Ein märchenhaft schöner Klassikauftakt im Bürgerhaus
Dirigent Samuel Lee verzaubert am Donnerstag mit seinen mehr als 80 Stuttgarter Philharmonikern das Publikum im Backnanger Bürgerhaus.
© Tobias Sellmaier
Christian Segmehl am Saxofon brilliert unter der Leitung von Samuel Lee. Foto: Tobias Sellmaier
Von Thomas Roth
Backnang. Einen glanzvollen Abend haben Dirigent Samuel Lee und seine mehr als 80 Stuttgarter Philharmoniker beim Eröffnungskonzert der Klassikreihe im Backnanger Bürgerhaus präsentiert. „Märchenhafte Zauberei“ lautete das Motto. Gastsolist war Christian Segmehl am Sopransaxofon. Mozarts Zauberflötenouvertüre in so großer orchestraler Besetzung erleben zu dürfen, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Dem typisch Mozartschen Groove und den genialen, der Wiener Klassik verbundenen Harmonien und Melodien kann sich der Klassikliebhaber sowieso nur schwer entziehen. Und wenn das dann so wuchtig, akkurat und doch gefühlvoll gespielt wird wie hier im voll besetzten Backnanger Bürgerhaus, erst recht nicht. Märchenhaft schön.
Für die englische Oboistin Jess Gillam komponierte der walisische Musiker Karl Jenkins das Konzert „Stravaganza“, das am 11. Juni 2023 in Berlin mit ebenjener als Solistin uraufgeführt wurde. In Backnang spielte der vielfach ausgezeichnete Christian Segmehl dieses lautmalerische und von Jenkins humorvoll augenzwinkernd gedachte Werk. Jenkins schrieb ja auch zutiefst Ernstes wie das weltbekannte „The Armed Man: A Mass For Peace“. Bei „Stravaganza“ heißt eine der Satzüberschriften auf Deutsch in etwa „Entspannter Spaziergang“ (in den Park oder Wald oder sonst wohin). Im Werk kann man die Schritte nachvollziehen, wenn die Cellisten mit der Hand auf das Griffbrett schlagen. Der zweite Satz ist sinngemäß mit „Träumen und Summen“ überschrieben und mit seinen ruhigen, lieblichen, melodischen Saxofonklängen durchaus ins Herz gehend. Die Streicher spielen zum Teil con sordino, also mit Dämpfer, was ebenfalls samtweiche Klänge erzeugt. Dynamisch bewegt sich die Musik hier im Piano- bis höchsten Mezzofortebereich.
Christian Segmehl musiziert in sich ruhend und steht über den Dingen
„Wacklige Räder“ haben Jenkins wohl beim dritten Satz inspiriert, bei dem sich ruhige und virtuose Sax-Passagen die Hand reichen, elegische Klänge der Streicher, außergewöhnliche Instrumentenkombinationen, sich rasch wieder auflösende Dissonanzen für extravagante, an Filmmusik erinnernde Klangbilder sorgen. Trillerpfeifen, im Rhythmus klatschende Musiker, atemberaubende Skalen auf dem Saxofon, rauf und runter, Dynamikwechsel von pianissimo zu fortissimo: Der vierte Satz vermittelt Partyrausch pur („Flight ... of Fancy“) und mündet in eine spektakuläre Coda.
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Christian Segmehl steht kraft seiner technischen Fähigkeiten absolut über den Dingen, musiziert in sich ruhend in ständiger Verbindung zu Samuel Lee. Sehr beeindruckend. Ebenso wie die Solozugabe. Nein, diesen Saxofonisten lässt das Backnanger Publikum nicht so einfach von der Bühne. Als Solozugabe spielt Segmehl „Shine You No More“ des Danish String Quartets. Und zwar die erste (Violin-)Stimme. Kompositorisch zugrunde liegt hier „Flow My Tears“ von John Dowland. Damit hat Segmehl dem Publikum eine wahre Preziose geschenkt.
Publikum dankt mit minutenlangem Applaus
Über Goethes „Der Zauberlehrling“ hat der 1865 in Paris geborene Paul Dukas eine Programmmusik geschrieben und das Stück als „Scherzo“ bezeichnet. Es steht im Fünfachteltakt: Interessant! Ganz nah, auch formal, hält sich der Freund von Claude Debussy an Goethes Text. Neben dem Fagott tritt hier, selten genug, prominent auch einmal die Bratsche in Erscheinung. Dukas hatte die Neigung, viele seiner Kompositionen wieder zu vernichten, da er sie nicht für gut genug hielt. Dass es „Der Zauberlehrling“ zu weltweiter Berühmtheit schaffte, ist auch dem Umstand zu verdanken, dass Walt Disney diese Komposition zu dem Zeichentrickfilm „Fantasia“ verwendet hat. Beim Konzertmotto „Märchenhafte Zauberei“ der Stuttgarter Philharmoniker darf dieses Stück nicht fehlen.
Die stilistische Vielseitigkeit der Stuttgarter Philharmoniker zeigt sich an diesem Abend auch bei ihrer Interpretation von Igor Strawinskys „Der Feuervogel“. Die zwölf Sätze der Ballettsuite für Orchester von 1945 (USA-Fassung) strotzen vor Energie. Nicht nur bei den Fortissimo-Tutti-Stellen, auch bei den zarten Passagen. Die böse Energie des Zauberers Kastschej wird von Iwan Zarewitsch besiegt. Der Feuervogel hilft ihm erfolgreich dabei. Prinz und Prinzessin finden zueinander. Neben der komplexen Rhythmik ist Strawinskys Klangsprache, und das gilt in ähnlicher Weise für Jenkins und Dukas, oft flirrend und schillert in allen erdenklichen Farben. Mit minutenlangem Applaus bedankt sich das Backnanger Publikum bei den Musikern und ihrem Chef Samuel Lee für die abendfüllende „Märchenhafte Zauberei“.
