Kunstmuseum Stuttgart: Kunst aus der Ukraine

Wenn der Himmel zur Gefahr wird

Viele von ihnen kämpfen – aber einige junge Künstlerinnen aus der Ukraine reagieren auch künstlerisch auf den Krieg. Was ist es, was sie erleben?

Schutz unter der eingestürzten Brücke: „Safe Place“ (Ausschnitt) von Denys Salivanov

© Denys Salivanov/Kunstmuseum Stuttgart

Schutz unter der eingestürzten Brücke: „Safe Place“ (Ausschnitt) von Denys Salivanov

Von Adrienne Braun

Auch Pazifisten haben sich die Begrifflichkeiten längst drauf geschafft: Sturmgewehre und Granatwerfer, Haubitzen, Leoparden und Luftabwehrsysteme. Jeder Krieg hat sein Vokabular – und Kenner werden vielleicht sogar wissen, welche Waffen Otto Dix nicht nur als Soldat benutzte, sondern später auch auf seinen Gemälden darstellte. Der Künstler musste sogar in zwei Weltkriegen kämpfen – und hat sich noch Jahre später künstlerisch am Erlebten abgearbeitet. Heute sind seine Kriegsbilder weltberühmt und hoch gehandelt. Ihm selbst gelang es allerdings nicht, den Schrecken mit Hilfe der Kunst abzuschütteln.

Die Ausstellung ist bewegend

Auch in der Ukraine versuchen Künstlerinnen und Künstler derzeit, mit ihren Mitteln auf den Krieg zu reagieren. „Viele sind wie all unsere Freunde und Kollegen in der Armee“, erzählt Kateryna Semenyuk. Sie ist Kuratorin in Kiew und hat in den vergangenen Monaten Werke zusammengetragen, in denen junge Leute wie einstmals Otto Dix festhalten, was dieser Krieg für sie und ihr Land bedeutet.

Im Kunstmuseum Stuttgart begegnen diese aktuellen Bilder nun den Gemälden von Otto Dix. „From 1914 till Ukraine“ nennt sich die neue durchaus bewegende Ausstellung, die von viel mehr erzählt als dem „rechtswidrigen Einmarsch“, wie es in der Schau heißt.

Mit der Schaufel Gräben ausheben

Leicht war es nicht, die Arbeiten aus der umkämpften Ukraine herauszubekommen. So sind es keine großformatigen Gemälde, sondern leichtere Arbeiten, die bei privaten Transporten nach Stuttgart gebracht werden konnten, aber auch Videos und Sound-Installationen. Und doch muss man nur einen Kopfhörer aufziehen, um unmittelbar vom Stuttgarter Kunstmuseum in die Ukraine versetzt zu werden. Mehrere Künstler haben Klänge des Krieges eingefangen, doch es wurden nicht Bombenhagel und Sirenen aufgenommen, sondern Gläubige, die beim Gottesdienst singen – oder auch schlicht erschreckende Stille. Wenn man hört, wie Ivan Skoryna mit der Schaufel Schächte aushebt, weckt auch das schaurige Bilder.

Kann Erinnerung die Zukunft besser machen?

„I’m Ukrainia“ steht auf dem T-Shirt von Kateryna Semenyuk, die die Ausstellung gemeinsam mit Oksana Dovgopolova kuratiert hat. Die beiden haben 2019 die Plattform „Vergangenheit/Zukunft/Kunst“ gegründet, als eine Art kulturelles Gedächtnis. Seit dem Einmarsch der Russen in der Ukraine konzentriert sich das Projekt auf das Gedenken an den aktuellen Krieg. Die Erinnerung ist ein wichtiger Baustein für eine friedliche Zukunft – das meint zumindest Katya Buchatska in ihrem Video „This World is Recording“, in dem sie darüber sinniert, welche Form der Erinnerung vor weiteren Kriegen schützen kann. Wenn man eines Tages in jeden Krater einen Baum pflanzen würde, könnte ein solches lebendiges Mahnmal weitere Kriege verhindern?

Die Angriffe kommen von oben

Dass Kateryna Semenyuk und Oksana Dovgopolova auch diese Arbeit nach Stuttgart holen konnten, lag mit an der Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen, das den Kuratorinnen den Aufenthalt in Stuttgart ermöglicht hat. Am Montag aber, erzählen die Frauen, „fahren wir wieder nach Hause“. In Stuttgart lassen sie Bilder zurück, die zumindest eine Ahnung davon geben, wie sich das Leben für sie in der Ukraine anfühlt. „False Sky“ nennt sich eine Wandarbeit von Andrii Sahaidakovskyi, einem der führenden Künstler der Ukraine, der hier die ältere Generation vertritt. Sein Wolkenbild auf Teppich ist von Brandspuren gezeichnet – denn der Himmel ist im Krieg kein Ort der Verheißung, sondern der Gefahr. Die Angriffe kommen in der Regel von oben.

Krieg ist nie abstrakt

Es war ein kluger Schachzug, diese heutigen Bilder mit Otto Dix zu kombinieren, denn so werden die Werke ins Allgemeine und Allzumenschliche gerückt. Auf „Grabenkrieg“ (1932) hat Dix die schaurige Zerstörung auf dem Schlachtfeld dargestellt – und mittendrin unterm Helm schauen die ängstlichen Augen eines jungen Mannes hervor. Es sind immer Menschen, die hinter dem abstrakten Begriff Krieg stehen.

Erstaunlich, wie die Bilder sich ähneln. So hat Otto Dix auf einer Radierung die Trichter in der Landschaft festgehalten, die feindliche Einschläge hinterlassen haben. Viele Landstriche in der Ukraine sehen derzeit nicht anders aus.

Der Krieg lässt sich nicht ausrotten – und doch gibt es Hoffnung

Auch die Fotografien zerstörter Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg lassen sich kaum unterscheiden von aktuellen Aufnahmen aus Charkiw oder Donetsk. Andrii Rachynskyi und Danill Revkovskyi haben diese Fotografien in einer Vitrine zusammengestellt und durch Zeichnungen ergänzt. Der Krieg ist nicht auszurotten, scheinen diese Aufnahmen zu sagen. Und doch findet sich ein Detail, das am Ende Hoffnung macht: Auf einem Bild sieht man einen Panzer, auf den jemand ein Friedenszeichen gemalt hat. Die Realität des Krieges war 1941 kaum anders als 2023. In manchen Köpfen hat sich seither sehr wohl etwas verändert.

Widerstand mit den Mitteln der Kunst

Freiheit Viele Künstler in der Ukraine versuchen derzeit, Widerstand zu leisten – sei es als Kämpfer in der Armee, sei es mit den Mitteln der Kunst. Auch die Kuratorinnen beziehen sich mit ihrer Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart auf die aktuelle Lage und stellen in ihrer Schau die Frage, ob das 20. Jahrhundert tatsächlich zu Ende sei. Letztlich lasse sich das Jahrhundert als ein Kapitel des Krieges erst abschließen, wenn die Ukraine frei sei.

Gefangenschaft Otto Dix kämpfte im Ersten Weltkrieg und wurde mit 54 Jahren erneut eingezogen – diesmal in den Zweiten Weltkrieg. Auf einem Selbstporträt von 1947 zeigt er sich als Kriegsgefangenen zwischen Zäunen. Er hatte Glück. Da man den bekannten Maler erkannte, erhielt er Porträtaufträge und hatte dadurch ausreichend zu essen.

Information Ausstellung bis 23. Juli, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Freitag bis 20 Uhr 

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Erstellt:
10. März 2023, 15:48 Uhr

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