Im Stadtpalais und in der Oper in Stuttgart

Max Herre gleich zweimal erleben

Eine Ausstellung wie ein begehbarer Geschichtspodcast im Stadtpalais und zwei feiertagstaugliche Konzerte an Weihnachten in der Oper: Im Dezember kann man in Stuttgart tief in das Werk von Max Herre eintauchen.

Will Stadtgeschichte auf lebendige Art vermitteln: der Musiker Max Herre

© pr/Saeed Kakavand

Will Stadtgeschichte auf lebendige Art vermitteln: der Musiker Max Herre

Von Ingmar Volkmann

Der Begriff des Erzählers ist bedroht: Heutzutage sprechen Werber, Berater und andere Scharlatane in den unpassendsten Zusammenhängen vom Storyteller. Mit einem total authentischen Storytelling lassen sich Produkte gleich viel besser verkaufen. Das ist ungerecht den echten Erzählern gegenüber, wie der Sänger, Songwriter, Rapper und Produzent Max Herre einer ist. Im Dezember sind seine Geschichten gleich zweimal in Stuttgart zu erleben. In der Ausstellung „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“, die Geschichte erzählt anhand der gleichnamigen Single der Hip-Hop-Band Freundeskreis. Und an der Staatsoper Stuttgart: Hier treffen Herres Texte am zweiten Weihnachtsfeiertag in zwei Konzerten auf das Mikis Takeover! Ensemble.

Zwischen Ausstellung und Auftritten

Die kurzen Wege an der Stuttgarter Kulturmeile machen einen Stadtspaziergang möglich, bei dem man in die 25-jährige musikalische Laufbahn von Max Herre eintauchen kann. Startpunkt Stadtpalais, letzte Ausstellungsvorbereitungen. Hier putzt der Chef noch selbst: Max Herre legt an einer Vitrine Hand an und positioniert drei historische Fotos aus dem einstigen Freundeskreis-Studio in Kaltental neben das Textbuch, in dem vor über 25 Jahren der Text zur Single „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ entstanden ist. Anschließend wischt er sorgfältig den Deckel des Schaukastens ab.

„Viele Menschen schrecken zurück, wenn sie Geschichte hören / Geschichte, vier langweilige Stunden pro Woche in der Schule / Oder was, das lange her ist oder immer ohne einen passiert“: So lauten die ersten Zeilen der Single, die vor einem Vierteljahrhundert Hörgewohnheiten durcheinanderwirbelt.

Mit seiner Band Freundeskreis bringt Herre eine neue Form des Erzählens in den deutschen Hip-Hop. Die Texte gehen über den oft engen Rap-Kontext hinaus. In „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ werden politische Themen behandelt, vom Chile-Putsch von 1973 bis zum Giftgasangriff auf die hauptsächlich von Kurden bewohnte irakische Stadt Halabdscha im Jahr 1988. „Auf einmal kommt ein Deutscher und redet über mein Volk. Das hat mich umgehauen“, sagt Rapper Azad, der kurdische Wurzeln hat, im Buch „Könnt Ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap“ über den Moment, als er die Single erstmals hört.

Jenem Song widmet das Stadtpalais in Stuttgart nun eine ganze Ausstellung. Die Schau ist ein Hörerlebnis wie ein begehbarer Geschichtspodcast in 3-D, mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Ausgestattet mit einem Audiosystem, läuft der Besucher verschiedene Hörstationen ab. Dabei wird er auf zehn Zentimeter genau geortet, sodass ein neues Kapitel erzählt wird, sobald man in einen bestimmten thematischen Radius tritt.

Ein Song erzählt Weltgeschichte

„Wir wollten nicht die nächste Ausstellung machen, in der Backstage-Bändel zu sehen sind. Stattdessen steht ein biografisches Lied im Fokus, von dem aus Weltgeschichte erzählt wird. Der Song passt in eine politische Ausstellung, in der die Erzählung von linker Protestkultur in Stuttgart gespiegelt wird“, erklärt Max Herre das Konzept der Schau. „Die Stationen heißen Protestwolken und sollen aussehen wie ein Schilderwald bei einer Demo.“ Nicht nur Historikern sollte in der Ausstellung das Herz aufgehen, beweist sie doch, dass man (Stadt-)Geschichte auf lebendige Art und Weise vermitteln kann. „Es gab schon immer eine starke außerparlamentarische Stimme in Stuttgart, von der Arbeiterinnenbewegung bis zum CSD. Die Stadt ist nicht nur reaktionär: Hier gibt es Menschen, die einstehen für eine solidarische Stadtgemeinschaft und sich zum Beispiel gegen Neofaschismus positionieren.“

Max Herre hat bei der Ausstellungskonzeption inhaltlich eng mit Torben Giese, dem Direktor des Museums, zusammengearbeitet, textlich unterstützt vom Stuttgarter Romanautor Wolfgang Schorlau. Die Schau schaut nicht nur in die Vergangenheit, sondern thematisiert auch die Gegenwart: „Es fehlt heute nicht an starken Stimmen der Gegenkultur“, sagt Herre. In der Mitte des Ausstellungsraums ist der Künstler auf Bildschirmen zu sehen und zu hören im Gespräch mit drei Aktivistinnen von Fridays for Future über Migrantifa bis Seebrücke. „Es geht darum, wie sich der Protest hier konstituiert hat und wie er fortlebt“, erklärt Herre und führt das Interview beim Spaziergang in Richtung Staatsoper fort.

Zwei Auftritte an der Staatsoper

Auch dort ist „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ Thema. An der Oper wird das Stück bei zwei Konzerten am 26. Dezember zu hören sein, als Teil von Herres Geschichten, verpackt in ein klassisches Instrumentarium: „Miki Kekenj hat die Arrangements geschrieben für Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Harfe und Klarinette. Es gibt kein Rhythmusinstrument: Ich bin mit meinem Rap Taktgeber. So kriegen die Texte einen anderen Stellenwert.“

Herre präsentiert Solo-Songs und Freundeskreis-Stücke, gemeinsam mit der Sängerin Ray Lozano und begleitet von einem klassischen Kammermusik-Ensemble. „Ich finde die Öffnung gut. Wenn auch ein jüngeres Publikum das Haus über solch einen Abend entdeckt und sich dann auch mal ein Ballett oder eine Oper anschaut, tut das den Staatstheatern gut.“

Inspiriert vom Geschichtslehrer

Der 49-Jährige sieht Parallelen zwischen der Staatsoper und dem Stadtpalais und deren Verantwortlichen, Intendant Viktor Schoner und Museumsdirektor Torben Giese: „Für die Häuser ist es nicht schlecht, wenn die Macher aus einer anderen Stadt kommen, weil sie mit einer anderen Neugier und einem unverstellten Blick auf Stuttgart und seine Kultur blicken und Protagonisten von hier ganz anders einbinden.“ Zum Abschied verrät Herre noch, wie der Titel „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ entstanden ist. Der Satz stammt von seinem Lehrer im Leistungskurs Geschichte am Stuttgarter Schickhardt-Gymnasium. Eine erfolgreiche Rap-Single, inspiriert von einem in Dialektik geschulten Pädagogen – wenn das mal keine gute Geschichte ist.

Zweimal Herre im Dezember

Ausstellung Die Ausstellung „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ ist bis zum 15. Januar 2023 im Stadtpalais – Museum für Stuttgart zu sehen und zu hören. Mehr Infos unter www.stadtpalais-stuttgart.de.

Konzerte Am Montag, 26. Dezember 2022, ist Max Herre gemeinsam mit Mikis Takeover! Ensemble um 16 und um 19.30 Uhr auf der Bühne der Staatsoper Stuttgart zu erleben. Mehr Infos unter www.staatsoper-stuttgart.de.

Max Herre in seiner hörens- und sehenswerten Ausstellung im Stadtpalais

© pr/Saeed Kakavand

Max Herre in seiner hörens- und sehenswerten Ausstellung im Stadtpalais

Die Ausstellung dreht sich um den Freundeskreis-Song „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“.

© pr/Saeed Kakavand

Die Ausstellung dreht sich um den Freundeskreis-Song „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“.

Ausgehend von dem Stück wird Weltgeschichte erzählt und Stuttgarter Protestkultur thematisiert.

© pr/Saeed Kakavand

Ausgehend von dem Stück wird Weltgeschichte erzählt und Stuttgarter Protestkultur thematisiert.

An der Staatsoper Stuttgart wird Herre am 26. Dezember zweimal zu hören sein.

© pr/Saeed Kakavand

An der Staatsoper Stuttgart wird Herre am 26. Dezember zweimal zu hören sein.

Herre wird an der Oper von Mikis Takeover! Ensemble begleitet.

© pr/Saeed Kakavand

Herre wird an der Oper von Mikis Takeover! Ensemble begleitet.

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Erstellt:
9. Dezember 2022, 10:52 Uhr
Aktualisiert:
16. Dezember 2022, 13:51 Uhr

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