Bremst das Bauurteil im Raum Backnang Wohnbauprojekte?
Etliche Bebauungspläne im Raum Backnang wurden im beschleunigten Verfahren erstellt. Den entsprechenden Paragrafen kassierte im Juli das Bundesverwaltungsgericht. Stand heute sind all diese Bebauungspläne ungültig. Klarheit soll die Begründung des Urteils im September liefern.

Betroffen ist auch das Baugebiet Schmiedbühl in Oppenweiler. Die Erschließung des Areals, das mit zwölf Wohneinheiten eine städtebauliche Abrundung von Reichenberg darstellen soll, wurde im Frühjahr abgeschlossen. Ein Bauantrag liegt der Baubehörde vor. Foto: Florian Muhl
Von Florian Muhl
Rems-Murr. Viele betroffene Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind verärgert, frustriert, verunsichert. Wie geht es weiter mit ihren Bauprojekten? Das Urteil des Bundesverwaltungsgericht (siehe Infotext) hat nicht nur Kommunen, sondern auch zahlreiche Häuslesbauer eiskalt erwischt. Existenzen sind bedroht. „Stand jetzt wären alle Bebauungspläne, die ein 13b-Verfahren durchlaufen haben, ungültig“, teilt die Stadt Backnang, die im Rahmen der Verwaltungsgemeinschaft auch zuständig für acht Umlandgemeinden ist, auf Anfrage unserer Zeitung mit. „Ob sich dies nur auf laufende Verfahren oder auch auf abgeschlossene Verfahren bezieht, ist bisher noch strittig“, heißt es weiter. „Klarheit soll die Begründung des Urteils liefern“, teilt Pressesprecher Christian Nathan mit. „Diese liegt uns aber noch nicht vor.“
Gravierende Folgen hat das Urteil für Bauherren, die zwar bereits die Genehmigung in der Tasche haben, wo aber der erste Baggerbiss noch nicht erfolgt ist. „Erteilte Baugenehmigungen, die noch nicht in Anspruch genommen wurden – sprich, wo mit dem Bau noch nicht begonnen wurde –, müssen widerrufen werden“, lässt die Baubehörde in Backnang wissen. Insgesamt geht man dort davon aus, „dass es eine Unterscheidung – und somit unterschiedliche Handhabung – zwischen 13b-Verfahren mit formalen oder materiellen Fehlern geben wird“. Die Arbeit des Baurechtsamts verändert sich dadurch nicht wesentlich. Die Genehmigungsbehörde hat lediglich verstärkt darauf zu achten, dass in Bebauungsplangebieten nach 13b keine weiteren Baugenehmigungen erlassen werden, bis die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans durch ein ergänzendes Verfahren oder ein ersetzendes Verfahren hergestellt ist. „Oder die Fehler des nach 13b erstellten Bebauungsplanes unbeachtlich sind, was im Einzelfall noch zu prüfen ist“, ergänzt Nathan.
Ob eine nachgereichte Umweltprüfung ausreichen wird, ist derzeit noch unklar
Wie geht es weiter? „Nach der jetzigen Rechtsauffassung müssten die laufenden Verfahren neu aufgerollt werden“, erklärt das Baurechtsamt. „Ob ein Nachreichen einer Umweltprüfung ausreichend ist, ist Stand jetzt noch nicht bekannt, da noch auf die Begründung des Urteils gewartet wird.“ Ohne diese Begründung zu kennen, geht das Baurechtsamt Backnang davon aus, dass je nach Schwere des Verfahrensfehlers aber eine nachgeschobene Umweltprüfung im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens ausreichen könnte. Aber: „Ist der Fehler zu schwerwiegend, muss das Verfahren neu aufgesetzt werden“, so Nathan.
Welche Kommunen sind mit welchen Baugebieten von dem Urteil betroffen? Wir haben beim Baurechtsamt sowie bei allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in unserem Verbreitungsgebiet nachgefragt.
Backnang nennt kein Verfahren nach 13b BauGB in der Stadt.
Betroffen ist die Stadt Murrhardt von zwei laufenden Bebauungsplanverfahren. „Der Bebauungsplan Höhenweg – Erweiterung sollte in der Sitzung des Gemeinderats vom 27. Juli beschlossen werden. Angesichts des Urteils wurde der Tagesordnungspunkt abgesetzt“, sagt Bürgermeister Armin Mößner. Dort waren sechs Einfamilienhausbauplätze vorgesehen. Beim Bebauungsplan Am Höllbächle sind rund 60 Wohnungen geplant. Bereits abgeschlossen sind die 13b-Bebauungspläne Siegelsberg-Ost – dort sind drei mal drei Reihenhäuser in der Planung und teilweise in der Umsetzung – und Sägdöbel. „Es ergeben sich durch das Urteil zahlreiche Rechtsfragen, die wir nun mit Hochdruck klären“, sagt Mößner.
Für die Gemeinde Auenwald nennt das zuständige Baurechtsamt Backnang folgendes 13b-Verfahren: Gebiet Hauäcker. Das Verfahren ist abgeschlossen, es wurde laut Baurechtsamt im Verfahren ein erweitertes Umweltgutachten erstellt, weshalb eventuell keine Folgen für Bauherren entstehen. Das Gebiet ist bereits bebaut.
Von dem Urteil ist auch die Gemeinde Burgstetten mit dem Baugebiet Brühl VI betroffen. „Genauso wie viele andere Gemeinden auch, die sich darauf verlassen haben, dass unsere Gesetze Gültigkeit haben“, sagt Irmtraud Wiedersatz. „Wir werden jetzt zunächst abwarten, wie die genaue Begründung des Urteils lautet, das für September angekündigt ist. Je nachdem, wie sie ausfällt, werden wir die notwendigen Schritte einleiten. Die Verzögerung ist für uns alle ärgerlich, aber leider unumgänglich“, so die Bürgermeisterin abschließend.
In Großerlach hat das Urteil wahrscheinlich für drei Aufstellungsbeschlüsse unmittelbare Rechtsfolgen. „Da diese zunächst vorsorglich gefasst wurden, die Verfahren aber noch nicht weiterverfolgt wurden, hält sich der Schaden in Grenzen“, sagt Bürgermeister Christoph Jäger.
In Oppenweiler ist das Gebiet Schmiedbühl auf dem Reichenberg betroffen. Laut Baurechtsamt ist das Verfahren kürzlich abgeschlossen, ein Bauantrag liegt vor. „Aktuell bringt das Urteil sehr viel Unsicherheit für die Arbeit der Gemeinde und auch für die Beteiligten wie Planer, Projektträger, Grundstücksbesitzer und Bauantragsteller, weil die Begründung noch fehlt und nicht klar ist, wie weiter zu verfahren ist“, sagt Bürgermeister Bernhard Bühler.
„Nach unserer ersten Prüfung, auch zusammen mit der Baurechtsbehörde beim Landratsamt, hat das Urteil keinerlei Rechtsfolgen in Spiegelberg. Es ist lediglich ein B-Plan nach Paragraf 13b BauGB aufgestellt worden. Dieser B-Plan ist im August 2020 in Kraft getreten und ist rechtswirksam“, so Bürgermeister Uwe Bossert. Die im Gebiet bereits erstellten Gebäude seien bereits Anfang 2021 von der Baurechtsbehörde genehmigt worden. Nach rechtlicher Auffassung besteht in diesen Fällen Bestandsschutz, so Bossert.
Für Weissach im Tal nennt das Baurechtsamt folgende betroffene Gebiete: Hohenweilerstraße III – 1. Änderung und Erweiterung (seit 2018 abgeschlossen, fertig bebaut) und Mittelwiesen (abgeschlossen seit 2022, inzwischen bebaut) sowie Zur Fuchsklinge – 1. Erweiterung (seit 2019 laufend). „Das Gebiet Fuchsklinge ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen, aber aufgrund vorgezogener Baugenehmigungen schon – abschließend – bebaut“, sagt Daniel Bogner. „Von daher wurde die Gemeinde jetzt nicht wirklich ausgebremst, wobei es sicherlich abzuwarten gilt, ob entsprechende Umweltgutachten nachzureichen sind oder nochmals nachträglich ein großes formelles Bebauungsplanverfahren neu aufgesetzt werden muss“, so der Bürgermeister weiter.
Für die Gemeinde Allmersbach im Tal nennt das zuständige Baurechtsamt Backnang kein Verfahren nach 13b BauGB. Nicht betroffen sind laut Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff beziehungsweise Bürgermeister Reinhold Sczuka und Dieter Zahn die Gemeinden Aspach, Althütte und Sulzbach an der Murr.
„Je nachdem, ob das Nachreichen einer Umweltprüfung ausreicht oder ob ein Verfahren komplett neu gestartet werden muss, handelt es sich um Zeitverzögerungen von zirka bis zu einem Jahr – je nach Komplexität des Bebauungsplanes und der örtlichen Gegebenheiten“, so das Baurechtsamt Backnang abschließend. Wenn tatsächlich eine Baugenehmigung widerrufen werden muss, könnten laut Baurechtsamt Entschädigungsansprüche entstehen. Aber auch dazu wird eine Aussage im Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes erwartet.
Murrhardts Bürgermeister Armin Mößner sieht die Politik gefordert, „einen gangbaren Weg aufzuzeigen, der möglichst unbürokratisch und schnell den Kommunen, Baufirmen/Bauträgern und letztlich den Bauherren, die Verträge und Finanzierungen abgeschlossen haben, hilft.“
Entscheidung Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Stadt oder Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach Paragraf 13b Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) ohne Umweltprüfung überplant werden. Das hat der vierte Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig am 18. Juli dieses Jahres entschieden.
Europarecht Der BUND klagte gegen einen Bebauungsplan (B-Plan) in der badischen Gemeinde Gaiberg. Das BVerwG beurteilte den Paragrafen 13b BauGB als mit Europarecht unvereinbar – und erklärte deswegen einen im beschleunigten Genehmigungsverfahren ohne Umweltprüfung für kleine Neubaugebiete aufgestellten B-Plan für unwirksam.
Umweltprüfung Das Urteil betrifft letztlich alle Bebauungspläne, die im 13b-Verfahren ohne Umweltprüfung aufgestellt wurden oder noch im Verfahren sind. Der Paragraf war 2017 eingeführt worden, um am Ortsrand Bauverfahren auf bis zu 100 Ar großen Flächen zu beschleunigen und damit kurzfristig neuen Wohnraum schaffen zu können.