„Die Hauptarbeit ist die Planung im Kopf“

Peter Haußmann feiert heute seinen 70. Geburtstag. Ziemlich genau seit 40 Jahren arbeitet der Unterweissacher als freischaffender Künstler. Seit 25 Jahren hat er in Backnang ein Atelier, zuerst in der ehemaligen Lederfabrik Fritz Häuser, seit über zehn Jahren in der alten Spinnerei Adolff.

Peter Haußmann in seinem Atelier in der einstigen Spinnerei Adolff in Backnang. Dort arbeitet er seit dem Jahr 2011. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Peter Haußmann in seinem Atelier in der einstigen Spinnerei Adolff in Backnang. Dort arbeitet er seit dem Jahr 2011. Foto: A. Becher

Von Ingrid Knack

Backnang/Weissach im Tal. Ein Gespräch mit dem Bildhauer Peter Haußmann aus Weissach im Tal lehrt einen, hinter die Dinge zu blicken. Hinter das äußere Erscheinungsbild eines Objekts, hinter Werke der Kunst und Kultur. Denn neben dem rein Materiellen gibt es noch so vieles zu entdecken: nicht nur, welche Idee hinter einem Werk steckt. Vielmehr verweisen die Gedankenspiele auch auf einen selbst. Wobei die unterschiedlichen Fantasien durch Raum und Zeit schweben dürfen, ohne sich zu begegnen. Alles ist erlaubt.

Bei einem Gang durch Haußmanns Atelier in der ehemaligen Spinnerei Adolff in Backnang wird man schnell wieder genau daran erinnert, warum die Auseinandersetzung – in diesem Falle mit Skulpturen, Objekten und Installationen – so erfüllend sein kann, wenn man sich auf sie einlässt: Das wirklich Interessante, das, was nachwirkt, spielt sich in den Köpfen des Künstlers und der Betrachter ab. Und so ist es auch ganz und gar kein Zufall, dass Peter Haußmann seinem Ankerobjekt den Titel „Im Kopf beginnt die Reise“ gegeben hat. „Die Hauptarbeit ist die Auseinandersetzung und die Planung im Kopf“, sagt er. Das Objekt ist nach einigen realen Kunstreisen – zum Beispiel zweimal zum Skulpturenpfad auf den Korber Kopf – in Haußmanns Atelierumfeld in Backnang vor Anker gegangen. Es ist zurück im Hafen – pünktlich zum 70. Geburtstag des Bildhauers am heutigen 13. April.

Wie Peter Haußmann zu seinen Materialien kommt, ist eine zuweilen abenteuerliche, oftmals nicht planbare Geschichte. „Der größte Teil begegnet mir, weil man bestimmte Sachen nicht suchen kann“, erklärt Haußmann. Wichtig ist ihm auch: „Man sieht dem Material nicht an, woher es kommt, aber ich weiß es.“ So ist beispielsweise eine Stahlkugel aus Norwegen, mit der Fischernetze auf dem Meeresgrund beschwert wurden, Teil ausgerechnet eines Gipfelkreuzes geworden. Ein roter Pfeil auf einem Drei-Wege-Ventil, das den obersten Teil des Kreuzes darstellt und mit Tüchern umwickelt ist, zeigt an, dass es kein Ausruhen gibt am Gipfel. Durch den Pfeil richtet sich der Blick über den Ort hinaus, an dem man gerade steht. „Es geht um das innere und äußere Sehen“, so Haußmann. Nicht von ungefähr kennzeichnet er seine Arbeiten mit einem Auge. Dieses steht als Symbol für einen Übergang. „Im Auge wird etwas zwischen außen und innen umgewandelt“, sagt er und fügt hinzu: „Die Übergänge reizen mich immer. Auch die Dämmerung, das Diffuse, bei dem man nicht weiß, was gerade los ist.“

Oder da wären Materialien aus der Natur wie die Feder eines Vogels, die dem „Letzten Mohikaner“, der jüngsten Arbeit des Bildhauers, den letzten Schliff und den Betrachtern Assoziationsmöglichkeiten gibt. Oder das Holz eines Baumes, der gerade gefällt wurde. Dann sind Szenen wie diese denkbar: Bekommt der Künstler den Zuschlag, rückt er schnell mit Unimog und Kettensäge an, um von dem Baum für sich und die Kunst zu retten, was zu retten ist, bevor alles klein gemacht wird. Das Arbeiten draußen, im öffentlichen Raum, ist für Haußmann etwas Wertvolles. Gerne kommt er dabei mit Passanten ins Gespräch.

„Es geht um das innere und äußere Sehen.“

Peter Haußmann (Bildhauer), zur Intention seines künstlerischen Arbeitens

Häufig verwendet Haußmann für seine Kunstwerke Stahl. Der schwere Werkstoff darf gerne in seiner ganzen Pracht und Präsenz erlebt werden, wie bei dem Anker und dem dazugehörigen Schiff, das keine schwere See fürchten muss. Besonders beeindruckend ist es, wenn Haußmann die Grenzen zwischen Schwere und Leichtigkeit verwischt. Wie bei dem Objekt mit dem mit Stahlblech beschlagenen Pappelholz, das an einer Kette hängt und dadurch ins Schwingen oder Pendeln gebracht werden kann. Doch irgendetwas gibt es da, was einem Respekt einflößt. Ist die Leichtigkeit vielleicht eine Täuschung? Das Objekt läuft zum Boden hin spitz zu. Was, wenn die Kette es nicht hält und man mit einem Fuß unter die Kunst kommt? Oder ist das Gefühl ganz falsch, dass die mit Metall ummantelte, scharfe Kante des Werks gar nicht so harmlos ist? Hat der Künstler daran gedacht, als er mit Kettensäge und Schweißgerät zu Werke ging? Haußmann schmunzelt bei laut ausgesprochenen Gedanken wie diesen, spricht von gespeicherter Energie, von der eine potenzielle Gefahr ausgehen könnte, und vom Umgang mit Masse.

„Wahnsinnsaktionen“ ist Peter Haußmann gewohnt. Dass viele seiner Arbeiten oder zuweilen auch Werkstoffe nur mit großen Transportern und Ladekran von A nach B gebracht werden können, das gehört einfach dazu. Aufwendige Events hingegen müssen nicht sein, doch Haußmann wagte sich hin und wieder an solche heran. So lud er beispielsweise zu Feuernachtklängen in den ehemaligen Backnanger Elisenhof und in sein früheres Atelier in der alten Lederfabrik Fritz Häuser in der Gartenstraße ein. 1000 Kerzen und Musik gaben den Rahmen für eine Art Happening, bei dem Haußmann glühenden Stahl bearbeitete.

Feuernachtklänge im Elisenhof Backnang 2002: Peter Haußmann hat Stahl mit der Feldschmiede erhitzt und zu einer Triangel geformt, Volkmar Schwozer (Saxofon) und Stanley McKee (Gitarre) improvisierten dazu. Rund 200 Gäste verfolgten die Szenerie. Foto: A. Wahl

Feuernachtklänge im Elisenhof Backnang 2002: Peter Haußmann hat Stahl mit der Feldschmiede erhitzt und zu einer Triangel geformt, Volkmar Schwozer (Saxofon) und Stanley McKee (Gitarre) improvisierten dazu. Rund 200 Gäste verfolgten die Szenerie. Foto: A. Wahl

Arbeiten wie Löten und Schweißen begleiten ihn seit seiner Ausbildung in jungen Jahren zum Elektromechaniker. Über den Umweg einer Ingenieurschule – dort erlangte er die Fachhochschulreife –, einiger Semester der elektrischen Energietechnik, des Studiums der Sozialpädagogik und der Anstellung am Berufsbildungswerk in Waiblingen fand er zur Kunst. „Dann war ich freischaffender Künstler, ohne Netz und doppelten Boden. Den Schritt habe ich nie bereut“, versichert Haußmann.

Lange war er im Verband Bildender Künstlerinnen und Künstler, heute ist er Mitglied beim Bund Bildender Künstler Karlsruhe. Einem Berufsverband anzugehören findet er wichtig.

Zu Haußmanns Arbeiten im öffentlichen Raum gehört der „Tisch, mit Erdschollen bedeckt“ von 1995 in der Talaue in Waiblingen, der bei einem Symposium entstanden ist. Auf dem überdimensionalen Tisch mit Erde auf der Tischplatte wachsen Pflanzen. „Die Verbindung von natürlichen und vom Menschen bearbeiteten Materialien ist typisch für Haußmann. Der württembergische Künstler rückt Veränderungsprozesse in der Natur in den Fokus. So unterliegt auch der Stahltisch, mit Erdschollen bedeckt, einem ständigen Wandel durch Umwelteinflüsse: Ursprünglich rahmte ein flacher rechteckiger Graben den Tisch. Die Erdschollen, die beim Ausheben dieses Grabens anfielen, platzierte Haußmann auf der Tischplatte. Heute ist der Graben nicht mehr erkennbar; durch Wind und Wetter teilweise abgetragen erscheinen die einst akkurat abgestochenen Schollen als formloser Hügel“, heißt es in einem Prospekt zum Talauekunstweg.

Typisch für Haußmann ist auch, dass dieser eine Ulme, die einmal am Backnanger Bahnhof stand und gefällt wurde, den Menschen zurückgegeben hat. In kleinen Kunstwerkteilen wurde sie wieder unter die Leute gebracht. Auch Zeitgeschichte wie den Mauerfall oder das Oderhochwasser thematisierte der Künstler mit Brocken aus der Berliner Mauer, die er für eine Arbeit verwendete, und Sandsäcken. Hier und in vielen Arbeiten schwingt das Unterwegssein mit, das Haußmann so liebt und das auch durchaus doppeldeutig verstanden werden kann – der Weissacher ist ein Künstler, der immer unterwegs zu neuen Herausforderungen ist.

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Erstellt:
13. April 2022, 11:30 Uhr

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