Leiterin der Bregenzer Festspiele
„Das ist Neuland! Wetter! Wasser!“
Am 16. Juli startet bei den Bregenzer Festspielen die erste Saison unter Leitung der finnischen Mezzosopranistin Lilli Paasikivi.

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Lilli Paasikivi
Von Georg Rudiger
Lilli Paasikivi ist die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele. Wo schlägt sich ihre Heimat Finnland im Programm nieder? Und wie geht die Intendantin mit den gerade bekannt gewordenen Subventionskürzungen von 30 Prozent um?
Frau Paasikivi, am 16. Juli beginnen mit der Premiere von Georges Enescus Oper „Oedipe“ die 79. Bregenzer Festspiele. Wie geht es Ihnen so kurz davor? Sind Sie nervös?
Nein, ich bin voller Erwartung und Enthusiasmus. Seit Dezember 2022, als ich nominiert wurde, plane ich das Programm. Aus Excel-Tabellen wird jetzt Kunst. Überall wird geprobt, überall blüht die Musik.
Welche eigenen Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer ersten Spielzeit setzen?
Mit der nordischen Perspektive kann ich etwas Neues mitbringen. Meine Heimat Finnland ist im Programm deutlich erkennbar. Es gibt finnische Dirigenten wie Hannu Lintu, der „Oedipe“ dirigieren wird, und Jukka-Pekka Saraste, der mit der „Kullervo-Symphonie“ von Jean Sibelius ein Werk vorstellt, das auf dem finnischen Nationalepos „Kalevala“ basiert. Wir werden auch am 11. August einen finnischen Tangoabend am See veranstalten. Ich möchte die Bregenzer Festspiele gerne zu einem Festival der Gesangskunst machen. Auch Chöre werden eine Rolle spielen wie der YL Male Voice Choir, der in der „Kullervo-Symphonie“ mitwirkt und in einem eigenen Konzert ein A-Cappella-Programm mit finnischer Chormusik präsentiert. Schließlich möchte ich Tanz als einen Teil von „Multi-Art-Form“-Projekten in Bregenz etablieren. Von meinem Landsmann Tero Saarinen präsentieren wir mit „Borrowed Light“ und „Study for Life“, das sich mit dem Werk Kaija Saariahos beschäftigt, zwei Choreografien.
Das antike Drama „Ödipus“ wurde schon auf unterschiedlichste Weise künstlerisch bearbeitet. Was ist für Sie das Besondere an Enescus „Oedipe“?
Wir haben mit den Wiener Symphonikern ein großartiges Orchester vor Ort. Enescus Partitur ist im Orchesterpart so farbenreich und vielfältig, dass ich mich jetzt schon darauf freue, wie gewaltig diese Musik mit ihren rumänischen Untertönen und dem symphonischen Zuschnitt klingen wird. Unser Regisseur Andreas Kriegenburg hat für die vier Akte ganz unterschiedliche Bildmotive gefunden. Diese visuelle Präsenz tut der Oper sehr gut. Ich hatte seinen „Ring des Nibelungen“ in München gesehen und war begeistert, wie eng er die Musik mit der Szene verknüpft. Das sieht man jetzt auch in seinem „Oedipe“.
Sie sagen im Vorwort der Festivalbroschüre, dass Sie mit dem Programm Geschichten erzählen möchten. Ist Verständlichkeit Ihre wichtigste Maxime als Intendantin?
Die Stoffe, die wir präsentieren, sollen das Publikum berühren und die Fantasie anregen. Storytelling ist ganz wichtig für mich – auch im Kleinen wie bei „Emily – no prisoner be“ mit Joyce DiDonato, Peter Maxwell Davies’ „Songs for a mad king“ oder die im gleichen Konzert programmierte Uraufführung von „Farmer George“ über denselben König George III.
Es darf also nicht zu abstrakt werden?
Das ist nicht die Frage. Tero Saarinen ist in seiner Bühnensprache ganz minimalistisch und einfach, aber immer sehr wahr. Es geht bei ihm um die Urkraft des Tanzes, um Intensität und echte Emotionen. Wir müssen dem Publikum etwas vermitteln.
Sie haben eine große Karriere als Mezzosopranistin gemacht. Singen Sie noch?
Nein. Ich hatte meine letzte große Opernpartie im Juni 2024 bei einer Uraufführung in Finnland. Ganz von der Bühne habe ich mich dann mit Gustav Mahlers 8. Symphonie unter Jukka-Pekka Saraste verabschiedet. Dann dachte ich: Halleluja, das ist das Ende. Nun kann ich mich zu hundert Prozent auf meinen neuen Job als Intendantin konzentrieren. Alles hat seine Zeit. Als Person bin ich aber immer noch eine Sängerin – egal, ob ich singe oder nicht. Deshalb finde ich es so schön, hier mit den jungen Sängerinnen und Sängern zu arbeiten wie bei „La Cenerentola“. Da kann ich meine große Erfahrung weitergeben, auch in Sachen Musikbusiness, Vermarktung, Verträge et cetera.
Was hat Sie daran gereizt, Kulturmanagerin zu werden?
Ich war schon als Sängerin breit interessiert am großen Ganzen, an Organisationen und Leitungsmodellen. Dann habe ich in Finnland ein Sommerfestival gestartet. Dort habe ich gesungen, Programme geplant, produziert, Blumen für Künstler gekauft, Hemden gebügelt. Mein Mann kochte das Essen für alle. Das war eine gute Schule. Als ich gefragt wurde, ob ich die Leitung der Finnischen Nationaloper übernehmen möchte, habe ich die Chance ergriffen. Nach allen wunderschönen Rollen – Rosina, Octavian, Carmen, Amneris, Kundry, Fricka und so weiter – gefällt mir in der jetzigen Lebensphase die Rolle der Intendantin am besten.
Inwiefern profitieren Sie als Intendantin von Ihrem früheren Beruf?
Natürlich kenne ich die Bühnensituation – und kenne mich auch mit Künstlerseelen aus. Aber vieles, mit dem ich mich hier rund um die Oper auf der Seebühne beschäftigen muss, ist absolutes Neuland: Wasserqualität, Wettervorhersagen, Fische im Bodensee, Vögel. Ich habe jeden Abend Taucher im Wasser. Man muss als Intendantin wirklich Nerven wie Drahtseile haben – und Geduld. Nichts muss sofort gelöst werden.
Mitten in diese Aufbruchsstimmung kommt ein Dämpfer. Die Subventionen des Festivals werden ab diesem Jahr um 30 Prozent gekürzt. Sie haben 2025 und 2026 jeweils 2,1 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Wie gehen Sie damit um?
Das war für uns natürlich eine große Enttäuschung. Wir haben Rücklagen erwirtschaftet, die wir jetzt zum Teil aufbrauchen werden. Leider mussten wir auch die frisch vereinbarte, fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Wiener Burgtheater für die nächsten zwei Jahre absagen. Die Entscheidung hat also direkte Folgen auf unser Programm. Dieses Jahr kann die geplante Uraufführung von „bumm tschak oder der letzte henker“ aber noch stattfinden.
Wo mussten Sie noch einsparen?
Wir wollten das Soundsystem auf der Seebühne weiter verbessern, aber das haben wir jetzt verschoben. Ab nächstes Jahr müssen wir jede einzelne Produktion anschauen, weil wir lange im Voraus planen. Die Meldung kam so spät, dass unsere Reaktionsmöglichkeiten für 2025 begrenzt sind.
Info
Leitung Lilli Katriina Paasikivi-Ilves wurde 1965 im finnischen Imatra geboren. Sie war viele Jahre als Opernsängerin weltweit engagiert, bevor sie 2013 die Leitung der Finnischen Nationaloper übernahm. Am 1. Oktober 2024 wechselte sie zu den Bregenzer Festspielen.
Programm Ihre Vorgängerin Elisabeth Sobotka hat die Intendanz der Berliner Staatsoper Unter den Linden übernommen. Aus ihrer letzten Bregenzer Saison stammt noch die Seebühnen-Produktion „Der Freischütz“ (Regie: Philipp Stölzl), die nun ein weiteres Mal zu erleben ist. Im Sommer 2026 feiert dann die erste Großproduktion unter Paasikivis Leitung Premiere: Giuseppe Verdis „La Traviata“. Und auch die Pläne für 2028 sind inzwischen bekannt: Lydia Steier inszeniert dann Richard Wagners „fliegenden Holländer“.
Premiere Schon in diesem Sommer neu ist aber zur Festspieleröffnung Andreas Kriegenburgs Inszenierung der Oper „Oedipe“ von George Enescu im Festspielhaus. Premiere: 16. Juli.