Renitenztheater in Stuttgart

Ein kleiner Kriminalfall und demokratische Großbaustellen

„Meinung macht mobil“ heißt die neue Eigenproduktion des Renitenztheaters über das Dauerstreitthema Verkehr in Stuttgart. Der Abend reißt viele Fragen an, aber bringt er ein Ergebnis?

Verkehr und Mobilität sind die großen Themen des neuen Stücks im Renitenztheater. (Archivbild)

© IMAGO/Arnulf Hettrich

Verkehr und Mobilität sind die großen Themen des neuen Stücks im Renitenztheater. (Archivbild)

Von Kathrin Horster

Wenn es um den Verkehr geht, wird es hitzig, gerade in Stuttgart und um den Kessel herum. Die Poser auf der Theo, die E-Roller in den Rabatten, die Autobauerkrise, der Stau, der Feinstaub, die Ewigbaustelle Stuttgart 21 sowieso – Fahrradfahrer und Fußgänger geraten da schnell unter die Räder.

So auch Benjamin (Ismael Boerner), der eines Abends per Rad unterwegs ist, und vom Pkw der Schwestern Lydia (Magdalena Ganter) und Linda (Angela Neis) aufgegabelt wird. Wie Ben konkret verunfallt ist – ob ihn die Schwestern angefahren, oder, wie Lydia behauptet, aus dem Straßengraben aufgelesen haben, um zu helfen – ist die große Frage und der kleine Kriminalfall in der Eigenproduktion des Renitenztheaters „Meinung macht mobil“ des deutsch-schweizerischen Autorenduos Elisabeth Hart und Rhaban Straumann. In der Regie von Annika Schäfer verhandelt das Stück aktuelle Streitthemen in Bezug zu Verkehr und Mobilität und entdeckt im Klein-Klein der Provinz überregional politische Probleme.

Unfall, Instagram-Diss und dann eine Entführung?

Ben ist nicht bloß Fahrradfahrer, sondern auch CDU-Politiker, der Linda, einer linken Verkehrsaktivistin, mit seinen Prollfotos vor dicken Karren bei Instagram auf die Nerven gegangen war. Also hat Linda Ben bei Insta gedisst, aber reicht das, um ihr nachzuweisen, sie habe Ben angefahren? Merkwürdig ist auch, dass die Schwestern nicht den Krankenwagen rufen, sondern Ben in einer Nacht- und Nebelaktion in Lindas Wohnung verfrachten, was man als Entführung deuten könnte. Anders als ihre Schwester beharrt Lydia darauf, unpolitisch zu sein, aber wegen des Feinstaubs nie aufs Fahrrad zu steigen. Ein weiteres Rätsel gibt Ben auf, der keinen Führerschein besitzt, obwohl er im Auftrag der CDU mit seinem PS-starken Untersatz prahlt.

Ein bisschen wirr klingt der Plot, aber den Autoren geht es offenkundig nicht um Plausibilität, sondern um Comedy. Und darum, möglichst viele Reizfragen hinsichtlich des Stuttgarter Verkehrschaos anzuschneiden, nicht nur in Dialogen, sondern auch in in die Handlung einmontierten Songs. Annika Schäfers Regie bändigt das Tohuwabohu mit geringsten Mitteln. Im ersten Teil hängt der noch bewusstlose Ben auf einem dem Publikum mit der Sitzseite abgewandtem Ledersofa. Hinter ihm kurbeln die Schwestern an drei schmalen, übermannshohen Transparent-Rollen an der Wand wechselnde Motive herbei.

Fazit: Witzige Songs, aber etwas Wichtiges fehlt

Zu einem Song über harte Männer gibt es Bilder von Kaiser Franz-Josef, dem Knackwurst essenden Markus Söder und von Pferdehoden in Großaufnahme. Wenig subtil aber lustig sind auch die wiederkehrenden, per Fingerschnippsen der Akteure eingeleiteten Publikumsadressen. Immer, wenn die Handlung auf diese Weise unterbrochen wird, versuchen Ben, Lydia oder Linda, den Leuten bestimmte Sichtweisen des Falles unterzujubeln. Die Songs, Regie-Einfälle und musikalischen Nummern sind witzig, wirklich bissig oder gar kontrovers politisch wird der Abend aber nie. Allgemeine Sentenzen wie „Blau wird doch nur gewählt, weil bei den Wahlen so viele blau machen“ sind das Höchste der Gefühle. Man müsse miteinander reden, damit Demokratie gelingen könne, lautet die Quintessenz des Abends. Das ist zwar nett und richtig, aber auch arg ratlos angesichts der gegenwärtigen Demokratie-Großbaustellen im Land.

Infos zur Veranstaltung

Nächste Vorstellungen:18., 19.11., 12.-14.12., jeweils 20 Uhr, 31.12., 17 Uhr, 20.30 Uhr.

Karten:renitenztheater.de

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Erstellt:
26. Oktober 2025, 15:44 Uhr
Aktualisiert:
26. Oktober 2025, 16:05 Uhr

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