„Zeit für uns und unser Kind“

Tatjana und Patrick Kircher nutzen die Elternzeit intensiv – Die Backnanger sind für drei Monate mit Kleinkind auf Achse

Der kleine Leo war ein knappes halbes Jahr alt, als seine Eltern Tatjana und Patrick Kircher aus Backnang mit ihm in einem VW-Campingbus aufbrachen. Immer Richtung Südwesten, das war der vage Plan: Französische Atlantikküste, Spanien, Portugal. Die beiden wollten sich ganz bewusst Zeit nehmen für ihr Kind und nahmen Elternzeit.

Tatjana und Leo vor ihrem mobilen Zuhause auf einem Campingplatz im Süden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben sie gelernt, auch auf kleinstem Raum zu dritt auszukommen. Fotos: privat

Tatjana und Leo vor ihrem mobilen Zuhause auf einem Campingplatz im Süden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben sie gelernt, auch auf kleinstem Raum zu dritt auszukommen. Fotos: privat

Von Renate Schweizer

BACKNANG. „Da kommt ein Kind auf die Welt“, erzählt Patrick Kircher, „und ändert alles. Es ist toll, klar, aber du arbeitest 40 Stunden die Woche, ansonsten willst du dir viel Zeit fürs Kind nehmen – und irgendwann merkst du, dass du selbst ja auch noch Bedürfnisse hast: Sport machen, Zeit mit Freunden verbringen, unterwegs sein, die Partnerschaft – alles Fehlanzeige. Und meiner Frau ging’s genauso.“

Wer Kinder hat, kennt das, es scheint ein Naturgesetz zu sein: Der unvermeidliche Preis fürs Kinderkriegen. Stimmt das noch? Patrick schüttelt den Kopf. „Wir fingen an uns zu fragen, wie wir überhaupt leben wollen? Welche Welt wir unserem Kind zeigen wollen?“ Ein minutiös durchgetaktetes Leben zwischen professioneller Betreuung und ständig erschöpften Eltern, wo sich alles – oder jedenfalls sehr vieles – ums Geldverdienen dreht? War das alles, was man sich wünschen konnte? Nicht für Patrick und Tatjana Kircher. „Wir haben nicht im Lotto gewonnen. Wir sind keine Großverdiener. Wir haben Normaljobs. Aber wir hatten Geld gespart. Und wir beschlossen, es für etwas auszugeben, was uns wichtiger schien als alles andere: Zeit für uns und unser Kind.“

„Die ersten zwei Wochen waren schlimm und so richtig nervig“

Die beiden kauften einen 26 Jahre alten VW-Bus mit Aufstelldach in Karibikgrün. „Schreiben Sie unbedingt ‚karibikgrün‘ – so heißt die Farbe laut Hersteller. Sonst denken alle, der Bus wäre hellblau.“ Beide lächeln, wenn sie von ihrem rollenden Zuhause auf Zeit erzählen, das sie inzwischen wieder weiterverkauft haben. Patrick nahm Elternzeit, Tatjana war ohnehin noch im Mütter-„Urlaub“. „Man braucht eine Menge Zeug, wenn man mit Baby unterwegs ist: Kocher zum Breimachen, Windeln, Maxicosi, Kinderwagen, Wickelfläche – und schlafen wollten wir alle drei ja auch noch im Bus.“

Irgendwie kriegten sie alles unter und ab ging’s. Bis Vaihingen schafften sie’s, dann brüllte Leo so fürchterlich, dass sie den ersten Stopp einlegen mussten. „Überhaupt waren die ersten zwei Wochen schlimm“, erzählt Patrick und da fällt ihm auch schon Tatjana ins Wort: „Die Hölle war das! So richtig nervig!“ Liebevoll zwinkert sie ihrem Mann zu. „Es lag vor allem an ihm. Er braucht Ordnung. Jedes Ding an seinem Platz. Immer am gleichen. Und das auf ungefähr drei Quadratmetern.“ Beide grinsen. „Okay, es stimmt“, räumt der studierte Wirtschaftsingenieur ein, „ich standardisiere gerne. Und ich finde immer noch, dass das Sinn macht. Wenn du nachts im Dunkeln mal wickeln musst, dann ist es gut, wenn du die Windeln findest. Oder wenigstens die Taschenlampe.“ Nach den ersten zwei Wochen hatten sie’s raus, alle drei: Leo hatte gelernt, im fahrenden Auto zu schlafen. Und die Eltern hatten gelernt, das Leben im Bus zu genießen. „Leben im Bus – das heißt ja eigentlich: Leben im Freien. Man ist draußen von morgens bis abends, das ist ein ganz anderes Lebensgefühl.“ Wenn es regnet, ist es natürlich schwieriger. „In Nordspanien hatten wir eine Regenwoche. Da haben wir gelernt, Museen zu lieben: Es gibt immer viel Platz, es ist ziemlich sauber, es gibt ordentliche Toiletten, oft gibt’s ein Café – und es gibt Kunst zum Gucken. Was brauchst du mehr? Und Leo – Leo braucht uns. So einfach ist das.“

Mit der Zeit spielten sich drei verschiedene Tagesabläufe ein: Fahrtage, Ausflugstage und Chilltage. Die jungen Eltern berichten: „Fahrtage sahen so aus: frühstücken, Brei kochen, abbauen, aufbrechen und dann zwei bis drei Stunden fahren. Eigentlich nie mehr als 300 Kilometer. Und Ausflugstage: frühstücken, Brei kochen, aufbrechen und dann Sehenswürdigkeiten gucken. Oder auf den Markt gehen.“ Und dann gab es noch Chilltage: frühstücken, Brei kochen, nix machen. Am Strand spazieren laufen. Krabbeln lernen (Leo). Federball spielen (die Eltern). Abwechselnd joggen gehen. Wochenlang zockelten sie so durch Frankreich, das sie eigentlich nur schnell hatten durchqueren wollen, weil man ja anders nicht mit dem Bus nach Spanien kam. Aber fürs Schnell-Weiter war Frankreich einfach zu schön.

2017 war das. 2018 sind sie noch einmal für drei Monate aufgebrochen, nach Italien diesmal, ganz runter den Stiefel. Jetzt ist Januar 2020. Wir sitzen in Backnang um den gemütlichen Esstisch der Familie und gucken Bilder. Nebenan schläft Leo und sein kleiner Bruder, der vor drei Monaten geboren wurde. „Und“, fragt die Reporterin, „der Bus ist verkauft. Mit zwei Kindern ist es zu kompliziert, oder?“ Beide Eltern antworten gleichzeitig wie aus der Pistole geschossen: „Aber nein: Natürlich fahren wir! Wir brauchen bloß ein größeres Fahrzeug. Im Sommer geht’s los und diesmal nach Griechenland.“

Vater und Sohn. Beide genießen die Weite des Meeres und die viele Zeit, die ihnen geschenkt ist.

Vater und Sohn. Beide genießen die Weite des Meeres und die viele Zeit, die ihnen geschenkt ist.

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Erstellt:
3. Februar 2020, 11:30 Uhr

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