Neu im Kino: „Der Hochstapler“

Der Ex-Soldat, der sich im Spielwarenladen versteckte

Derek Cianfrances „Der Hochstapler“ zeichnet die Biografie eines US-Häftlings nach, der sich in einem Spielwarengeschäft versteckte – oberflächlich lustig-romantisch, im Kern tragisch.

Channing Tatum verkörpert Jeffrey Manchester, der sich in einem Spielwarenladen versteckt.

© epd/Davi Russo

Channing Tatum verkörpert Jeffrey Manchester, der sich in einem Spielwarenladen versteckt.

Von Kathrin Horster

Was haben billig zusammengezimmerte amerikanische Holzständerbauwerke mit dem drakonischen Justizsystem des Landes zu tun? – Eine Menge, führt der Filmemacher Derek Cianfrance in seiner Familientragikomödie „Der Hochstapler – Roofman“ mit dem als sexy Striptease-Tänzer bekannt gewordenem Channing Tatum in der Charakterrolle eines notorischen Räubers vor.

Die Geschichte von Jeffrey Manchester klingt zu verrückt, um wahr zu sein

Cianfrances Film beruht auf einem authentischen Kriminalfall der jüngsten Vergangenheit, das vorne weg. Denn eigentlich klingt die Lebensgeschichte des von Tatum verkörperten Jeffrey Manchester zu verrückt, um wahr zu sein. Nach der Highschool hatte Manchester aufgrund schlechter Noten wenig Chancen, sich an einer Uni zu bewerben. Also heuert er in den 1990ern beim Militär an und zieht in den Krieg. Als 20-Jähriger heiratet er, bekommt drei Kinder, arbeitet nach seiner Rückkehr im Billiglohnsektor bei McDonald’s, lässt sich wieder scheiden.

Zu Beginn von Cianfrances Film ist Jeffrey Manchesters Leben ein trauriger Scherbenhaufen, geprägt von Armut, Perspektivlosigkeit und daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplexen des jungen Vaters, weil der zum Geburtstag seiner Tochter nicht einmal ein Kinderfahrrad kaufen kann. Manchester könnte sich einfach fügen in sein Unglück, stoisch weiter machen hinterm Tresen von McDonald’s, hinnehmen, dass seine Ex-Frau (Melonie Diaz) ihm die Kinder entfremdet, und statt dessen den zweiten Versuch einer Familiengründung in Angriff nehmen.

Doch Manchester fasst den irren Plan, sich durch die Pappdächer der Fast-Food-Filialen zu bohren und am frühen Morgen aus dem Inneren der Restaurants die Belegschaft mit einem Gewehr aufzuscheuchen, um so Zugriff auf den Safe zu bekommen. Zig Einbrüche meistert er auf diese Weise und erobert mit dem geraubten Geld zunächst seine Frau zurück, ehe er geschnappt und zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt wird.

Auch das Gefängnis ist vor Manchesters Ausbruchsqualitäten nicht sicher

Doch sogar ein amerikanischer Knast ist nicht vor Manchesters gewiefter Ein- und Ausbruchstechnik sicher. Anstatt sich aber in einen anderen Bundesstaat abzusetzen, quartiert sich der Räuber im örtlichen Toys-R-Us ein; über Monate versteckt hinter einer Hohlwand.

Das klingt lustig, dabei ist Tatums Manchester ein zutiefst verzweifelter Mann, der alles tun würde, um seine Frau und Kinder für sich zurückzugewinnen.

Der reale Jeffrey Manchester wird selbst von seinen Opfern als freundlich und kaum zu Gewalt fähig beschrieben. Deshalb fällt es schwer, den auch von Tatum im Film als gutmütigen Familienmenschen angelegten Charakter als gefährlichen Kriminellen wahrzunehmen, der den unverhältnismäßig harten Richterspruch von 45 Jahren verdient hätte. Manchesters Refugium im Spielzeugladen beschreibt Cianfrance zunächst als Schlaraffenland, in dem sich der Knastflüchtling häuslich einrichtet; mit Süßigkeiten und Babybrei als Nahrung und nächtlichen Fahrradtouren durch die Gänge, um sich fit zu halten.

In weiteren Rollen spielen Kirsten Dunst und Peter Dinklage

Nüchtern betrachtet, flüchtet Manchester nur aus dem staatlichen in einen selbstgewählten Knast, in dem er tagsüber schläft und in den Wachphasen das Treiben der Angestellten über Baby-Monitore verfolgt. Dabei fällt ihm die allein erziehende Leigh (Kirsten Dunst) auf, die sich gegen ihren fiesen Boss Mitch (Peter Dinklage) behaupten muss. Dass sich Manchester bald aus seinem Versteck stiehlt, um Leigh kennenzulernen und sich ihrer Kirchengemeinde anzuschließen, wirkt dreist fabuliert, doch auch da orientiert sich der Film an Tatsachen.

Cianfrance geht es aber nicht nur um die komischen Aspekte der Gaunerposse, viel mehr interessiert er sich für die sozialen Bedingungen, die das Leben der kleinen Leute bestimmen. Darüber hinaus zeichnet er ein umfassendes Charakterporträt Manchesters, der vom Wunsch getrieben ist, anderen Gutes zu tun – und das hauptsächlich materiell auszudrücken versucht.

Sozialkritik an typisch amerikanischen Verhältnissen

Cianfrances Sozialkritik an typisch amerikanischen Verhältnissen tarnt sich oberflächlich als im politischen Sinn harmloser, phasenweise fast zuckrig romantischer Familienfilm. Dabei vermittelt er die Tragik hinter Jeffrey Manchesters Biografie; dessen unbeirrtes, trotzdem chancenloses Anstrampeln gegen soziale Begrenzungen und Stigmata.

Channing Tatum spielt diesen Anti-Helden mit seiner muskulösen, aufrechten Physis als äußerlich ungebrochenes, fast naives Steh-auf-Männchen. Zugleich kehrt er dessen verletzliche Seite hervor, wenn er angesichts seiner Misere heiße Tränen vergießt.

Am Ende drängt sich die Frage auf, warum solch arme Schweine wie Manchester in jahrzehntelanger Haft schmoren, während weitaus gefährlichere Zeitgenossen unbehelligt obszöne Vermögen scheffeln.

Der Hochstapler – Roofman. USA 2025. Regie: Derek Cianfrance. Mit Channing Tatum, Kirsten Dunst. 120 Minuten. Ab 12 Jahren.

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Erstellt:
26. November 2025, 17:24 Uhr

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