737-Max-Debakel: Kommt Boeing im neuen Jahr aus der Krise?

dpa Chicago. Abstürze, Flugverbote, Dauerkrise: Der Airbus-Rivale Boeing hat ein Katastrophenjahr hinter sich. Das Vertrauen in den US-Flugzeugbauer ist schwer erschüttert. Auch 2020 dürfte der Druck hoch bleiben.

Schlechte Nachrichten für Boeing: Steve Dickson, der Chef der US-Luftfahrtaufsicht FAA, schloss eine Wiederzulassung des Unglücksjets 737 Max für dieses Jahr aus. Foto: Ted S. Warren/AP/dpa

Schlechte Nachrichten für Boeing: Steve Dickson, der Chef der US-Luftfahrtaufsicht FAA, schloss eine Wiederzulassung des Unglücksjets 737 Max für dieses Jahr aus. Foto: Ted S. Warren/AP/dpa

Zwei verheerende Flugzeugabstürze haben Boeing vom erfolgsverwöhnten Vorzeigekonzern zu einem Krisenfall mit ungewisser Zukunft gemacht.

Der US-Luftfahrtriese ist nach den Unglücken mit heftigen Vorwürfen konfrontiert und geschäftlich stark angeschlagen. Die Unglücksflieger vom Typ 737 Max können seit Mitte März aufgrund von Startverboten nicht mehr ausgeliefert werden.

Damit fehlt Boeing sein Bestseller und zentraler Profitbringer. Ob und wann die 737 Max wieder abheben darf, ist unklar. Der Ausfall trifft auch Zulieferer und Airlines - unter der Krise ächzt die gesamte US-Wirtschaft.

Vor einem Jahr war die Boeing-Welt noch in Ordnung. Zwar hatte sich bereits der erste schlimme 737-Max-Absturz in Indonesien ereignet, doch das schien Boeing zunächst kaum zu schaden.

Konzernchef Dennis Muilenburg - der erst Mitte 2015 den Spitzenposten übernommen hatte - feierte große Erfolge: Im Geschäftsjahr 2018 knackte Boeing beim Umsatz erstmals in der über hundertjährigen Geschichte die Marke von 100 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs verdreifachte sich in Muilenburgs kurzer Amtszeit.

Doch die Zeiten, in denen der 55-jährige Top-Manager als Held gefeiert wurde, endeten abrupt. Im März 2019 stürzte eine weitere baugleiche und fast nagelneue 737 Max in Äthiopien ab, seitdem gelten fast rund um den Globus Flugverbote für Boeings Verkaufsschlager.

Der finanzielle Schaden ist enorm und ein Ende der Misere nicht in Sicht. Das Vertrauen in Boeing wurde durch die beiden Unglücke, bei denen insgesamt 346 Menschen starben, erschüttert. Der US-Konzern steckt tief in der Krise und kommt seit Monaten nicht aus der Defensive.

Muilenburg ist jetzt als Krisenmanager gefordert - eine Rolle, die ihm aber offensichtlich schwerfällt. „Wir wissen, dass wir Fehler und einige Dinge falsch gemacht haben“, räumte Boeings Vorstandschef Ende Oktober zerknirscht bei einer Anhörung vor dem US-Kongress ein. Das Debakel um die 737 Max beschäftigt in den USA längst Spitzenpolitiker und Justizbehörden. Denn als eine entscheidende Ursache der Abstürze gilt Boeings fehlerhafte Steuerungssoftware MCAS. Sie ließ die 737-Max-Jets laut Ermittlungsberichten quasi per Autopilot abstürzen.

Dem Unternehmen wird vorgeworfen, die Unglücksflieger im scharfen Wettbewerb mit Airbus überstürzt auf den Markt gebracht und dabei die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Darüber hinaus gibt es den ungeheuerlichen Verdacht, dass Boeing die US-Flugaufsicht FAA bei der ursprünglichen Zulassung der Absturz-Jets getäuscht und wichtige Informationen unterschlagen haben könnte.

Der Konzern weist dies zwar zurück, geriet durch brisante Dokumente aber schon in arge Erklärungsnöte. Ob bei der 737-Max-Zertifizierung alles mit rechten Dingen zuging, ist in den USA Gegenstand von laufenden Ermittlungen.

In der Öffentlichkeit gibt der Konzern derweil keine gute Figur ab. Es dauerte Monate und erforderte massiven Druck, bis Boeing sich zu einem entschlosseneren Handeln durchrang. Erst im Oktober zog das Unternehmen die ersten personellen Konsequenzen: Muilenburg musste den Vorsitz im Verwaltungsrat abgeben, der dem Vorstand übergeordnet ist. Zudem entließ Boeing Kevin McAllister, den Leiter der Verkehrsflugzeugsparte. Auch beim Bemühen, Vertrauen bei Fluggästen zurückzugewinnen, ging der Konzern jüngst erst mit großen Zeitungsanzeigen und TV-Werbung stärker in die Offensive.

„Wenn die 737 Max wieder in Betrieb geht, würde ich meine Familie absolut mit an Bord nehmen“, ließ Boeing seine 737-Chefpilotin Jennifer Henderson in einem der Clips erklären. Damit trifft der Flugzeugbauer einen wunden Punkt.

Denn selbst wenn Aufsichtsbehörden die 737 Max wieder abheben lassen, muss sich erst zeigen, ob Flugreisende überhaupt bereit sind, den Krisenflieger zu nutzen. US-Präsident Donald Trump hatte Boeing bereits geraten, dem Unglücksmodell einen neuen Namen zu verpassen. „Kein Produkt hat so sehr gelitten wie dieses“, twitterte Trump schon im April.

Doch auf eine rasche Wiederzulassung der 737 Max deutet wenig hin. Steve Dickson, der Chef der US-Luftfahrtaufsicht FAA, schloss eine Wiederzulassung des Unglücksjets für dieses Jahr aus. „Wir werden bei dem Prozess alle nötigen Schritte befolgen, wie lange auch immer es dauern wird“, sagte Dickson im US-Sender CNBC. Bei einer Anhörung im US-Kongress drohte der Behördenchef dem Konzern zudem mit Konsequenzen. „Ich behalte mir das Recht vor, weitere Maßnahmen zu ergreifen.“ Die FAA gab darüber hinaus bekannt, dass sie inzwischen auch wegen möglicher Produktionsmängel gegen Boeing ermittle.

Dabei hatte das Unternehmen selbst bis zuletzt noch Zuversicht verbreitet und sich Hoffnungen gemacht, dass die 737 Max schon in Kürze wieder abheben darf. Doch für Optimismus gibt es derzeit wenig Grund. Laut E-Mails, aus denen die „New York Times“ zitierte, forderte ein Vertreter der kanadischen Flugaufsicht gar, dass das umstrittene MCAS-Programm komplett entfernt wird.

In einer Präsentation habe der Luftfahrtexperte das öffentliche Vertrauen in die Max-Flieger zudem ausdrücklich als niedrig bezeichnet und seine internationalen Kollegen vor Zugeständnissen an Boeing gewarnt. Kanadas Flugaufsicht betonte hinterher indes, dass es sich dabei lediglich um „Diskussionen auf Arbeitsebene“ gehandelt habe.

Dennoch zeigen die E-Mails, wie tief Boeing in der Bredouille steckt. Geschäftlich ist der Schaden immens: Nach einem Rekordverlust im zweiten Quartal brach der Gewinn in den drei Monaten bis Ende September im Jahresvergleich um rund die Hälfte auf knapp 1,2 Milliarden Dollar ein. Der Umsatz fiel wegen der im Zuge der Flugverbote gestoppten Auslieferung der 737 Max um weitere 21 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dollar. Angesichts der anhaltenden Probleme dürften weitere hohe Sonderkosten hinzukommen. Boeing muss sich zudem mit einer Klagewelle auseinandersetzen.

Muilenburg und die gesamte Führungsriege sind schon länger mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Der Boeing-Chef hatte sich bei den Kongressanhörungen im Oktober erstmals direkt Angehörigen von Absturzopfern stellen und dabei heftige Vorwürfe gefallen lassen müssen. Einen Rücktritt lehnte Muilenburg zwar ab.

„Ich betrachte es nicht als Lösung, vor einer Herausforderung davonzulaufen.“ Nach Kritik an seinen hohen Bezügen bot Muilenburg aber an, 2019 auf Bonuszahlungen in Millionenhöhe zu verzichten. Der Verwaltungsrat stärkte ihm zuletzt noch demonstrativ den Rücken - doch sein Job dürfte auch im kommenden Jahr kaum einfacher werden.

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Erstellt:
13. Dezember 2019, 12:51 Uhr

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