Wilhelma Theater

Viele Worte, wenig Inhalt

Wolfram Lotz’ Textungetüm „Die Politiker*“ handelt von der Sinnentleerung der Wirklichkeit. Jozef Houben inszeniert das Stück mit Studierenden der Stuttgarter HMDK im Wilhelma Theater.

Ein Stück zwischen Wort-DaDa und Spieltrieb

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Ein Stück zwischen Wort-DaDa und Spieltrieb

Von Kathrin Horster

Die armen Politiker! Ständig sind sie Zielscheibe des Spotts und der Häme. Treten sie in die Öffentlichkeit, fliegt schon mal ein Ei oder eine Tomate. Sie arbeiten viel und ernten Hass, wenn sie ihre Diäten erhöhen. Wenn sie sich prominent verlieben, lästern die Leute. Wenn sie in New York einen Coffee-To-Go im Pappbecher kaufen, erheben sich Shitstürme wegen der Umweltverschmutzung. Soll einer eine Rede halten bei einem Event, ätzt ein Kollege, das sei doch der Falsche für den Job. Egal, was Politiker – gleich welchen Geschlechts – tun, sie bekommen immer eins auf die Mütze. Jemand sollte endlich diese öffentlichen Reibungsflächen und Klischees in einem literarischen Text verarbeiten, zum Beispiel für das Theater.

Sinn ist Nebensache

Der deutsche Autor Wolfram Lotz kam dieser Forderung mit seinem Stück „Die Politiker*“ nach. Der Regisseur Jozef Houben hat Lotz’ Sprachungetüm nun mit Studierenden der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart am Wilhelma Theater inszeniert. Ein wahres Textmonster ist Lotz’ Text, weil er konsequent Sinn verweigert, den Spielenden dafür Stanzen und Satzhülsen mit der Anfangsformel „Die Politiker…“ in den Mund legt, die durch Mimik, Gestik, mündliche und musikalische Gestaltung im den jeweiligen Raum immer wieder neu mit Bedeutung aufgeladen werden können. Auf freier, von vier an Seilzügen hängenden Tafeln begrenzter Spielfläche tummeln sich acht Akteure.

Im Feinrippunterhemd

In Feinrippunterhemd und Jogginghose

Einer trägt ein weißes Feinrippunterhemd zu grauer Jogginghose und blau-weiß-rot längs gestreiftem Bademantel. Ein anderer steckt in einem schlecht sitzenden Anzug in DDR-Grau mit blauer Beamtenschirmmütze und farblich passendem Schlips. Ansonsten wirken die Kostüme (Kersten Paulsen) wie aus dem Fundus eines psychedelischen Science-Fiction-Films der 1960er geplündert. Vor der Bühne begleitet eine dreiköpfige Band mit Kontrabass, Schlagzeug und Klavier das Tohuwabohu. Bei vielen Spielterminen übersetzen Gebärdendolmetscherinnen den Text für Gehörlose simultan am Bühnenrand. Es ist also viel los, nur eines fehlt in den 75 Minuten Spielzeit: der Inhalt. Eine gewisse Zeit ist Lotz’ dadaistischer Nonsens lustig anzuhören. „Die Politiker tragen Nikes und wohnen in Häusern aus Lehm“, heiß es zu Beginn. „Die Politiker schlafen auf dem Bauch und da bin ich auch.“

Der Text spielt bald aber keine Rolle mehr und verkommt zum Hintergrundrauschen, weil er nichts Substanzielles sagt über die Wirklichkeit. Man kann jedoch genau das zum Sinn und Zweck von Lotz’ Literatur erklären; dass die inhaltsleeren Textflächen dazu da sind, dem Publikum die Sinnlosigkeit der Realität vor Augen zu führen. Es heißt, wirkliche gute Mimen brauchten bloß das Telefonbuch vorzulesen, und es sei fesselnd. Die acht Studierenden der Schauspielschule geben ihr Bestes, um die steile These zu belegen. Auch wenn das Stück keine individuellen Figuren enthält, gestalten Eva Habenicht, Lotte Henning, Richard Kipp, Mika Pavle Kuruc, Vittoria Mensah, Philip Süs, Nico Voigtmann und Annalisa Weyel anhand der im bisherigen Studium erlernten Mittel einzelne Charakterköpfe.

Vom Jammern zum Jubilieren

Vom Jammern zum Jubilieren

Die Studierenden zeigen die Bandbreite sprachlicher Gestaltungsformen wie das rhythmisch phrasierte, chorische Sprechen, die Betonung von Konsonanten am Ende eines Wortes mit hart abgegrenztem ‚t‘ oder gezischtem ‚s‘, den Wechsel von Laut und Leise, von Jammern zu Jubilieren. Im Zusammenhang mit Bewegung, Rhythmus und teils extrem ausgeprägter Mimik entsteht Spiel, unabhängig vom Text, der hier als Lore-Ipsum-Stellvertreter dient, um eben diese Schauspieltechniken anzuwenden.

Das heißt nicht, dass nicht auch immer wieder schöne oder witzige Bilder entstehen, vor allem im Zusammenwirken mit der wirklich guten Band, die, an die jeweilige Situation angepasst, Swingjazz, Lautmalerei und musikalisch organisierten Krach beisteuert. Wer konventionell gestaltete Rollen im Rahmen einer Handlung erwartet, könnte sich aber auch von diesen Politikern verschaukelt fühlen.

Informationen und Termine unter www.wilhelma-theater.de/spielplan

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Erstellt:
6. Oktober 2025, 16:26 Uhr

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