Staatstheater Stuttgart mit Rekord
„Der Erfolg beweist nicht, dass alles gut ist“
Die Staatstheater Stuttgart melden für die Saison 2024/2025 Rekordzahlen. Was sagt der Geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks dazu?

© Lichtgut/Leif Piechowski
Marc-Oliver Hendriks ist Geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgart
Von Nikolai B. Forstbauer
Ende Juli endet für die Staatstheater Stuttgart die Saison 2024/2025.
Herr Hendriks, die Spatzen überbieten sich in der Freude über die Auslastungszahlen. Sind sie wirklich so gut?
Ich freue mich, dass auch einmal gute Nachrichten voreilig bereits die Runde machen. Und in der Tat: Zum dritten Jahr in Folge können die Staatstheater Stuttgart Rekordzahlen bei Einnahmen und Besuchern vermelden. Eine durchschnittliche Auslastung von 89 Prozent über alle Sparten hinweg spricht eine deutliche Sprache – das ist kein Zufallsprodukt, sondern Ausdruck stabiler künstlerischer und organisatorischer Arbeit.
Was mögen die Menschen so sehr an den Angeboten der Staatstheater?
Offensichtlich treffen wir mit unserer sehr differenzierten Programmgestaltung den Nerv der Zeit, den Bedarf der Menschen – und die Themen, die sie bewegen. Das Publikum findet bei uns sowohl Halt als auch Irritation, klassische Stoffe ebenso wie neue ästhetische Formate. Diese Vielschichtigkeit scheint anzukommen.
Gibt es jetzt noch die Idee, hier oder da könnte ,noch mehr gehen‘?
Theater ist kein ökonomischer Wettbewerbsbetrieb. Wir zählen nicht um der Zahlen willen. Natürlich aber fragen wir uns permanent, wo wir besser werden können – aber nicht im Sinne von „mehr“, sondern im Sinne von Relevanz, Präzision, Präsenz. Der Erfolg tut gut, aber er ist nie Selbstzweck.
Was bedeuten die Zahlen für die Sparten Oper, Ballett und Schauspiel?
Die Spielplangestaltung erfolgt in jeder Sparte mit der Herausforderung, künstlerische Handschrift und Reichweite auszubalancieren. Dabei geht jede Sparte ihren eigenen Weg – und das offenbar sehr erfolgreich. Die Zahlen bedeuten eine enorme Rückspiegelung von Akzeptanz und Unterstützung. Was sich in der Vorstellung oft atmosphärisch andeutet, objektiviert sich im Zahlenwerk. Das motiviert – und verpflichtet.
Fürchten Sie einen künstlerischen Kurs der Bestätigung?
Erfolg fürchten wir grundsätzlich nicht, aber wir hinterfragen ihn natürlich kritisch. Ein volles Haus ist kein Selbstzweck, sondern im besten Fall das Ergebnis eines künstlerischen Angebots, das auch Reibung und Wagnis zulässt. Unser Publikum will nicht bedient, sondern angesprochen werden – das ist ein großer Unterschied.
Die Zahlen sind enorm – schwingt da auch schon die Idee mit, Oper und Ballett noch einmal im Littmann-Bau sehen zu können?
Das wäre sehr antizipierend gedacht. Wer die Zeitläufe kennt, weiß, dass auch die kommende Spielzeit auf absehbare Zeit nicht die letzte im Littmann-Bau sein wird. Aber vielleicht spielt der Gedanke – unbewusst, atmosphärisch – tatsächlich eine Rolle. Dieser Ort ist für viele emotional aufgeladen. Die Idee, ihn noch einmal in blasser Blüte zu erleben, ist verständlich.
Mit Blick auf die überfällige Sanierung und Erweiterung ließe sich wieder einmal ein ,Geht doch‘ äußern.
Das ist der Fluch des Erfolgs im täglichen Kampf gegen den Verfall von Technik und Betriebsstätte. Je besser uns das gelingt, desto mehr untergraben wir unsere eigene Argumentation. Dialektisch tragisch. Wir müssen diese Spannung kommunikativ auflösen – und aushalten. Der Erfolg beweist nicht, dass alles gut ist – sondern dass viel möglich ist, wenn sehr viele Menschen über ihre Grenzen hinausgehen. Das hat aber seine Grenzen, ansonsten wird es zynisch.
Und wie hält man das aus – diese Gleichzeitigkeit von Erfolg und strukturellem Mangel ja nicht nur im Littmann-Bau?
Die Zukunft planen, aber die Gegenwart absichern – das ist unsere Doppelstrategie. Sie gilt für Technik und Infrastruktur genauso wie für das künstlerische Arbeiten unter realen Bedingungen. Das betrifft das ganze Haus – und ganz besonders auch uns vier Intendanten. Wir tragen diese Spannung gemeinsam.