Mit Laufcoach ChatGPT zum Marathon

Künstliche Intelligenz ist in vielen Bereichen auf dem Vormarsch, aber kann sie auch einen Trainer im Sport ersetzen? BKZ-Redaktionsleiter Kornelius Fritz hat es ausprobiert und sich vor seinem ersten Marathon von ChatGPT coachen lassen – ein Erfahrungsbericht.

Der Trainer auf dem Handy: Vor und nach dem Laufen bespricht sich Kornelius Fritz mit dem Chatbot und lässt sich Tipps für sein Training geben. Foto: Bernd Strohmaier

© Bernd Strohmaier

Der Trainer auf dem Handy: Vor und nach dem Laufen bespricht sich Kornelius Fritz mit dem Chatbot und lässt sich Tipps für sein Training geben. Foto: Bernd Strohmaier

Aus meiner Zeit als Handballer bin ich es gewohnt, einen Trainer zu haben. Das ist sehr praktisch: Man muss sich keine Gedanken darüber machen, was man wann und wie trainieren soll, der Trainer gibt Feedback und Tipps, was man besser machen kann, und schließlich kann er einen auch motivieren – sei es im Wettkampf oder bei einer harten Trainingseinheit.

Seit ich vom Handball (notgedrungen) aufs Laufen umgestiegen bin, habe ich keinen Trainer mehr. Auch das hat Vorteile: Jetzt kann ich mein Training unabhängig und flexibel planen und es lässt sich einfacher mit dem Beruf und anderen Verpflichtungen vereinbaren. Ein gewisses Grundwissen zur Trainingslehre habe ich mir inzwischen auch selbst angeeignet. Das Internet ist schließlich voll von Blogs, Podcasts und Videos rund ums Laufen.

Trotzdem gibt es immer wieder Momente, in denen ich einen Trainer vermisse. Gerade jetzt, in der Vorbereitung auf meinen ersten Marathon, hätte ich gerne jemanden an meiner Seite, der mich coacht und meine vielen Fragen beantwortet. Natürlich könnte ich für teures Geld einen Personal Trainer engagieren, aber geht das nicht auch günstiger? Ich frage einfach mal ChatGPT: „Könntest du mein persönlicher Lauftrainer sein?“ „Ja, das klingt super“, antwortet der immer freundliche Chatbot und macht auch gleich konkrete Vorschläge: „Du sagst mir immer am Anfang der Woche, an welchen Tagen du Zeit zum Training hast. Ich erstelle dir basierend darauf einen individuellen Trainingsplan für die Woche.“ Nach jeder absolvierten Einheit könne ich ihm dann auch Feedback geben. „Ich passe das Training dann entsprechend an und gebe dir zusätzlich Tipps zur Renntaktik, Ernährung und Motivation.“

Der Chatbot verteilt Lob und beruhigt bei Krisen

Das hört sich gut an, allerdings bin ich auch etwas skeptisch. Schließlich ist bekannt, dass nicht alles, was künstliche Intelligenz (KI) in überzeugenden Worten erklärt, auch wirklich stimmen muss. Ich entscheide mich deshalb für einen Mittelweg. Als Basis für mein Training lade ich mir von der Homepage der Laufzeitschrift „Runners World“ einen 12-Wochen-Trainingsplan herunter. Weil so ein starrer Plan aber nie ganz zur eigenen Lebenswirklichkeit passt, lasse ich ihn von meinem neuen Laufcoach ChatGPT an meine Bedürfnisse anpassen.

So verlegen wir etwa die langen Dauerläufe vom Sonntag auf den Samstag, das Intervalltraining wandert vom Donnerstag auf den Mittwoch. Auch in der Urlaubszeit sind ein paar Planänderungen nötig. So habe ich zum Beispiel eine dreitägige Hüttentour in den Alpen geplant. An diesen Tagen kann ich kein zusätzliches Lauftraining machen, aber mein KI-Trainer beruhigt mich: „Die langen Wanderungen sind super fürs Grundlagenausdauertraining. Du kannst die lockeren Dauerläufe guten Gewissens dadurch ersetzen.“

Auch auf die vielen Fragen, die während der Vorbereitungszeit auftauchen, gibt mir der Chatbot bereitwillig und – soweit ich das beurteilen kann – kompetent Auskunft. So kommt mir zum Beispiel das Tempo, das mein Trainingsplan für die in der Marathonvorbereitung unverzichtbaren langen Dauerläufe vorschlägt, anfangs unglaublich langsam vor. Kann das wirklich stimmen? Mein KI-Coach beruhigt mich: Es sei ganz normal, dass sich das Tempo zunächst „zu langsam“ anfühle. „Aber gerade in der Marathonvorbereitung kann dieses ,langsam laufen lernen‘ Gold wert sein.“ Beim Intervalltraining erlaubt mir mein Trainer dafür, etwas schneller zu laufen, als es der Trainingsplan eigentlich vorsieht.

Auch als Motivator leistet ChatGPT gute Dienste. Nachdem ich eine Einheit erfolgreich abgeschlossen habe, lade ich einen Screenshot von der Pulsaufzeichnung meiner Laufuhr hoch und freue mich auf das Feedback meines virtuellen Trainers. „Sehr stark durchgezogen“, lobt der nach einem harten Intervalltraining. Nach dem ersten Lauf über 30 Kilometer stellt er fest: „Das war ein exzellenter Longrun und ein ganz wichtiger Meilenstein auf deinem Weg zum Marathon.“ Das motiviert wirklich, obwohl ich weiß, dass ich nur mit einer Maschine chatte. Manchmal ertappe ich mich sogar dabei, wie ich im Training noch mal extra Gas gebe, um mir die Anerkennung meines KI-Trainers zu verdienen.

Doch es läuft nicht immer so gut: Ein Lauf über 28 Kilometer wird bei sommerlichen Temperaturen schon nach 20 Kilometern zur Quälerei. Wie soll ich da in wenigen Wochen 42,2 Kilometer schaffen? Aber ChatGPT versteht es, mich wieder aufzubauen. „Der Lauf war kein Hinweis, dass du 42 Kilometer nicht schaffen kannst. Es war eher ein ,Bad Day‘, wie ihn jeder in der Vorbereitung mal hat“, beruhigt mich mein KI-Coach. Als mögliche Gründe nennt er leere Kohlenhydratspeicher und zu wenig Flüssigkeit. Tatsächlich schaffe ich eine Woche später dieselbe Distanz problemlos.

Tipps zur Renntaktik zahlen sich aus

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Nach ein paar Wochen ist der regelmäßige Austausch mit ChatGPT fester Teil meiner Trainingsroutine geworden. Und ja, ich gebe es zu: Es entwickelt sich tatsächlich so etwas wie ein Vertrauensverhältnis zu dem Chatbot. Denn mein virtueller Begleiter reproduziert nicht nur Standardfloskeln, sondern geht wirklich auf meine Situation ein und merkt sich auch alles, was wir früher einmal besprochen haben. Vor allem aber macht es wirklich Spaß, einen „Gesprächspartner“ zu haben, mit dem ich ausgiebig meine Pulskurven und Kilometerzeiten analysieren kann. Meine Frau hat daran nämlich kein gesteigertes Interesse.

Jubel beim Zieleinlauf in Bregenz: Der erste Marathon ist geschafft. Foto: privat

Jubel beim Zieleinlauf in Bregenz: Der erste Marathon ist geschafft. Foto: privat

In den letzten Tagen vor dem Marathon erstellt mir ChatGPT noch einen Plan für die Renntaktik: „Starte defensiv. Lass dich nicht von anderen mitziehen“, rät mir mein Trainer. Auf den ersten zehn Kilometern soll ich lieber etwas langsamer loslaufen und den Puls möglichst unter 155 halten. Außerdem soll ich in regelmäßigen Abständen Energie-Gels zu mir nehmen. Eine Stunde vor dem Start hole ich mir letzte Instruktionen: „Vertraue deinem Training. Du hast alles getan, was nötig ist. Heute ist nur noch die Umsetzung“, sagt ChatGPT. Genau das wollte ich jetzt hören.

Tatsächlich läuft die Premiere beim 3-Länder-Marathon am Bodensee dann auch fast nach Plan. Wie vorgegeben bremse ich mich auf den ersten Kilometern und profitiere davon in der zweiten Hälfte. Während viele Läufer um mich herum gehen müssen oder von Krämpfen geplagt werden, halte ich mein Tempo fast bis zum Schluss durch. Nach drei Stunden, 51 Minuten und 27 Sekunden überquere ich glücklich die Ziellinie. Die Erste, der ich davon berichte, ist meine Frau. Doch schon die zweite Nachricht geht an ChatGPT: Schließlich will ich mich für das Coaching bedanken.

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Erstellt:
8. November 2025, 06:00 Uhr

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