„Denken ist keine Sünde“

Mathias Richling eröffnet die Gruschtelkammer-Saison in der Auenwaldhalle. „Richling #2020“ ist ein Programm zwischen Politikerschelte und Streitbarem zum Thema Corona.

Mathias Richling bei seinem Auftritt beim Kleinkunstverein Gruschtelkammer, der in die Auenwaldhalle umgezogen ist. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Mathias Richling bei seinem Auftritt beim Kleinkunstverein Gruschtelkammer, der in die Auenwaldhalle umgezogen ist. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

AUENWALD. „Es geht weiter“, sagt Charley Graf, der Vorsitzende des Fördervereins Kleinkunstbühne Gruschtelkammer, und berichtet über die Hürden der Umsetzung seines Hygienekonzepts. Es habe drei Tage gedauert, die Halle einzurichten, „totaler Wahnsinn“. Man betreibe unglaublichen Aufwand, um überhaupt zu einer Veranstaltung einladen zu können, und das in einer Location, die nicht eben behaglich ist. Um es trotzdem etwas „heimelig“ werden zu lassen, hat man LED-Lichter, die ein warmes Licht ausstrahlen, auf die kleinen Zweiertische gestellt. Dann schwärmt Graf von seinem heutigen Gast, für dessen Kommen er seit 30 Jahren gekämpft habe. Vor Jahrzehnten habe er Richling in Stuttgart spielen gesehen und den Wunsch entwickelt, ihn irgendwann einmal in Auenwald anzusagen. „Und jetzt darf ich das nicht, das macht er selbst.“

Was folgt, ist eine Stimme aus dem Off, die das Publikum tröstet. Es gäbe zwar heute keine Pause, aber immerhin sei es kein Wagnerabend von fünf, sechs Stunden. Das Bühnenlicht erstrahlt, und da ist er – Mathias Richling. „Wir fangen vorne an.“ Der Künstler nennt schon einmal alle Themen, die ihn heute beschäftigen werden, durchweg Politisches. Er gerät ins Stocken und schimpft: „Dann kommt Corona um die Ecke, und alle Probleme sind wie weggeblasen.“ Nein, er leugnet die Krankheit nicht. Aber er steht den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ausgesprochen kritisch gegenüber. Dabei gelangt er zu Aussagen, die man gewagt nennen kann. Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg und (natürlich) der Grippe, Spott für „Frau Merkel und die Virologen“ sowie für Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut, dem er „Abstand auch zur Demokratie“ bescheinigt. „Wir haben ja die Wirtschaft kaputt gemacht wegen Corona.“ Diesen Satz legt Richling dem Finanzminister Olaf Scholz in den Mund und spricht von Würde. Die sei „relativ relativ“, verhältnismäßig relativ also, will sagen, relativ verhältnismäßig, deshalb würde sie ja Würde heißen.

Auch die Maskenpflicht ist Thema.

„Exzesse“ habe man durch den „Lockdown“ wegen Corona erreicht – unbehandelte Schwerkranke, vereinsamt sterbende Pflegebedürftige. Der Kabarettist macht sich auch her über die Maskenpflicht, indem er daran erinnert, dass es einmal ein Vermummungsverbot auf Demonstrationen gegeben hat, seit 70 Jahren! – „Und heute...?“ Er beantwortet sich und dem Publikum die Frage nicht – schon klar, was gemeint ist. Richlings bekannter Schnellsprech, der sich zum Ende jeder Verlautbarung in Gehaspeltes steigert, provoziert Lacher auch bei denen, die seine Ansichten nicht teilen mögen. Und manches ist ja auch unumstritten, eine seit Jahrzehnten skandalöse Unterbezahlung von Pflegekräften beispielsweise. Die bekämen jetzt einmalig 1500 Euro, mehr nicht, weil: „Sonst gäbe man ihnen ja das Gefühl, sie tun das nur für Geld.“ Diese Art Aberwitz produziert Mathias Richling fast ununterbrochen, eben auch, wenn er (zumeist) Politiker parodiert. Angela Merkel sowieso, Christian Lindner, Horst Seehofer. Zur Veranschaulichung hat der Künstler deren Konterfeis in originellen Varianten auf Poster gebracht und diese jeweils an eine Art Rednerpult gepinnt. Seehofer etwa mit flotter Mütze, Wladimir Putin als Van Gogh mit Kopfverband und Merkel als Schokoladenmädchen. Das ist schon originell und witzig, finden (auch hier wieder) auch jene Zuschauer, die Vorbehalte gegen Richlings Humor hegen.

Das Grundgesetz? Buße für den Zweiten Weltkrieg. Was genau der Künstler damit sagen möchte, bleibt offen. Vielleicht möchte er jene „Sensibilität für Pegida“ bedienen, die er den „Ossis“ unterstellt. „Von den Wessis gelernt“ hätten die das. Man fragt sich, ob Mathias Richling noch paraphrasiert oder schon am rechten Rand fischt, auch wenn er das Hakenkreuz als ein von den Nazis missbrauchtes Symbol verteidigt.

Eine Reihe weiterer Themen tippt er an: Gendernde Sprache („Es geht nur noch um Minderheiten!“), Kindesmissbrauch im Papstmonolog, Mark Zuckerbergs Begriffe von Religionsfreiheit, Organspende, Brexit und Rassismus in den USA – viel Stoff zum Denken, was bekanntlich „keine Sünde“ ist.

Wo er recht hat, hat er recht.

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Erstellt:
18. September 2020, 06:00 Uhr

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