Als Filmen noch ein Abenteuer war

Wolfgang Schettler aus Backnang digitalisiert Schmalfilme aus dem vorigen Jahrtausend – Rasante Autofahrt und das Fest der Feste

Wolfgang Schettler rettet analoges Filmmaterial in unser Digitalzeitalter hinüber. Die Filme über Backnang aus dem vorigen Jahrtausend, die von ihm und anderen ambitionierten Backnangern stammen, haben mittlerweile unzählige Klicks. Sie machen den Zeitgeist von damals wieder sichtbar.

Wolfgang Schettler digitalisiert alte Filme. Die Leidenschaft für die Historie teilt er mit seiner Frau Margret. Sie sind als Künstler (Keyboarder und Sängerin) selbst Teil der Backnanger Geschichte.

© Pressefotografie Alexander Beche

Wolfgang Schettler digitalisiert alte Filme. Die Leidenschaft für die Historie teilt er mit seiner Frau Margret. Sie sind als Künstler (Keyboarder und Sängerin) selbst Teil der Backnanger Geschichte.

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Ob es sich nun um Szenen vom Straßenfest, aus dem Backnanger Freibad oder einer Autofahrt durch Backnang handelt: Der Reiz dieser Filme liegt nicht nur an dem festgehaltenen Ereignis an sich, an laufenden Bildern aus einer Zeit, als man noch jung (oder vielleicht noch gar nicht auf der Welt) war, sondern auch darin, dass offensichtlich wird, wie sich die Stadtkulisse und vieles andere – von der Mode bis hin zu den Autos – seither verändert haben.

Wolfgang Schettler und andere Hobbyfilmer waren mit ihren Schmalfilmen, die sie in den 1960er- und 1970er-Jahren gedreht haben, voll im Trend. Es war die Zeit des Farbfilm-Booms. Die nahe Umgebung, die eigene Familie, Freunde, Feste und Ferienorte waren bevorzugte Motive. Schettler hat insgesamt rund 90 solcher Filme in seinem Archiv, schätzt er. Die Filme von Backnang und Ereignissen in der Stadt, in der er aufgewachsen ist, sind heute kleine Schätze. Da macht es überhaupt nichts aus, wenn die Kameraführung holprig ist, wenn Kratzer die laufenden Bilder durchziehen, wenn das Bild flackert oder die warmen Farben unecht wirken. Gerade dies alles macht den Charme der zuweilen in doppeltem Wortsinn abgedrehten Aufnahmen aus. Erinnerungen an die Kindheit und Jugend, an ein Backnang, das man mit all seinen Vor- und Nachteilen ins Herz geschlossen und für das man das Gefühl von Heimat nie verloren hat, werden auf jeden Fall am Leben erhalten.

Wertvolle Quellen kollektiver Erinnerungen

Wolfgang Schettlers erster Film zeigt hauptsächlich die Backnanger Marktstraße. Unverkennbar die prägenden Gebäude wie das Rathaus oder der Stadtturm. Da sind aber auch Häuser und Firmen zu erkennen, die es so nicht mehr gibt. „1964 hielten mein Kumpel Heinz Glasbrenner und ich zum ersten Mal eine Schmalfilmkamera in der Hand. Und wir filmten, unbedarft, wie wir waren, gleich einfach drauflos ohne Stativ, mit viel Gewackel und ohne Erfahrung. Auch konnten wir keinen sonnigen Tag abwarten, sondern zogen bei regnerischem Wetter los. Aber immerhin sieht man in etwa, wie Backnang 1964 aussah“, kommentiert Schettler das Werk auf Facebook. Dass dabei meist vom fahrenden Auto aus gefilmt wurde, ist deutlich zu erkennen.

13.09.2019 Backnang-Film von 1964
Wolfgang Schettler nahm diese Szenen 1964 in Backnang auf. Es war sein erster Schmalfilm überhaupt.

Los geht es in der Stuttgarter Straße Höhe Spritnase. Das Gasthaus „Löwen“ ist zu sehen, Reklameschilder wie Konsum, Waldmann-Boss und Salamander sind zu erkennen. Aus der heutigen Fußgängerzone biegen Autos in die Marktstraße ein, die man damals noch aufwärts fahren konnte. Das Turmschulhaus, der Stadtturm, das Kriegerdenkmal und der Markbrunnen kommen groß ins Bild. Dazwischen gibt es einen Schnitt hin zum Bahnhof und zu dem legendären Schienenbus. Einmal geht es zum Rathaus und zum Seifensieder- und Kolonialwarengeschäft Emil Reutter, dann das Totengässle hinunter Richtung Sulzbacher Straße. Die Autos haben selbstverständlich BK-Kennzeichen. Mit Bildern der Stadtsilhouette und einem Blick auf einen VW-Käfer endet der Film. Rund 15000 Aufrufe hat er inzwischen. Auf Schettlers Facebook-Seite stehen darunter Kommentare, meist auf Schwäbisch, in denen es um Schule und eine Zeit geht, in der gestrenge Lehrer noch Tatzen austeilten. Eine Unterhaltung, wie sie auch bei einem Klassentreffen hätte geführt werden können.

Schettler ist überwältigt von der riesigen Resonanz auf seine Filme, die wie gesagt allesamt vielfach heruntergeladen oder auch geteilt wurden. Neben seinen eigenen Filmen ist er interessiert an weiteren „Schmalfilm-Schätzen“, die er gerne digitalisieren würde. Um die alten Filme zu digitalisieren, werden die auf eine selbst gebastelte Leinwand projizierten Bilder mit einer modernen Kamera abgefilmt. Die Leinwand ist übrigens sehr klein. Ein weißes Papier tut’s da auch. Denn die Erfahrung hat gezeigt: „Je größer die Leinwand, desto schlechter wird es.“ Schettler hat noch Schmalfilmprojektoren für Normal8, Super8 (auch mit Ton) und einen 16-Millimeter-Filmprojektor. Nicht nur für den privaten Gebrauch, sondern auch für Firmen oder eine Kommune hat er schon Schmalfilme digitalisiert. Diese werden nachbearbeitet und mit Musik unterlegt. „Auf Ratschlag meiner Frau habe ich gemafreie Musik benutzt“, weist Schettler auf ein nicht unwesentliches Thema hin. Manche Rechtsanwälte täten den ganzen lieben langen Tag nichts anderes, als nach Verstößen gegen das Urheberrecht zu suchen. „In Amerika ist das kein Problem, da gibt es keine Gema“, weiß der Hobbyfilmer, der mit seiner Frau Margret abwechselnd in Backnang und Florida lebt.

Im Raum Backnang sind die Schettlers keine Unbekannten. Vor vielen Jahren haben die beiden im Flamingo-Sextett Musik gemacht. Wolfgang Schettler als Keyboarder, Margret, die in Stuttgart auf dem Konservatorium klassischen Gesang studiert hat, war die Sängerin der Formation, sie wurde dort Margit genannt. Margret Schettler ist in Sulzbach aufgewachsen und war dort von 1987 bis 2010 Betreiberin des Cafés Treff am Rathaus.

Wolfgang Schettler hat noch einige jener Filme zu bieten, die ein großes Backnanger Publikum fanden. Der Film vom Straßenfest 1971, der von Herbert Resonneck, dem damaligen Hausmeister des Bahnhofhotels, stammt, und den er digitalisiert hat, ist im Netz über 12000-mal aufgerufen worden. Immer wieder legt Schettler nach. Anfang September stellte er „Erinnerungen an das Backnanger Freibad anno 1980“ auf seine Facebook-Seite. Hier sieht man: Das Backnanger Freibad war die Attraktion. Unglaublich, wie viele Menschen sich im Wasser und um das Becken herum tummeln. Auch einen Blick vom Fünf-Meter-Sprungturm gönnt uns der Urheber. Erst jüngst beglückte Schettler seine Fangemeinde mit Szenen vom Start von 25 bunten Heißluftballons am 21. September 1991. Die „Montgolfiade“ war anlässlich der 25-jährigen Partnerschaft zwischen Annonay und Backnang organisiert worden. Dazu schreibt er: „Der Videofilm wurde noch analog aufgenommen und mehrmals überspielt. Daher die etwas schlechte Bildqualität.“

Gerade das Unperfekte weckt Emotionen

Sieht man all diese Filme, kommen einem auch Kinofilme in den Sinn, in denen bewusst der spezielle Super-8-Film-Look eingesetzt wird. Etwa für Erinnerungs- und Traumszenen. Mit solchen Filmen werden ganz andere Emotionen erzeugt als mit perfekten Aufnahmen. Gerade das Unperfekte berührt hier in besonderer Weise. Wolfgang Schettler war immer nah dran an den Entwicklungen und neuen Möglichkeiten der Technik. Ob Normal-8-Format, das 1965 eingeführte Schmalfilmformat Super8 oder dann später Video: Der Backnanger hat sich in jede Technik hineingefuchst. In Zusammenhang mit den Szenen vom Straßenfest lässt er wissen: „Die ersten beiden Filme von 1971 und 1981 waren Schmalfilme, die ich auf den PC überspielt habe. Das ging nicht besser. Der dritte Film von 1994 war dann ein Video-8-Film. Den musste man beim Schneiden ein- oder zweimal überspielen. Dadurch verloren die auch an Qualität. Hauptsache, man hat es auf Film.“

Wolfgang Schettler brachte sich das Know-how rund um die Filmerei selbst bei. „Ich habe mir sehr viel vom Fernsehen abgeguckt, von Profifilmern und von Tierfilmern.“ Dabei achtete er beispielsweise auf die Kameraführung, auf die Schnitte und die Länge der Szenen. Schwenks sollte man vermeiden, weiß er. Kurze Szenen aneinandergereiht, ergäben ein viel besseres Resultat. Technischen Sachverstand hat er schon von Berufs wegen. Zuletzt arbeitete er in der Computerbranche. Aber schon als Kind interessierte er sich für Filme. Als er 12 oder 13 Jahre alt war, hatte er zum Geburtstag einen Projektor geschenkt bekommen: „Mit Kurbel.“ Damit hat er „Trickfilme abgespult“. Zu Filmvorführungen lud er andere Kinder aus der Nachbarschaft in eine Garage ein. Später lieh er sich von Bekannten eine Kamera aus, Ende der 1960er-Jahre kaufte er dann eine eigene Kamera. Mittlerweile hat er sich auf Kurzfilme spezialisiert, die nicht länger als fünf Minuten sind.

Aufnahmen von zeithistorischem Wert: Backnanger Marktstraße. Screenshot eines Films aus dem Jahr 1964, aufgenommen bei einer Autofahrt. Fotos: A. Becher/W. Schettler

Aufnahmen von zeithistorischem Wert: Backnanger Marktstraße. Screenshot eines Films aus dem Jahr 1964, aufgenommen bei einer Autofahrt. Fotos: A. Becher/W. Schettler

Info
Filme übers Straßenfest

Die über das Straßenfest gedrehten alten Filme hat Klaus Erlekamm in seinem Buch „Backnanger Straßenfest“ dokumentiert – die Originale sind im Stadtarchiv. Auch führt er die Personen auf, die sich später entweder zusammen mit Wolfgang Schettler oder anderswie für den Erhalt des Filmmaterials eingesetzt haben.

Herbert Resonneck (1927 bis 1990) ging ab 1971 dreizehn Jahre lang beim Straßenfest auf Motivsuche. Seine Schmalfilme sind auf Super8 mit Ton aufgenommen, Ausnahme ist der erste Straßenfest-Film 1971 in Normal8 ohne Ton.

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Erstellt:
18. September 2019, 11:30 Uhr

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