Top-Kinothriller

„A House of Dynamite“ – Einer der großen Filme des Jahres

Ein atomarer Sprengkörper nähert sich den USA, alle Versuche, ihn zu stoppen, bleiben vergeblich: „A House of Dynamite“ ist ein erstklassiger Thriller.

Rebecca Ferguson in  „ A House of Dynamite“

© Netflix/Landmark Media

Rebecca Ferguson in „ A House of Dynamite“

Von Patrick Heidmann

Siebzehn Jahre ist es her, dass Kathryn Bigelow für „The Hurt Locker“ als erste Frau überhaupt mit einem Oscar in der Regie-Kategorie ausgezeichnet wurde und sich endgültig ihren Platz in der Filmgeschichte sicherte. Doch während männliche Filmemacher nach dem Erreichen des Karrierehöhepunkts nicht selten auf ein nahezu unantastbares Podest erhoben werden, wird Bigelow seither zusehends kritischer beäugt. „Zero Dark Thirty“ sorgte etwa 2012 für höchst kontroverse Debatten, in denen die Vorwürfe von „zu unkritisch gegenüber der Obama-Regierung“ bis „Folter-Propaganda“ reichten, fünf Jahre später fielen die Reaktionen auf „Detroit“ höchst verhalten aus, nicht zuletzt auch an den Kinokassen. Wohl auch deswegen gehörte ihr neuer Film im diesjährigen Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig für viele nicht zu den Werken, denen jeder entgegenfieberte. Was die Erkenntnis am Ende umso erfreulicher machte, dass der Amerikanerin mit „A House of Dynamite“ einer der ganz großen Filme des Jahres gelungen ist.

In 19 Minuten soll die Bombe einschlagen

Dass die Zeiten vorbei sind, in denen sich die Weltgemeinschaft einig war, dass eine globale Abrüstung deeskalierende Wirkung hat, stellt der Film gleich zu Beginn mit einer nüchternen Texttafel fest. Die Atomwaffen, die längst wieder jede Möchtegern-Weltmacht in ihrem Arsenal haben will, sind der Sprengstoff, der „A House of Dynamite“ den Titel gibt. Und mittendrin in eben diesem Haus, das allzeit in die Luft fliegen könnte, sitzen selbst die USA und ihr Politbetrieb, wie sich in dieser von Noah Oppenheim („Jackie“) geschriebenen Geschichte schnell zeigt.

Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere in Washington D.C. und dem das Weiße Haus umgebenden Kosmos, im White House Situation Room genauso wie bei der Federal Emergency Management Agency, im Pentagon genauso wie auf den diversen Militärbasen. Beim Präsidenten (Idris Elba) jagt ein Termin den nächsten, sodass kaum Zeit für ein Telefonat mit der in Afrika weilenden Gattin bleibt, derweil gönnt sich der Verteidigungsminister (Jared Harris) eine Auszeit beim Golf. Doch dann registriert man eine im Pazifik abgeschossene, womöglich nukleare Rakete. Wer sie gestartet hat, ist nicht auszumachen, doch die Hoffnung, sie könne schnell über dem Meer verpuffen, erfüllt sich nicht. Ein Einschlag mitten in den USA wird vielmehr prognostiziert, in nur 19 Minuten – und bei allen Verantwortlichen ist jener Ausnahmezustand ausgebrochen, der bislang immer nur ein theoretisches Szenario war.

Dreimal beginnt die letzte halbe Stunde vor der Katastrophe in „A House of Dynamite“ von vorne, jedes Mal werden die Ereignisse aus den Perspektiven verschiedener Beteiligter gezeigt. Darunter sind nicht nur die genannten Entscheidungsträger an der Spitze, sondern auch Captain Walker (Rebecca Ferguson), die im Situation Room die Strippen zieht, ein Major auf einer Militärbasis in Alaska (Anthony Ramos), eine Nordkorea-Expertin (Greta Lee) und General Brody (Tracy Letts), der die Atomstreitkräfte kontrolliert.

Das Szenario ist nicht weit hergeholt

Gemessen daran, dass die atomare Gefahr für die Menschheit heutzutage größer zu sein scheint als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, ist es erstaunlich, dass das Thema filmisch noch nicht annähernd wieder so präsent ist wie etwa in den 1960er Jahren. Bigelow reiht sich in eine große Tradition ein – und dann doch auch wieder nicht. Der satirisch-schwarze Humor von Kubricks „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ geht „A House of Dynamite“ erwartbar völlig ab, näher liegt da die Präzision von Sidney Lumets Romanadaption „Angriffsziel Moskau“. Doch wo dort ein dezidiert hypothetisches und nicht wirklich realistisches Szenario durchgespielt wurde, exerziert die Regisseurin, die schon immer besonders an Politik, dem Militärkomplex und der Arbeit unterschiedlichster Exekutivorgane interessiert war, hier mit viel Sinn für Genauigkeit einen Fall durch, der nicht weit hergeholt wirkt.

Wer hat den Sprengkörper in Richtung USA geschickt?

Der Tonfall ist dabei vergleichsweise nüchtern, jedenfalls nie reißerisch und dank einer nur sehr behutsamen Integration der privaten Seiten der Figuren auch nie zu emotional. Politisch ist der Film, der sich einem klassischen Finale auf bezwingende Weise verweigert, dabei vor allem auf den zweiten Blick. Es ist eben gerade nicht zu klären, von wem und warum der atomare Sprengkörper in Richtung der USA geschickt wurde. Und den Finger am Atomzünder beziehungsweise den Code zur Ermöglichung eines (präventiven?) Gegenschlags hat nicht ein unberechenbarer, auf Krawall gebürsteter Hitzkopf wie aktuell einer im Weißen Haus sitzt, sondern ein besonnener, ja zaudernder Präsident, der sich die Entscheidungen besonders schwer macht. Womit schließlich klar wird: In dieser von Aufrüstung, Drohgebärden und zerrüttetem Vertrauen geprägten Welt ist die Gefahr eine systemische und das Hoffen auf die Chance einer halbwegs friedlichen und humanen Lösung längst eine Illusion.

In der Endsumme ist „A House of Dynamite“ in erster Linie aber ein atemberaubender „Countdown zur Katastrophe“-Thriller über die politischen, moralischen und menschlichen Entscheidungen, die es in einer solchen Extremsituation zu fällen gilt. Das Ensemble ist durch die Bank sehenswert (Ferguson, Harris und Letts gilt besondere Erwähnung), doch es ist nicht zuletzt die handwerkliche Perfektion, die den Film zum Ereignis macht. Wie Bigelow mit Hilfe der Kameraarbeit von Barry Ackroyd, der Montage von Kirk Baxter und der exzellenten Musik von Volker Bertelmann bis zum konsequenten (Nicht-)Ende die Spannung nicht nur hält, sondern zusehends steigert, ist meisterlich.

A House of Dynamite. USA 2025. Regie: Kathryn Bigelow. Mit Idris Elba, Rebecca Ferguson, Tracy Letts. 112 Minuten. Ab 12 Jahren. Ab Donnerstag im Kino, ab 24. Oktober bei Netflix.

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Erstellt:
6. Oktober 2025, 16:54 Uhr

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