Ein Spiel mit der Architektur

Alke Reeh aus Düsseldorf stellt in Backnanger Galerie aus

Mit festgefahrenen Sehgewohnheiten will die Düsseldorfer Künstlerin Alke Reeh brechen. Da blickt man auf ein Spiegelobjekt im gotischen Chor der Städtischen Galerie Backnang, und es ergeben sich ganz neue Sichtweisen auf Details der Wände und Decken. Heute wird die Ausstellung „drehen und wenden“ eröffnet.

Alke Reeh hat schon in vielen Ländern gearbeitet und ließ sich von anderen Kulturen inspirieren.

Alke Reeh hat schon in vielen Ländern gearbeitet und ließ sich von anderen Kulturen inspirieren.

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Auf die außergewöhnliche Architektur der Städtischen Galerie mit dem dazugehörigen gotischen Chor der ehemaligen Pfarrkirche St. Michael wurde die Künstlerin Alke Reeh im Internet aufmerksam. Architektur spielt eine wesentliche Rolle in ihren Arbeiten. Wie geschaffen erschien ihr die Räumlichkeit für die Installation ihres Werkes „Decke reflektierend“, bei dem fünfeckige Spiegel in unterschiedlichen Neigungswinkeln Details einfangen, die im Ursprungskontext eher übersehen werden. „Durch die verspiegelten Flächen entzieht sich die Skulptur in gewisser Weise dem Blick, sie nimmt die Oberfläche der Wände und Decken auf und leibt sich diese ein“, so die Künstlerin. Kurzerhand schickte sie einen Katalog ihrer Arbeiten nach Backnang. „Wir bekommen viele Anfragen“, sagt Galerieleiter Martin Schick. Bei den allermeisten kommt es nicht zu einer Ausstellung. „Die Arbeiten müssen auch hierher passen.“ Das ist bei Alke Reeh der Fall.

Wandplastik ist aus Garagentor entstanden

Bei einem Vorab-Rundgang führte die Künstlerin gestern durch die Ausstellung. Sie arbeite analytisch-spielerisch, etwa bei einer Wandplastik aus Metall, die aus einem Garagentor entstanden ist. Das Grundmaterial wurde auseinandergeschnitten, zusammengefügt und Segmente entfernt, sodass ein ornamentales Muster entsteht, das an arabische Länder erinnert. Außer ihrem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf studierte sie Metallgestaltung an der Fachhochschule Hildesheim. Aber Alke Reeh arbeitet mit ganz unterschiedlichen Materialien.

Ornamente und Motive, die von fernen Ländern inspiriert sind, fließen immer wieder in die Werke ein. Alke Reeh ist viel gereist. Schon mit ihren Eltern entdeckte sie zahlreiche Länder. Später war sie auch künstlerisch auf verschiedenen Kontinenten tätig. Stipendien führten sie nach Frankreich und Mexiko oder sechs Monate lang ins indische Mumbai. Dort durfte sie eine indische Künstlerin vorschlagen, die dann ein halbes Jahr nach Köln kam. Bei einem Aufenthalt in Saudi-Arabien unterrichtete sie an einer Frauenuniversität in Riad. Übrigens legen die Studentinnen ihre Verschleierung an der Uni ab, sobald sie nur unter Frauen sind, weiß Alke Reeh.

Die Fotografie eines Gebäudes in Indien ist in der Ausstellung zu sehen. Durch das Fotopapier hat die Künstlerin ein Muster gestickt, das von der Ferne wie ein Vorhang wirkt und bei näherer Betrachtung in einzelne Fragmente zerfällt. Die Aufnahme einer Müllhalde in der Altstadt von Riad ist ebenfalls mit einem Muster überlagert, sodass davor eine zweite Ebene und eine räumliche Wirkung entstehen. Plastiktüten sind ausgestellt, die in Indien kunstvoll und aufwendig bestickt wurden, obwohl sie wie bei uns schnell im Abfall landen. „Es entspricht einer Umkehrung der Zeitwirtschaft. Die Durchlaufzeit einer Tüte steht in keiner Relation zu der immens hohen Produktionszeit einer Stickerei“, sagt die Künstlerin.

Das Motiv „Vorhang“ nimmt sie im Raum daneben wieder mit einer Holzskulptur mit Kreidegrund in Schleifenform auf, die dem Fall einer Gardine nachempfunden ist.

Intensiv setzt sich Alke Reeh mit der Materialität und den Grundformen von Objekten auseinander. Dabei stellt sie oft Formen über Faltungen oder Durchdringungen her. Vertiefungen und Flächen ergeben sich. Die Künstlerin arbeitet mit Holz, Textilien oder Papier bei ihren Wand- und Bodenobjekten, Installationen und Plastiken. Eine Fotografie ihrer Atelierdecke in Originalgröße hat sie in Fächerform zusammengefaltet. Das Halbrund wird durch eine Spiegelung zu einem runden Objekt ergänzt, und der Betonkoloss der Zimmerdecke scheint im Raum zu schweben.

Die Themen Falten und Durchdringung nimmt Alke Reeh nochmals in einer Installation aus mehreren Zelten auf. Sie sind ineinander verschachtelt, sodass ein Eingang eigentlich nicht möglich ist. Windgeräusche sind zu hören und man glaubt, leise Stimmen in einer fremden Sprache zu vernehmen. Die Inspiration dazu bekam sie, als sie in die Innere Mongolei im Norden Chinas eingeladen war. Die Regierung versuche dort, die Nomaden sesshaft zu machen. „Ein Zelt bedeutet ankommen und weiterziehen. Durch den Wechsel des Standpunktes wird das Neue und das Vertraute gleichermaßen mit Abstand betrachtet. Durch das Heraustreten aus dem Gewohnten wird der Blick neutralisiert. Somit sammelt man Erfahrungen in beide Richtungen, das neue Fremde und das entfremdete Vertraute“, lauten die Gedanken der Künstlerin dazu.

„Decke reflektierend“: Arbeit von Alke Reeh im gotischen Chor. Fotos: P. Wolf

„Decke reflektierend“: Arbeit von Alke Reeh im gotischen Chor. Fotos: P. Wolf

Info
Heute Vernissage

Die Ausstellung „drehen und wenden“ wird am heutigen Freitag, 20. September, in der Galerie der Stadt Backnang, Petrus-Jacobi-Weg 1, eröffnet.

Eine Einführung bei der Vernissage um 20 Uhr hält Galerieleiter Martin Schick. Die Künstlerin wird anwesend sein.

Die Ausstellung kann bis 10. November besichtigt werden. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.

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Erstellt:
20. September 2019, 11:30 Uhr

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