Neue Konzertsaison

Von Peer Gynt bis Paulus: Was Dirigent Bernius in Stuttgart vorhat

Der Originalklang-Dirigent spannt in der kommenden Saison einen weiten Bogen von Griegs „Peer Gynt“- Musik über Mendelssohn bis zum Früh- und Spätbarock aus Florenz.

Will auch musikalisch nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen: Frieder Bernius setzt auf Originalität.

© Roberto Comuzzo

Will auch musikalisch nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen: Frieder Bernius setzt auf Originalität.

Von Martin Mezger

Wie es sich für seine musikalische Neugier gehört, hält sich der Stuttgarter Originalklang-Dirigent Frieder Bernius an den ollen Heraklit: Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss. Erst recht nicht dreimal. Zum dritten Mal führt Bernius bei seinem sommerlichen Open Air auf Schloss Solitude Griegs Schauspielmusik zu Ibsens „Peer Gynt“ auf - „aber jedes Mal anders“, versichert der Maestro.

Seit die Musiken aus den Schauspielen verschwunden sind, dümpeln die großen kompositorischen Beiträge des 19. Jahrhunderts allenfalls auf der Konzertbühne vor sich hin. Dagegen will Bernius die Kontakte von musikalischer und sprachlicher Dramatik unter Wechselspannung halten. Peer Gynt soll nicht im Fluss von Griegs Tönen untergehen, das ausufernde Drama wiederum ist im vorgegebenen Rahmen nicht realisierbar. In den Aufführungen am 25. und 26. Juli experimentiere man deshalb mit einem „Schauspiel ohne Schauspiel“, sagt der Regisseur und Dramaturg Bernd Schmitt. Peers Mutter Aase (Isabelle Redfern) schildert das Geschehen und namentlich ihren missraten-bewunderten Bengel aus eigener Perspektive: der einer „alleinerziehenden Mutter mit ADHS-Sohn“. Klingt aktualistisch, ist aber als Lob von Ibsens Hellsicht gemeint: „Wir haben heute das Vokabular, um zu benennen, was in dem Stück passiert“, sagt Schmitt. Mit seiner Fassung aus Ibsen’schen Originalpassagen und eigenen Texten will er „das Drama einer Frau ins Zentrum rücken, die sonst neben der Großspurigkeit des männlichen Protagonisten Randfigur bleibt“.

Ausstellung musikalischer Bilder

Erstmals wird mit Hilfe der Nanz- und der Baden-Württemberg-Stiftung zum Open Air ein Vermittlungsprogramm für Grund- und Realschüler auf die Beine gestellt. Es setzt beim prägenden Wesenszug von Griegs Musik an: ihrer imaginativen Wirkung. Mit der Künstlerin Liv Rahel Schwenk und dem Musikpädagogen Gereon Müller malen Kinder und Jugendliche von der Stuttgarter Lerchenrainschule, der Parkrealschule Stammheim und der Realschule Gerlingen Bilder zu den Klängen. Klar gibt’s dann bei den Aufführungen auch eine Ausstellung.

Das Motto vom selben, doch stets anderen Fluss trifft ebenso auf Bachs Weihnachtsoratorium zu – so „bekannte wie phantastische Musik“, sagt Bernius, die gerade deshalb interpretiert werden müsse, „als würde man sie ganz neu empfinden“. Er selbst stellt sich mit seinem Kammerchor und seinem Barockorchester am 13. Dezember im Hegelsaal der Herausforderung. Fünf der sechs Kantaten (außer der vierten) kombiniert er mit Carl Philip Emanuel Bachs Magnificat – einem Werk, dessen Reibung von Reife und Knospe Bernius reizt: „Entfalteter Spätbarock trifft auf frühe Klassik.“

Ähnliches gelte für Felix Mendelssohn Bartholdys „Paulus“ mit seinem „stilistischen Brückenschlag vom Neobarock zur Hochromantik“. Am 22. März 2026 dirigiert Bernius das von ihm hoch geschätzte Oratorium in der Ludwigsburger Friedenskirche.

Geburtsstadt der Oper

Das alle zwei Jahre unter der Ägide von Bernius und seinem Musikpodium stattfindende Festival „Stuttgart Barock“ geht vom 23. bis 26. April 2026 in seine nächste Runde. Sie dreht sich um Florenz und Musik, die mit der toskanischen Kunstmetropole mehr oder weniger verbunden ist – oder auch gar nicht, wie Zelenkas „Missa Sanctissimae Trinitatis“. Trotzdem höchstkarätiger Exzentriker-Barock, den Bernius zum Auftakt in der Leonhardskirche dirigiert, zusammen mit dem Stabat Mater des immerhin aus dem nahen Lucca stammenden Luigi Boccherini. Die Capricci Armonici und die London Handel Players mit Instrumentalem, das Utopia Ensemble mit Vokalpolyphonem sind zu Gast. Im Schlusskonzert mit Jörg Halubek und seinem Ensemble Il Gusto barocco ist dann das größte Geschenk der Florentiner Kultur an die Musik zu erleben: die Oper, und zwar am Beispiel von Marco da Gaglianos „La Dafne“ von 1608, einem der frühesten Werke der Gattung, komponiert im Stil ihrer florentinischen Erfinder.

Die Open-Air-Vorstellungen von „Peer Gynt“ mit Edvard Griegs Schauspielmusik, dem Kammerchor und der Klassischen Philharmonie Stuttgart in der Leitung von Frieder Bernius beginnen am Freitag und Samstag, 25. und 26. Juli, jeweils um 21 Uhr am Schloss Solitude.

www.musikpodium.de

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Erstellt:
8. Juli 2025, 16:22 Uhr

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