Wie viel Respekt vor Geschichte muss sein?

Das Ludwigsburger Architekturquartett diskutiert über drei neue Kulturbauten in der Region

Debatte - Vier Architektur-Experten haben in der Ludwigsburger Musikhalle drei neue Kulturbauten kritisch begutachtet: die sanierten Wagenhallen und das Hotel Silber in Stuttgart sowie das Tobias- Mayer-Museum in Marbach.

Während anderswo in Deutschland die Kultur gern mal darben muss, ist sie den Schwaben auch weiterhin viel wert – in der wie immer voll besetzten Ludwigsburger Musikhalle konnte das 43. Architekturquartett am Donnerstag gleich drei mehr oder weniger frische Kulturbauten der Region Stuttgart auf den Prüfstand stellen. Wobei alle drei sich auf eigene Art, aber offensiv mit Tradition und historischem Erbe auseinandersetzen müssen. Und das jeweilige Ergebnis vor Ort keineswegs unumstritten ist.

Das Quartett bestand diesmal aus dem Historiker Jorg Himmelreich, Chefredakteur der Schweizer Fachzeitschrift „Archithese“, dem Architekten Alexander Schwarz, einem der Partner im weltweit agierenden Büro Chipperfield, der Kulturmanagerin Wiebke Richert, Geschäftsführerin des Forums Ludwigsburg, und dem Stuttgarter Journalisten und Professor Hans-Jürgen Breuning. Und gleich am Anfang mussten alle vier erst einmal kleinlaut eingestehen, vor ihrer Besichtigung in Marbach noch nie in ihrem gesamten Bildungsbürgerleben von einem Gelehrten namens Tobias Mayer gehört zu haben.

Aber die Schillerstadt Marbach hat der Welt eben tatsächlich mehr als nur ein Käpsele beschert: Der Mathematiker, Physiker und Astronom Mayer hat Mitte des 18. Jahrhunderts unter anderem der Seefahrt die exakte Berechnung der Längengrade ermöglicht und erste Mondkarten erarbeitet. Seit Jahren pflegt ein engagierter Verein das Geburtshaus Mayers in der Marbacher Altstadt – und hat dies 2018 vom Stuttgarter Büro Webler + Geissler durch einen markant strengen, turmartigen Neubau enorm erweitern lassen.

Das Quartett sparte nicht am Lob für Mut und Engagement der engagierten Kulturbürger. Ohne jeden Spott meinte Alexander Schwarz, es gebe wenig, „was einen glücklicher macht als solche Hochkultur in der Provinz“. Der Bau falle auf, er sei besonders, „und das muss er ja auch, weil er Interesse wecken will für einen eigentlich Unbekannten“. Wie mutig dürfe ein Verein sein, so viel zu investieren, fragte Wiebke Richert – und gab selbst die Antwort: Die Öffentlichkeit brauche dringender denn je Orte, wo sie sich auch mit solchen Themen befassen könne, die ihr neu seien.

An der konkreten Ausführung gab es dann aber doch deutliche Kritik: Jorg Himmelreich konnte sich beispielsweise bei Form und Fenstern nicht entscheiden – „ist das nun cool oder kitschig?“ Richert fand, angesichts der weiter begrenzten Ausstellungsfläche sei ihr die Ausstellung zu wenig fokussiert, zu vollgestellt: „Das Haus zieht an, aber innen müsste es klarer erzählen.“ Summa summarum lief es hinaus auf ein „Weniger wäre mehr gewesen“.

Viel erzählen will auch das Stuttgarter Atelier Brückner in den sanierten Wagenhallen, nämlich möglichst genau die ganze Baugeschichte des Areals seit Ende des 19. Jahrhunderts. Das Quartett zeigte sich beeindruckt, wie sorgsam die Architekten Schicht um Schicht an den Mauern, Wänden, Säulen und Böden des Baus freigelegt, konserviert haben und so Architekturgeschichte deutlich lesbar werde. Himmelreich gab allerdings zu bedenken, damit bekäme ein Ort musealen Charakter, der „eigentlich über all die Jahre immer Infrastruktur war, wo nach purer Zweckmäßigkeit grobschlächtig immer mal wieder ein Anbau dazugeklatscht wurde“. Letztlich sei Brückners Konzept „romantisch“.

Alexander Schwarz dagegen meinte, Brückner betreibe keineswegs „didaktische Geschichtlichkeit“. Aber natürlich sei es ein riesiges Problem, einen eigentlich von der Lebendigkeit und Lockerheit der alternativen Künstlerszene völlig neu belebten Ort irgendwie konservieren zu müssen: „Da kann man als Architekt immer nur verlieren.“ Viel komme nun auf die weiteren Bauschritte an, meinte Wiebke Richert, vor allem auf die Art, wie die Künstler künftig in den Hallen arbeiten könnten. „Aber man darf sich nichts vormachen: Wenn man so viele Millionen in die Herrichtung eines eigentlich alternativen Ortes steckt, dann ist das hinterher ein anderer Ort als zuvor.“

Völlig einig war sich das Quartett in Lob und Anerkennung für das Hotel Silber, gestaltet vom Büro Wandel Lorch in Saarbrücken. Himmelreich meinte, bei der Besichtigung von der dort dokumentierten Geschichte so beeindruckt gewesen zu sein, dass er gar keine Lust habe, „nun über irgendwelche Formalia zu reden“. Die Bürgerinitiative, die vor Jahren den Abriss der früheren Stuttgarter Gestapo-Zentrale zugunsten weiterer Geschäftsbauten gerade noch verhindert hatte, erntete großen Respekt: „Natürlich kann ich alle möglichen Informationen über die Nazizeit auch aus dem Internet bekommen. Aber nur an solchen konkreten Orten verbindet sich die Geschichte mit der Gegenwart.“

„In diesen Räumen vergewissern wir uns der Geschichte, weil sie eben hier stattgefunden hat“, drückte es Schwarz aus. Und Moderator Hans-Jürgen Breuning komplettierte: „Und das mitten in der Stadt.“ Am Ende mithin keinerlei Dissens.

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Erstellt:
13. April 2019, 03:14 Uhr

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