Abgeordnete des Wahlkreises Backnang befürchten Demokratieverlust
Die FDP sammelt Stimmen für ein Volksbegehren. Dieses hat das Ziel, die Wahlkreise bei der Landtagswahl denen der Bundestagswahl anzugleichen. Die Abgeordneten aus dem Raum Backnang sehen das kritisch.

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Bei der Landtagswahl 2021 wurde noch mit dem Einstimmenwahlrecht gewählt. Das ändert sich 2026. Bleiben aber die Wahlkreise gleich? Archivfoto: Alexander Becher
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. 120 Abgeordnete sind im Landtag von Baden-Württemberg vorgesehen, tatsächlich sitzen im Parlament aktuell 154 Personen. Bedingt ist dies durch die große Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate. Laut einer Prognose des Politikwissenschaftlers Joachim Behnke könnten es bei der nächsten Wahl 2026 gar mehr als 200 werden – die im vergangenen Jahr beschlossene Änderung vom Einstimmenwahlrecht zum Zweistimmenwahlrecht mit Landesliste begünstigt dies.
Dem will die FDP entgegenwirken. „Wir wollen, dass der Landtag bei sich selbst spart und nicht immer weiter anwächst“, sagt der Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der FDP Rems-Murr Jochen Haußmann. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag hat im Landtag keine Mehrheit gefunden, nun versucht die Partei es stattdessen mit einem Volksbegehren. Vorgesehen sei, künftig die Bundestagswahlkreise für die Wahl zum Landtag von Baden-Württemberg zu verwenden und damit die Zahl der Direktmandate von 70 auf 38 zu reduzieren. „Diesen Vorschlag legen wir nun der Bevölkerung vor, damit diese darüber entscheiden kann, ob es einen kleineren Landtag gibt. Wir laden die Bürgerinnen und Bürger ein, mit einer Unterschrift dazu beizutragen“, ergänzt Haußmann.
Der Einfluss der Wählerschaft sinkt bei weniger Direktmandaten
Bei den Landtagsabgeordneten des Wahlkreises Backnang stößt der Vorschlag auf gemischte Gefühle. Zwar gehen Ralf Nentwich (Grüne), Gernot Gruber (SPD) und Daniel Lindenschmid (AfD) mit dem Anliegen d’accord, eine Aufblähung des Landtags zu vermeiden. Über das Wie herrscht aber Uneinigkeit. Die Zahl der Direktmandate von 70 auf 38 zu verringern empfindet Gernot Gruber als zu extrem. „Damit schießt die FDP über das Ziel hinaus“, sagt er. Denn dadurch würde die Zahl der Mandate, die über die Landeslisten vergeben werden, auf 82 steigen. Weil die Landeslisten von den Parteien aufgestellt werden, komme dies einer deutlichen Entmachtung der Bürgerinnen und Bürger gleich, so Gruber. „Das verstärkt den Demokratieverlust.“ Auch Ralf Nentwich urteilt: „Das ist keine gleichberechtigte Kombination aus Persönlichkeits- und Verhältniswahl.“ Der Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die Posten im Parlament sei hier zu klein. Nentwich hegt gar erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken diesbezüglich. Bei aller berechtigten Diskussion über die Größe des Landtages stehe für ihn das Ziel im Vordergrund, die repräsentativ eingeschränkte Volkssouveränität möglichst gerecht zu wahren. „Der Änderungsvorschlag der FDP ist in dieser Hinsicht keine Verbesserung zu unserem neuen Wahlsystem und daher abzulehnen.“
Gruber: FDP hätte bei ursprünglichem Vorschlag bleiben sollen
Gruber findet: „Die FDP hätte bei ihrem ursprünglichen Vorschlag bleiben sollen.“ Dieser sah vor, die Zahl der Direktmandate nur auf 60 zu verringern. Der SPD-Abgeordnete hatte den Vorschlag entgegen der Marschrichtung seiner Partei unterstützt. Dass mehr Mandate über die Landesliste vergeben werden, widerstrebt auch Daniel Lindenschmid. In einem solchen Falle regt er zumindest eine offene Listenwahl wie bei der Kommunalwahl an, bei der die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme eine Person auf der Liste gezielt unterstützen können. „So könnte man trotz Landeslisten mehr Macht an die Bürger zurückgeben“, erklärt er.
Grundsätzlich spricht sich der AfD-Abgeordnete aber dafür aus, das Landeswahlrecht noch einmal grundsätzlich zu überarbeiten. Denn die im vergangenen Jahr beschlossene Änderung des Wahlrechts beschleunige das Problem. „Besser wäre das Modell der Ampelregierung auf Bundesebene“, sagt Lindenschmid. In Vorentwürfen sei es sogar noch besser gewesen als in der beschlossenen Fassung. „So kann es nämlich passieren, dass manche Wahlkreise gar keine Abgeordneten stellen.“ Das wiederum sei nicht zielführend.
Zweifel an der Prognose des Politikwissenschaftlers
Alle drei Abgeordneten betonen die Wichtigkeit des Kontakts zur Bürgerschaft, welchen sie durch größere Wahlkreise in Gefahr sehen. Nentwich stellt hierfür den Vergleich an: In Baden-Württemberg wohnen in den Landtagswahlkreisen im Schnitt 158000 Personen. Das sei schon jetzt deutlich mehr als in vielen anderen Bundesländern wie etwa Mecklenburg-Vorpommern (44000), Sachsen-Anhalt (53000), Rheinland-Pfalz (78000) oder Niedersachsen (91000). Durch den Vorschlag der FDP würde die Schere noch weiter auseinandergehen. Das wiederum „würde die Interessenvertretung erschweren, die Bürgernähe reduzieren und damit unserem gemeinsamen Ziel, nahbare Abgeordnete zu sein, widersprechen“, so Nentwich. Auch Gruber gibt zu bedenken: „Das wäre schon richtig viel, da kannst du nicht mehr überall sein.“ Er sieht durch den Vorschlag auch den ländlichen Raum geschwächt, denn für gewöhnlich hätten Großstädter durch das Listenwahlrecht mehr Einfluss.
Aber kommt es wirklich so schlimm, wie Behnkes Prognose voraussagt? Sowohl Gernot Gruber als auch Ralf Nentwich hegen da ihre Zweifel. Gruber geht davon aus, dass sich die Direktmandate bei der Landtagswahl 2026 gleichmäßiger auf CDU und Grüne und einige auf die SPD verteilen werden und damit weniger Überhangmandate entstehen. Nentwich weist darauf hin, dass das Zweistimmenwahlrecht in Mecklenburg-Vorpommern oder in Rheinland-Pfalz zu weniger Überhangmandaten geführt hat.
Doch selbst wenn bei der kommenden Wahl kein aufgeblähter Landtag entstehen sollte, hält Gernot Gruber die Sache nicht für endgültig abgehakt. Die Tendenz, dass immer mehr kleinere Parteien in die Landesparlamente einziehen, werde perspektivisch wohl auch Baden-Württemberg ereilen. „Dann steigt das Risiko wieder und wir müssten erneut darüber nachdenken.“
Unterschriftensammlung Am morgigen Samstag, 15. April, wird der FDP-Landtagsabgeordnete Jochen Haußmann von 8 bis 12 Uhr auf dem Wochenmarkt in Kernen im Remstal-Rommelshausen sein und für das Volksbegehren zur Landtagsverkleinerung werben. Wer das unterstützen will, kann sich darüber hinaus beim FDP-Kreisverband Rems-Murr unter post@fdp-rems-murr.de oder der Landesgeschäftsstelle der FDP Baden-Württemberg melden.
Vorgaben Benötigt werden zunächst 10000 Unterschriften, die nicht digital geleistet werden können. Teilnehmen können alle Personen, die für die Landtagswahl wahlberechtigt sind.