. Seither ließ die Nachfrage nach, im Juli 2025 zählte das Statistische Bundesamt rund 1200 Anträge. Zahlen aus Karlsruhe, Pforzheim, Heidelberg und Heilbronn zeigen, dass die Werte im dritten Quartal weiter rückläufig waren.
In Relation zur Bevölkerung wurde das neue Gesetz in Sachsen, Bremen und Berlin am stärksten genutzt mit rund 20 Anträgen je 100.000 Einwohner. In Baden-Württemberg ist der Anteil weniger als halb so hoch, der niedrigste Wert bundesweit.
Transfrauen stellen gut ein Drittel der Anträge, fast die Hälfte kommt von Transmännern – also Menschen, die als Frau geboren wurden, sich aber wie ein Mann fühlen. Gut ein Fünftel der Antragstellenden, also zwischen 250 und 400 Menschen pro Monat, möchte den Geschlechtseintrag auf „divers“ ändern.
Warum ist das Gesetz weiter umstritten?
Bedenken gibt es zur Frage, ob ein geänderter Vorname oder Geschlechtseintrag etwa Kriminellen helfen könnte, unterzutauchen. Die Debatte darüber entzündete sich am Fall der Rechtsextremistin Svenja Liebich. Sie ließ ihren Geschlechtseintrag auf weiblich ändern, bevor sie verschwand.
Die Polizei wird über einen geänderten Namenseintrag nicht informiert. Das sei ein „Riesenproblem“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Heiko Teggatz, vergangenes Jahr zum Sender „Servus TV“. Die Polizei müsse Personen bei einer Kontrolle identifizieren können, unabhängig von einem zwischenzeitlich geänderten Geschlecht oder Vornamen. Jochen Kopelke von der Gewerkschaft der Polizei widerspricht: „Von Machtlosigkeit kann nicht die Rede sein“. Polizisten fragten in der Regel Nachname und Geburtsdatum ab, nicht Vorname und Geschlecht. Auch habe die Polizei Zugriff auf Datenbanken, in denen ehemalige Namens- oder Geschlechtseinträge enthalten sind – so wie auch ein bei der Heirat geänderter Familienname.
Warum wird immer noch über Geschlechtseinträge diskutiert?
Im Juli hat das Bundesinnenministerium einen Entwurf zum Umgang mit geänderten Geschlechts- und Namenseinträgen veröffentlicht. Demnach sollen Behörden viel mehr Informationen über Transmenschen austauschen können als bisher. Selbst dreißig Jahre nach einer Änderung hätte eine Meldebehörde beim Umzug erfahren, dass eine Person trans* ist, schreibt Nick Markwald im juristischen Onlineportal „Verfassungsblog“. Auch könnten Beamte nach dem ehemaligen Geschlecht suchen.
Der Entwurf wurde am 17. Oktober kurzfristig von der Tagesordnung des Bundesrats gestrichen. Es gebe seitens der Länder noch Gesprächsbedarf, sagte das Ministerium zum Portal „nd“. Gegenüber unserer Redaktion erklärte das Ministerium, der Entwurf habe „keinen Bezug zu polizeilichen Daten“ oder dem Datenaustausch mit der Polizei. Ob die Polizei jemanden mit geändertem Geschlecht oder Vornamen findet, hänge von der Suchanfrage ab.
Das räumt auf Nachfrage auch Rainer Wendt ein, der Bundesvorsitzende der konservativen Deutschen Polizeigewerkschaft: Im sei kein konkreter Fall bekannt, bei dem die Polizei eine gesuchte Person infolge einer Geschlechtsänderung nicht gefunden hätte: „Wir haben als Polizei ganz andere Probleme“, so Wendt. Es gebe viel einfachere Wege, unterzutauchen, hatte er 2024 im „MDR“ erklärt.
Auch das Selbstbestimmungsgesetz selbst wird bis Juli 2026 überprüft, so steht es im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union. Dabei sollte die Sicht der Betroffenen wichtiger sein als theoretische Missbrauchsängste, sagt Gabriel Nox Koenig vom Bundesverband Trans*.
Was sagen Betroffene?
Laut Koenig ist das Gesetz ein wichtiger Schritt nach vorne. Jedoch können Geschlecht und Vorname nach erfolgter Änderung ein Jahr lang nicht mehr erneut geändert werden – auch wenn jemand die Änderung bereut. Kritisch sieht Koenig die Regelung zum Hausrecht, etwa den Zugang von Transfrauen zur Frauensauna. In diesem Fall entscheide der Saunabetreiber.
Transmenschen, die nur den Vornamen ändern lassen wollen, haben es unter dem neuen Gesetz sogar schwerer – weil Vorname und Geschlecht nur noch gemeinsam geändert werden dürfen. Das sei schlecht für nicht-binäre Personen, die beispielsweise aus Angst vor Diskriminierung durch den Geschlechtseintrag „divers“ nur einen anderen, eben geschlechtsneutralen Namen anstreben, so Koenig.
Auch die vom Innenministerium vorgeschlagenen Regeln zum Umgang mit Meldedaten wecken Befürchtungen. So könne eine Liste von Transmenschen erstellt werden, die etwa einer transfeindlichen Regierung als Grundlage für Diskriminierung dienen könnte.
Was ist mit geschlechtsangleichenden Operationen?
Hier gibt es durch das Selbstbestimmungsgesetz keine Änderungen. Der Weg zu einer solchen Operation bleibt lang und komplex. 2023 entschied das Bundessozialgericht gar, dass geschlechtsangleichende Operationen keine Kassenleistung sind. Damals ging es um eine nicht-binäre Person, die ihre Brüste entfernen lassen wollte. Das Gericht urteilte, es gebe kein typisches Erscheinungsbild für nicht-binäre Personen.
Aus Branchenkreisen heißt es, dass viele Krankenkassen die Kosten entsprechender Operationen zumindest für Transmänner und -frauen übernehmen. Einen verbindlichen Anspruch darauf kann aber nur der Gemeinsamen Bundesausschuss regeln, in dem Ärzte, Kassen und Patientenverbände sitzen. Solch eine Regelung fehlt aber bislang.
Chronik der Gesetze für Trans-Menschen
TranssexuellengesetzDas Gesetz wurde 1980 verabschiedet und trat 1981 in Kraft. Es setzte hohe Hürden für eine Änderung des Geschlechtseintrags, unter anderem die Scheidung und Sterilisierung.
UrteileDas Bundesverfassungsgericht entschied 1982 und 1993 in zwei Urteilen, dass die Altersuntergrenze von 25 Jahren verfassungswidrig ist. 2008 wurde die Zwangsscheidung für verfassungswidrig erklärt, seit 2011 mussten sich Transmenschen nicht mehr sterilisieren oder umoperieren lassen. 2018 wurde infolge eines Urteils ein Verfahren für intergeschlechtliche Menschen geschaffen, die sich physisch weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zuschreiben lassen. 2020 öffnete das Gericht das Transsexuellengesetz für alle nicht-binäre Menschen, die sich weder männlich noch weiblich fühlen.
Namensänderung Den Vornamen und die Anrede konnten Betroffene unter dem alten Gesetz im Zuge der „kleinen Lösung“ relativ leicht ändern, hierfür benötigten sie zwei ärztliche Gutachten und mussten sich drei Jahre dem gewünschten Geschlecht zugehörig fühlen. Für eine Änderung des Geschlechtseintrags waren zusätzlich Sterilisation, Scheidung und eine geschlechtsangleichende Operation notwendig. Seit 2011 waren infolge der Gerichtsurteile die Voraussetzungen dieselben wie für eine Namensänderung.

 
             
            