Vom Rhein zum Neckar und wieder zurück

Martin Schläpfer und das Ballett am Rhein kommen nach Ludwigsburg – Sein Nachfolger Demis Volpi wird auch kritisch gesehen

Tanz - Martin Schläpfers Ballett am Rhein kommt nach Ludwigsburg. Dass ihm Demis Volpi nachfolgt, hat,

Stuttgart/Düsseldorf Die Ballettstädte Stuttgart und Düsseldorf tauschen sich tanzkünstlerisch aus – gewissermaßen. Wenn Martin Schläpfer, Noch-Chefchoreograf und künstlerischer Leiter in Düsseldorf/Duisburg, im Sommer 2020 das Wiener Staatsballett übernimmt, richtet sich Demis Volpi, eine Stuttgarter Entdeckung, als Ballettdirektor am Rhein ein. Zuvor reist Schläpfers Truppe abermals zu einem Gastspiel bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen.

Volpi, ehemaliger Tänzer und Hauschoreograf (2013 bis 2017) des Stuttgarter Balletts, hat im Rheinland zweifellos wegen seiner Handlungsballette für sich eingenommen. Manchem kritischen Geist kam Schläpfers Kunst dann doch zu abstrakt daher. Der 33-jährige Argentinier wird versöhnen, denn er will das Erzählballett in Düsseldorf/Duisburg weiterentwickeln. Außerdem kann er auch Kinder- und Jugendstücke – in Stuttgart brachte er 2013 einen umjubelten „Krabat“ heraus. Und er kann Musiktheater: So lieferte er an der Stuttgarter Staatsoper 2016/17 Benjamin Brittens „Der Tod in Venedig“ erfolgreich ab. Zu beidem will ihm Opernchef Christoph Meyer Gelegenheit geben.

In Nordrhein-Westfalen blickt man dem neuen Ballettchef mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits erscheint ein klarer Schnitt sinnvoll nach einer Schläpfer-Ära voller Strahlkraft, die das Ensemble an die europäische Spitze katapultiert hat. Andererseits drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass ein so junger Künstler, dem aus dem berufenen Munde eines Reid Anderson bescheinigt wird, dass seine Schrittkunst weniger überzeugt als seine Opern, ausgerechnet beim Ballett am Rhein engagiert wird.

Es gibt ketzerische Stimmen, die laut überlegen, ob eine schwächere Persönlichkeit an der Spitze des die Oper bisweilen überragenden Balletts nicht bewusst gewählt wurde. Auch fragen viele sich, ob der 33-Jährige mit einem Zwei-Städte-Institut nicht überfordert ist – Düsseldorf/Duisburg ist Demis Volpis erste Station als Ballettdirektor. Doch noch hält Schläpfer die choreografischen Fäden in der Hand. Und immer wieder bewegt sich das Ballett am Rhein Richtung Neckar. So gastiert es im Frühsommer erneut bei den Schlossfestspielen. Auf dem Programm stehen auch die „44 Duos“ des Schweizers, die im Rahmen des Dreiteilers „B. 39“ am vergangenen Freitag Uraufführung in Düsseldorf feierten – im Anschluss an Hans van Manens brillantes Alterswerk „Dances with Piano“ (2014) und die rätselhafte Uraufführung von „Atmosphères“ des jungen Choreografen Martin Chaix.

Martin Schläpfers neues Stück ist die reinste Walpurgisnacht – in choreografischer wie modischer Hinsicht. Zu Béla Bartóks „44 Duos“ für zwei Violinen, inspiriert von ost- und mitteleuropäischen Volksliedern und Volkstänzen, hat er sich eine schräge Dorfgemeinschaft ausgedacht. Eine Gesellschaft, so überdreht und schillernd wie unsere Welt. Die Beziehungen der Bewohner sind fein durchkomponiert und werden in 44 ein- bis zweiminütigen Tänzen höchst lebendig. Zu den musikalischen Miniaturen, die eigentlich zu Übungszwecken komponiert wurden und heute zu den bedeutendsten musikpädagogischen Werken zählen, hat der Chefchoreograf sich laute und leise Momente, große und kleine Gefühlswelten ausgedacht, hinreißend in Tanz ausgedrückt von einem fantastischen Ensemble. Ohne Zweifel hat Schläpfer ein weiteres Meisterwerk geschaffen. Die Kostümbildnerin ­Hélène Vergnes hat daran keinen geringen Anteil. Sie entwarf eine Kollektion, die Trachten verfremdet und in die Haute Couture überzeichnet - wie etwa eine rote Lackweste in Wickeloptik oder eine abstrahierte Lederhose.

Bei den Schlossfestspielen gastiert das Ballett am Rhein am 15. Juni mit einem zweiteiligen Abend. Neben „44 Duos“ tanzt es ein Werk des US-Choreografen Mark Morris: „Pacific“, das im Rahmen des Modern Dance-Programms „B.40“ eine Woche zuvor Premiere feiert – und eine frische Brise ins Repertoire weht. Denn Morris, bezeichnet als „Mozart des Modern Dance“, ist in Europa wenig präsent. Das Stück ist eine Symbiose aus formbewusstem Stil mit stürmischen Tönen der Neuen Welt.

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Erstellt:
15. April 2019, 03:14 Uhr

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