Trauerrednerin und Autorin Louise Brown: „Das Wichtigste sind unsere Beziehungen“

Interview Die Trauerrednerin und Buchautorin Louise Brown kommt zu einer Lesung ins Backnanger Bestattungshaus „Zur Ruhe“. Im Interview spricht sie über ihren persönlichen Umgang mit Tod, Trauer, Abschiednehmen und darüber, was von uns bleibt, wenn wir sterben.

Seit dem Tod ihrer Eltern beschäftigt sich Louise Brown mit dem Thema Trauer und hat ein Buch über ihre Erfahrungen als Trauerrednerin geschrieben. Foto: Gene Glover /© Diogenes Verlag

Seit dem Tod ihrer Eltern beschäftigt sich Louise Brown mit dem Thema Trauer und hat ein Buch über ihre Erfahrungen als Trauerrednerin geschrieben. Foto: Gene Glover /© Diogenes Verlag

Die Idee zu ihrem Buch „Was bleibt, wenn wir sterben“, aus dem sie am kommenden Freitag in Backnang liest (siehe Infotext), hatte Louise Brown schon vor einigen Jahren. Aber es hat eine Weile gedauert, bis sie den Mut fasste, sich der komplexen Themen Tod, Trauer und Abschiednehmen zu widmen. Das Buch und ihre Lesungen zeigen Brown, dass doch viele Menschen über diese scheinbaren Tabuthema reden möchten und sich damit beschäftigen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich mit den Themen Tod und Trauer auseinanderzusetzen?

Ob es einen richtigen Zeitpunkt gibt, ist schwer zu beantworten. Es ist auf jeden Fall gut, wenn man sich im Leben damit beschäftigt. Ob man das als jüngerer Mensch tut oder als älterer, muss jeder für sich herausbekommen. Ich habe in der Vergangenheit erlebt, dass wir in der Familie nicht darüber sprechen konnten. Meine Eltern haben diese Themen nie angeschnitten. Als sie gestorben sind, ich war Mitte 30, war es, als hätte ich keine Sprache dafür. Ich spreche mit meinen Kindern nicht detailliert über meine Arbeit. Aber wenn ich auf dem Waldfriedhof war und es ein wunderschöner Tag war, dann erzähle ich ihnen davon. Oder ich erzähle, wenn der Sarg mal grün war. Und ich antworte, wenn sie Fragen zum Thema haben. Man kann früh in der eigenen Familie dafür sorgen, dass es nicht so ein schweres, sperriges, gruseliges Thema ist.

Mit dem Wissen, das Sie heute haben, wären Sie mit dem Verlust Ihrer Eltern vor elf Jahren anders umgegangen?

Ja. Heute als Trauerrednerin weiß ich, dass Sprechen zu einer gewissen Offenheit führt. Es ist dann für alle Beteiligten ein wenig einfacher, mit der Trauer umzugehen. Ich weiß, was es bedeuten kann, wenn die Trauerfeier gelingt, wenn es ein schöner Abschied wird. Das kann für die Trauer ganz viel ausmachen. Ich hatte zum Zeitpunkt der Beerdigung meiner Eltern absolut keine Erfahrung damit. Wir haben die Feiern gestaltet, wie wir dachten, dass man sie gestalten müsste, und sie waren nicht persönlich. Ich habe meine Eltern in den Trauerfeiern nicht wiedergefunden. Bei meiner Mutter hätte ich zum Beispiel statt einer Hymne eher einen Popsong gespielt. Es gibt einiges, was man tun kann, damit der Weg, der ohnehin schwer ist, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, nicht noch schwerer wird.

Es gibt Menschen, die bereiten ihre eigene Beerdigung vor und erstellen ein Konzept. Wie kommt das bei den Angehörigen an?

Man muss seine eigene Beerdigung nicht komplett durchplanen. Das kann es den Angehörigen auch erschweren. Doch ich erlebe oft, dass es sehr schön ist, wenn ein Element geplant wurde. Wenn die Angehörigen zum Beispiel wissen: Ah, Mama hat sich dieses Lied ausgesucht für ihre Abschiedsfeier. Das ist oft tröstlich, weil die Angehörigen ihren Verstorbenen in diesem Moment wiederfinden und das Gefühl haben: Mama hat mitgemacht bei der Abschiedsfeier. Manchmal kann es hilfreich und erleichternd sein zu wissen, dass der Papa sich eine Erdbestattung gewünscht hat. Die Abschiedsfeier ist vor allem für die Hinterbliebenen, da sollte etwas Freiraum oder Bewegungsfreiheit möglich sein.

Trauerrednerin und Autorin Louise Brown: „Das Wichtigste sind unsere Beziehungen“

Die Bestattungsformen unterliegen einem starken Wandel. Kommt es auf die Bestattungsform an, was von uns bleibt, wenn wir sterben?

Ich arbeite jetzt seit acht Jahren als Trauerrednerin. In den ersten Jahren war etwa jede dritte Beerdigung eine Erdbestattung. Jetzt sind es noch zwei pro Jahr. Es ist selten geworden, dass es eine Erdbestattung gibt. Ich glaube, es spielt keine Rolle, ob jemand in der Urne oder im Sarg beigesetzt, in der See oder im Begräbniswald bestattet wird. Wichtig ist, dass die Abschiedsfeier den Menschen, der gestorben ist, widerspiegelt und dass man diesen Menschen irgendwie spürbar macht. Dann kann eine Abschiedsfeier traurig und gleichzeitig schön sein. Die Abschiedsfeier ist nicht nur Abschied, sondern markiert auch den Beginn des neuen Lebens ohne die verstorbene Person.

Sie sagen, der Abschied ist der Anfang von etwas Neuem. Kann ich mich als angehörige Person darauf vorbereiten, wie ich mit dem Verlust, dem Schmerz und dem Leid umgehe?

Man kann sich nicht auf den Schmerz vorbereiten. Doch man kann sich darauf vorbereiten, dass es schmerzen könnte. Bei mir war es so, dass ich im ersten Jahr nach dem Tod meiner Eltern total schlecht geschlafen habe. Ich bin gebürtige Britin, mein Deutsch wurde in diesem Jahr sehr viel schlechter. Ich konnte mich schlecht konzentrieren und ich habe überhaupt nicht verstanden, dass das vielleicht mit meiner Trauer zusammenhängen könnte. Ich hätte nie gedacht, dass die Trauer so starke, auch körperliche Auswirkungen haben kann. Dem kann entgegengewirkt werden, indem man sich damit auseinandersetzt und versucht, Verständnis für die eigenen Reaktionen aufzubringen. Was auch viel ausmacht, ist ein Netz von Menschen, die einen auffangen. Gespräche können helfen, nicht so alleine mit seinen Gedanken zu sein. Als trauernder Mensch versteht man sich oft selbst nicht. Die Emotionen sind so komplex. Da ist schön, Menschen an seiner Seite zu haben.

Ihr Buch lässt sich aus zwei Perspektiven lesen: aus der Sicht von jemandem, der einmal ein trauernder Angehöriger sein wird. Aber auch aus dem Blickwinkel von jemandem, der selbst einmal stirbt. Habe ich einen Einfluss darauf, was von mir bleibt, wenn ich sterbe?

Ich finde schon. Es war für mich eine ganz interessante, wichtige Erfahrung, mir diese Frage zu stellen. Was bleibt von mir, wenn ich sterbe? Wird mein Sohn sagen, „meine Mutter saß immer nur am Computer und hat Bücher über Trauer geschrieben“? Oder wird er sagen, „meine Mutter konnte immer ihren Laptop zumachen, wenn ich sie gebraucht habe. Sie war immer für mich da“? Wenn er diesen Satz über mich äußern würde, hätte ich ein ganz großes Lebensziel erreicht. Wenn man sich diese Frage stellt, gewinnt man eine andere Perspektive auf das eigene Leben. Dann fragt man sich: Ist es wirklich so wichtig, dass ich jetzt noch einen Auftrag annehme, dass ich mir noch ein größeres Auto kaufe? Oder ist es vielleicht wichtiger, dass ich Zeit mit meinen Kindern verbringe oder dass ich die Reise mache, die ich immer machen wollte? Man gewinnt daraus die Erkenntnis über das, was wirklich wichtig ist im Leben. Was ich als Trauerrednerin sehe: Das Wichtigste sind unsere Beziehungen. Die gemeinsame Zeit, die man miteinander verbringt, ist viel wichtiger als alles Materielle.

Sie schreiben, dass Trauer für Sie ein wertvoller Schmerz ist. Dass Sie das so betrachten, wurde das durch diese Selbstreflexion angestoßen?

Auf jeden Fall. Es gibt aber auch Trauer, die so schmerzhaft ist, gerade wenn junge Menschen sterben, dass daran nichts wertvoll ist. In anderen Situationen kann Trauer auch ein wertvoller Schmerz sein. Speziell in meinem Fall habe ich durch den Tod meiner Eltern viel gelernt, zum Beispiel, das Leben mit mehr Demut zu betrachten und sehr viel dankbarer zu sein. Mein Leben hat an Intensität gewonnen, als ob ein Filter darüber gelegt wurde. Wenn meine Kinder Quatsch machen oder so, Dinge, bei denen ich früher auf die Uhr geguckt und zum Aufbruch gedrängt hätte, betrachte ich es jetzt anders und bin dankbar dafür, dass sie so lebendig sind und so lachen. Ich bin dankbar für dieses chaotische Leben, das man ja manchmal führt, und für den Alltag. Darin liegt etwas Wertvolles für mich. Wird man sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst, gewinnt das Leben an Wert.

Das Gespräch führte Nicola Scharpf.

Autorenlesung im Bestattungshaus

Leben Louise Brown, geboren 1975 in London, zog als Jugendliche mit ihrer Familie ins norddeutsche Ostholstein. Sie studierte Politikwissenschaft in Nordengland, Kiel und Berlin. Sie ist Journalistin und auch als Trauerrednerin tätig. In ihrem Podcast „Meine perfekte Beerdigung“ spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. Brown lebt mit ihrem Partner, zwei Kindern und Hund in Hamburg.

Buch „Was bleibt, wenn wir sterben. Erfahrungen einer Trauerrednerin“: Nach dem Tod ihrer Eltern versucht die Journalistin Louise Brown, der Endlichkeit des Lebens etwas Sinnstiftendes abzugewinnen. Sie wird Trauerrednerin und Zeugin dessen, was von uns bleibt. Dies verändert nicht nur ihre Einstellung zum Tod, sondern auch ihre Haltung zum Leben. Ein tröstendes und befreiendes Buch, das Mut macht, das Leben auf die Dinge auszurichten, die von Bedeutung sind. Hardcover Leinen, 256 Seiten, erschienen September 2021 bei Diogenes. ISBN 978-3-257-07176-4.

Lesung am Freitag, 25. November, um 18 Uhr im Abschiedshaus „Zur Ruhe“, Sulzbacher Straße 99 in Backnang. Moderiert wird der Abend von Trauerrednerin Saskia Kähny. Den Büchertisch macht Osiander.

Zum Artikel

Erstellt:
19. November 2022, 16:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
Faszination Theater: Am heutigen Welttheatertag wird es in all seinen Facetten gefeiert. Ob actiongeladener Fechtkampf wie jener zwischen Mercutio (links) und Tybalt im Stück „Romeo und Julia“ im Bandhaus oder andächtiger Monolog, das Theater sprüht vor Leben.
Top

Kultur im Kreis

Vorhang auf: Welttheatertag im Raum Backnang

Heute wird der Welttag des Theaters gefeiert. Er soll auf die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Theaters in all seinen Facetten aufmerksam machen. Wir haben mit Theaterschaffenden aus dem Raum Backnang über ihre Begeisterung für die Bühne gesprochen.

Kultur im Kreis

Bläserphilharmonie Rems-Murr spielt im Backnanger Bürgerhaus

Beim Konzert zu ihrem 35. Geburtstag begeistert die Bläserphilharmonie Rems-Murr das Publikum im Backnanger Bürgerhaus. Vom ersten Ton an zelebriert Dirigentin Heidi Maier mit ihrem Orchester ein Fest für Freunde der sinfonischen Blasmusik.

Kultur im Kreis

Die Bilder von Heiner Lucas sind wie gemalte Feuerwerke

40 Gemälde, die bisher noch nicht dem breiten Publikum gezeigt worden sind, umfasst die gestern eröffnete Sonderausstellung „Heiner Lucas – Malerei“ zum 80. Geburtstag des Kunstmalers in der städtischen Kunstsammlung Murrhardt.