Die Ausweichroute an die Spitze wird von Jahr zu Jahr felsiger

Serie Talente suchen, finden, fördern (Folge 8) Sowohl Julian Schieber wie auch Keven Schlotterbeck haben es zum Bundesliga-Fußballer gebracht, obwohl sie nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet wurden. Beide sind sich einig, dass das auch heute noch geht, aber immer schwerer wird.

Julian Schieber begann beim SV Unterweissach mit der Kickerei und trug später in der Ersten Bundesliga unter anderem das Trikot eines Topklubs wie Borussia Dortmund. Fotos: Imago

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Julian Schieber begann beim SV Unterweissach mit der Kickerei und trug später in der Ersten Bundesliga unter anderem das Trikot eines Topklubs wie Borussia Dortmund. Fotos: Imago

Von Uwe Flegel

„Möglich ist es sicherlich immer noch, aber es ist auf jeden Fall schwieriger geworden.“ Julian Schieber und Keven Schlotterbeck sind sich einig. Der Weg, auf dem sie es in die Bundesliga geschafft haben, wird von Jahr zu Jahr steiler. Für gänzlich unmöglich hält es aber weder der 33-jährige Co-Trainer des Oberliga-Vierten TSG Backnang noch der 24-jährige Defensivmann des DFB-Pokal-Halbfinalisten SC Freiburg, dass es im Fußball eine Karriere gibt, ohne zuvor an einem Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet worden zu sein.

Etwas mehr als acht Jahre trennen den beim SV Unterweissach groß gewordenen Julian Schieber und den aus Weinstadt stammenden Keven Schlotterbeck. Was sie eint, das ist, dass sie von der TSG Backnang aus den großen Schritt wagten, um aus dem Hobby Fußball einen Beruf zu machen. Für den Angreifer aus dem Täle war die Oberliga-B-Jugend des Etzwiesenklubs eine einjährige Zwischenstation auf dem Weg in die A-Jugend des VfB Stuttgart. Für den Innenverteidiger aus dem Remstal war der Verein aus dem Murrtal der Ort, an dem er sich inklusive des einjährigen Gastspiels beim VfL Kirchheim vier Jahre lang in Ruhe so weit entwickeln konnte, dass der Sportclub aus dem Breisgau auf ihn aufmerksam wurde.

Keine Ausnahmetalente, sondern eher sogenannte Spätentwickler

„Ich war sicher kein Ausnahmetalent“, sagt Keven Schlotterbeck und liefert damit eine Erklärung dafür, weshalb ihn die Scouts der großen Nachwuchsleistungszentren (NLZ) übersahen. Der 1,89 Meter große Abwehrmann der Südbadener, der vergangenen Sommer bei den Olympischen Spielen in Tokio für Deutschland am Ball war, zählt zu denen, die Schieber als „Spätentwickler“ bezeichnet, „die es immer geben wird“.

Wobei diese Bezeichnung für den einstigen SVU-Jugendspieler ebenfalls gelten könnte. Bis zur B-Jugend spielte der Angreifer in Weissach an der Seite seiner Kumpels. „Fußballprofi war nie mein großer Traum“, hat er stets bekannt und betont. Geworden ist er es trotzdem. Auch weil in kleinen Vereinen ebenfalls gut gearbeitet wird und weil es im Sport eben mehr braucht als nur Talent. Ehrgeiz und den Willen, sich durchsetzen zu wollen, obwohl’s vielleicht nicht auf dem schnellen Weg an die Spitze geht, gehören ebenso dazu wie der Faktor Glück. Das wissen beide. „Du brauchst den einen oder auch die zwei, drei Trainer, die dich fördern“, sagt Schieber und Schlotterbeck erklärt: „Das ist vor allem dann wichtig, wenn du bei großen Klubs nicht auf dem Radar bist.“ Dann braucht es einen Coach, Teammanager oder auch Berater, der sieht, was andere zuvor nicht erkannt haben.

So wie beim derzeitigen Co-Trainer der Etzwiesenelf, der parallel zu seiner ersten VfB-Zeit eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau machte. Oft kam es vor, dass ihn Freunde wie sein Weissacher Förderer Edgar Klier direkt von der Baustelle zum Training fuhren. Während die Mitspieler in schicker Sportkleidung ankamen, betrat der Junge aus dem Täle die Kabine schon mal mit Stahlkappenschuhen und einem Meterstab in der Tasche und Staub auf der Arbeitshose. Schon in jener Zeit höchst ungewöhnlich und in einem Nachwuchsleistungszentrum heute unvorstellbar. „Für mich ist es optimal gelaufen“, weiß Julian Schieber zu schätzen, dass seine damaligen Trainer um Hansi Kleitsch an ihn geglaubt haben. „Ein solcher Weg für Quereinsteiger ist heute noch möglich und wird es auch immer sein“, ist sich der 33-Jährige sicher.

Der mittlerweile nach Backnang heimgekehrte Ex-Profi hat aber ebenfalls fest gestellt: „Die Nachwuchsleistungszentren sind in den vergangenen Jahren immer mehr und immer besser geworden.“ Trotzdem sei für denjenigen, der den Sprung zu einem Jugend-Bundesligisten nicht schafft, weiterhin noch nichts verloren. „Die A- oder B-Jugend-Oberliga ist eine Topliga“, erzählt er und hat zudem in seinem ersten halben Jahr als Co-Trainer eines Oberligisten die Erfahrung gemacht: „Das ist ein hohes Niveau und für junge Spieler eine tolle Plattform, um sich zu präsentieren.“

Keven Schlotterbeck hat das perfekt hinbekommen. Als A-Jugendlicher erkämpfte er sich mit 18 einen Stammplatz im Backnanger Verbandsliga-Team, stieg mit der TSG in die Oberliga auf und wechselte mit 20 Jahren zum SC Freiburg II. Dort dauerte es nicht lange, bis er zum Bundesliga-Team hoch gezogen wurde. Er, der als B-Jugendlicher in Backnang noch in der Bezirksstaffel gekickt hatte, schaffte es binnen eineinhalb Jahren von der sechsten in die erste Liga. Ungewöhnlich, aber ein Weg, „den ich für mich auch heute noch bevorzugen würde“, erzählt der 24-Jährige, der auch sagt: „In den Nachwuchsleistungszentren ist es einfach so, dass du schon in jungen Jahren ständig Leistung bringen musst und wenn du mal ein halbes Jahr das nicht schaffst, dann kannst du auch schnell weg sein.“

Den goldenen Weg nach oben gibt es einfach nicht

Verdammen will Schlotterbeck diese Form der Jugendarbeit trotzdem nicht, hat er in seinen viereinhalb Freiburger Jahren doch bemerkt: „Die NLZ-Jungs sind schon besser ausgebildet.“ So seien die Trainingsbedingungen besser und die Zahl an Übungseinheiten viel höher als bei kleineren Vereinen. Wäre er heute noch einmal 17 oder 18 Jahre alt, würde er sich zumindest Gedanken darüber machen, ob er nicht als A-Jugendlicher ein Angebot aus einem Nachwuchsleistungszentrum annehmen würde. Zumal sich sein zwei Jahre jüngerer Bruder Nico schon in jungen Jahren für ein NLZ entschieden hat und es auf diese Art ebenfalls zum Bundesliga-Spieler in Freiburg und zum Nationalspieler gebracht hat. Am Ende ist es eben doch einfach so, wie Keven Schlotterbeck schmunzelnd sagt: „Stimmt die Leistung nicht, dann ist es egal, woher und aus welcher Klasse du kommst.“

In der Serie Talente suchen, finden, fördern berichten wir, was es braucht, um es vom kleinen zum großen Sportler zu bringen. Unter anderem geht es um Sichtung und Training in Vereinen und Verbänden.
Keven Schlotterbeck schaffte den Sprung von der sechsten in die erste Liga und war im Sommer gar für Deutschland bei Olympia am Ball.

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Keven Schlotterbeck schaffte den Sprung von der sechsten in die erste Liga und war im Sommer gar für Deutschland bei Olympia am Ball.

Insgesamt 231 Erstliga-Spiele

Julian Schieber wurde am 13. Februar 1989 in Backnang geboren. In seinen 13 Jahren als Fußballprofi absolvierte er für den VfB Stuttgart, den 1. FC Nürnberg, Borussia Dortmund, Hertha BSC und den FC Augsburg unter anderem 167 Partien in der deutschen Eliteliga, 18 Spiele in der Champions League und eine Begegnung im damaligen UEFA-Cup. Nach der vergangenen Saison beendete er seine Karriere und ist seit Sommer Co-Trainer der TSG Backnang.

Keven Schlotterbeck wurde am 28. April 1997 in Weinstadt geboren und stammt aus einer echten Fußballfamilie. Schon sein Opa Karl-Heinz war in den Achtzigern und Neunzigern ein im Rems-Murr-Kreis bekannter Trainer. Onkel Niels Schlotterbeck spielte in der höchsten deutschen Klasse für die Stuttgarter Kickers, Duisburg und Rostock. Keven Schlotterbeck hat es in bislang dreieinhalb Jahren als Bundesliga-Profi auf 64 Spiele für Freiburg und Union Berlin gebracht.

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Erstellt:
5. März 2022, 06:00 Uhr

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