Von null auf hundert: Hitzlspergers Baustellen

Der neue Sportvorstand des VfB Stuttgart muss jede Menge Problemfelder beackern

Hat ein Wechsel des Sportchefs kurzfristige Auswirkungen auf eine Fußballmannschaft? Thomas Hitzlsperger will beim VfB genau das beweisen. Es ist eine Herkulesaufgabe.

Stuttgart Tag eins nach dem Aus für Sportvorstand Michael Reschke begann beim VfB Stuttgart mit der obligatorischen Übungseinheit am Mittwochvormittag. Trainer, Mannschaft, Betreuer – und Thomas Hitzlsperger am Spielfeldrand. Der Reschke-Nachfolger hatte angekündigt, den Cheftrainer Markus Weinzierl nach Kräften zu unterstützen, auch auf die Spieler einwirken zu wollen – aber alles in einem Rahmen, der auch vom jeweiligen Gegenüber als leistungsfördernd empfunden wird. Genau dies war Reschke nicht gelungen. Der Rheinländer mischte auf allen Ebenen munter mit – was zunehmend für Verstimmung sorgte, vor allem bei den jeweiligen Cheftrainern.

Hitzlspergers Wirken in diesen Tagen wird also ein verbaler und emotionaler Balanceakt, mit der Frage im Hintergrund: Wie groß kann die Wirkung eines Wechsels auf der Position des Sportchefs auf eine Mannschaft überhaupt sein? Andererseits muss er jedwede Möglichkeit nutzen, um den VfB aus der misslichen Lage – Platz 16 mit 15 Punkten – zu befreien. Weil es für den neuen Sportvorstand genügend Problemfelder zu beackern gibt. Ein Überblick:

Die Struktur der Mannschaft Die Idee klang verheißungsvoll: Jeder routinierte Platzhirsch bekommt einen jungen Herausforderer an die Seite. Oder besser: hat einen solchen im Nacken. So teilte sich das VfB-Team aber plötzlich fast ausschließlich in eine Ü-30-Fraktion und eine U-23-Truppe. Das sogenannte Mittelalter war nach den Abgängen von Matthias Zimmermann (26), Daniel Ginczek (27) und Marcin Kaminski (27) quasi nicht mehr vertreten. Die jungen Spieler, teils aus dem Ausland kommend, waren und sind auf die Hilfe der Routiniers angewiesen – doch war die Lage vom Start weg nicht einfach. Die Bereitschaft, seinen direkten Konkurrenten zu unterstützen, ist eben endlich. So bildete sich nie ein echtes Team, Neuzugänge wie Borna Sosa und Pablo Maffeo scheinen nicht integriert, an der Qualität deren taktischer Ausbildung gibt es – wie bei Nicolas Gonzalez – zudem Zweifel.

An der Kaderzusammenstellung kann Thomas Hitzlsperger bis Saisonende nichts mehr ändern – am Teamspirit schon. Mit „meiner Energie“ wolle er andere „anstecken“, sagt er. Wenn dies gelingt und sich die Mannschaft hinter ihm vereint, kann auch wieder ein echtes Team entstehen.

Die Schwächen der Routiniers Wer viele junge Spieler im Kader hat, ist auf die routinierten Stützen angewiesen. Holger Badstuber (29) sollte eine solche sein – ausgestattet mit einem Dreijahresvertrag ist er aber seit seiner Entscheidung, in Stuttgart zu bleiben, entweder außer Form, verletzt oder Bankdrücker. Dass er nicht einmal in der aktuell prekären Lage als Turm in der Schlacht taugt, spricht Bände. Statt auf den Ex-Nationalspieler baut Weinzierl auf den erst 18-jährigen Ozan Kabak. Ähnlich ist die Lage bei Gonzalo Castro (31). Der frühere Leverkusener sollte die Mittelfeldzentrale des VfB beleben – rätselt aber seit Monaten, weshalb er chronisch außer Form ist. Andreas Beck (31) kämpft nach wie vor mit den Folgen seiner Knieverletzung, Dennis Aogo (32) ist verletzt. Christian Gentner (33) wirkt mental müde und ist kein Anführer mehr – zuletzt wurde er nach schwachen Auftritten früh ausgewechselt. Und Emiliano Insua (30) ist von taktischer Disziplin derzeit so weit entfernt wie der Neckar vom Rio de la Plata. Bleiben Ron-Robert Zieler (30) und Mario Gomez (33), die sich redlich mühen, aber auch alles andere als fehlerfrei sind.

Im Grunde ist Thomas Hitzlsperger noch Teil der Generation der Routiniers – womöglich findet er einen Weg, die eine oder andere Blockade zu lösen. Oder zumindest neue ­Motivation zu entfachen.

Das fußballerische Brachland Vor allem in Daniel Didavi und Anastasios Donis hat der VfB zwei Spieler, die gemeinhin als fußballerische Waffe bezeichnet werden. Jedoch sind auch sie Problemfälle – aus unterschiedlichen Gründen. Didavi, der zentraler Punkt des Offensivspiels sein sollte, ist nicht komplett fit, was kein Wunder ist, da der Zehner während der Hinrunde fast ausschließlich Lauftraining absolvieren konnte. So reicht es nur für wenige lichte Momente. Donis hat sich durch Undiszipliniertheiten selbst zurückgestuft, seine Art Fußball zu spielen, fehlt dem VfB aber nahezu komplett.

Es wird interessant zu beobachten sein, wie das Duo Hitzlsperger/Weinzierl nun mit dem Griechen umgeht. Volles Vertrauen in das schlampige Genie und seine Fähigkeiten? Oder weiter ein Rein und Raus mit ungewissem Ausgang?

Die Probleme der Konstanten Egal, wie der VfB in der vergangenen Saison auch spielte – auf zwei Spieler war, neben Torhüter Zieler, immer Verlass: Benjamin Pavard und Santiago Ascacibar. Und nun? Der kleine Argentinier ist immer noch Dauerbrenner, aber längst nicht mehr so effektiv in seiner Zweikampfführung. Meist kommt er zu spät in die Duelle, erkennt die Lücken nicht rechtzeitig, wirkt engagiert, aber planlos, ist wirr in seinen Abspielen und lässt sich zu einfach abkochen – wie jüngst beim 0:2 durch Oliver Fink in Düsseldorf. Durch die Schwäche des Abräumers wächst auch der Druck auf die Abwehrreihe, wo Marc Oliver Kempf den souveränen Eindruck seiner ersten VfB-Auftritte nicht bestätigen konnte. Bei Pavard dagegen zweifeln Beobachter mittlerweile am guten Willen – seit ihm die Möglichkeit verbaut wurde, schon im Winter nach München zu wechseln, wirkt der Franzose eher lustlos. Die Position hinten rechts würde er im Fragebogen unter der Rubrik Lieblingsposition wohl auch nicht angeben.

Beim Weltmeister (Pavard) muss der WM-Dritte von 2006 (Hitzlsperger) ganz sicher vorsprechen, um die bisherige Stütze des Teams wieder an seine dringlichste Aufgabe bis Saisonende zu erinnern.

All das zeigt: Thomas Hitzlsperger hat eine Herkulesaufgabe vor sich und mehr als genug zu tun in seinen ersten Tagen als Sportvorstand des VfB. Am Samstag (15.30 Uhr) kommt RB Leipzig in die Mercedes-Benz-Arena – und wird gnadenlos offenlegen, welche Baustellen bis dahin noch nicht ausreichend beackert werden konnten.

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Erstellt:
14. Februar 2019, 03:04 Uhr

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