„Die Behörden haben mit Bergen an Arbeit zu kämpfen“

Engagierte in der Flüchtlingsarbeit äußern Kritik an geplanten Transitzentren an der Grenze

Wenn auf der großen politischen Bühne Lösungen gesucht werden, gehen diese oft an der Realität des Einzelnen vorbei. Ähnliches scheint auch beim Thema Migration der Fall zu sein, geht es nach jenen, die tagtäglich mit Flüchtlingen zu tun haben. Die geplanten Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze sehen sie kritisch.

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Wenn es nach CDU und CSU geht, sollen an der deutsch-österreichischen Grenze sogenannte Transitzentren errichtet werden, wo Asylbewerber festgehalten und überprüft werden können. Wenn sie beispielsweise aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, oder wenn andere EU-Länder für ihr Asylverfahren zuständig sind, soll ihnen eine Einreise verweigert werden. Das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen – das gibt es bisher nur an deutschen Flughäfen. So sollen Rückweisungen beschleunigt werden. Wie aber kann das gehen, wo doch ein Asylverfahren für gewöhnlich jahrelange Prüfung in Anspruch nimmt? „Die Rede ist von einem sogenannten Schnellverfahren und das macht mir Angst“, sagt Maria Neideck. Sie ist im Arbeitskreis Asyl in Backnang engagiert, betreut aber bereits seit 2001 ehrenamtlich Flüchtlinge. „Man kann dem Einzelnen so nicht ansatzweise in seinen Belangen gerecht werden“, findet sie. Schon allein die Angaben eines Asylbewerbers seriös zu recherchieren, seine Aussagen zu verifizieren – das brauche Zeit. „Ich sehe keine akzeptable Möglichkeit, wie man das in einem Zeitraum von wenigen Wochen hinbekommen kann“, sagt Neideck. Da gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man mache die Augen zu, Hauptsache man wird die Leute los, oder es dauere einfach länger. Zumal es derzeit kein Flüchtlingsproblem in diesem Sinne gebe. Dass täglich große Zahlen an Geflüchteten nach Deutschland einreisen, sei längst nicht mehr so.

Die Asylverfahren zu beschleunigen hält Jennifer Reinert, Integrationsmanagerin der Gemeindeverwaltung Weissach im Tal, grundsätzlich für gut. „Für lange Zeit auf einer Warteposition zu sitzen und nicht zu wissen, wie es weitergeht, ist für die Integration ungut“, erklärt sie. Beispielsweise dürften die Asylbewerber dann nicht zum Deutschsprachkurs – ein essenzieller Baustein der Integration. „Es würde meine Arbeit enorm erleichtern, wenn die Asylbewerber schneller ihre Bescheide bekommen.“ Allerdings ist auch Reinert der Ansicht, dass die Beschleunigung des Asylverfahrens nicht auf Kosten der Qualität gehen darf: Das müsse alles von qualifizierten Stellen intensiv geprüft werden. Einen Zeitraum von einem halben Jahr hält die Integrationsmanagerin dabei für realistisch – in der Theorie. „Das klappt dann, wenn alles auf null gestellt wäre. Das Problem ist aber, dass die Behörden nach wie vor mit den Bergen an Arbeit der vergangenen Jahre zu kämpfen haben.“ Und nicht nur sie, genauso seien die Gerichte mit den Klagen gegen die Asylbescheide überlastet. Auch Natascha Husseini, Sprecherin der Initiative Awia („Asylbewerber willkommen in Aspach“), kann sich nicht vorstellen, dass die Einrichtung von Transitzentren gelingen kann. „Wir wissen noch gar nicht, wie genau das ablaufen soll“, sagt sie. Insofern könne sie sich kein abschließendes Urteil bilden. Doch von den Details, die bisher durch die Medien geistern, hält sie nichts. Für die beschleunigten Asylverfahren benötige man geschultes Personal. Wo aber solle dieses herkommen? „Das Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) ist seit zweieinhalb Jahren völlig überfordert“, schildert sie ihre Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit. Viele Asylbewerber müssten jahrelang auf ihren Bescheid warten und dann sei dieser manchmal so fehlerhaft, dass er mit einer Klage wieder revidiert werden könne.

Unterbringung in Zentren ist für

die Integration nicht förderlich

Maria Neideck zufolge ist die Problematik der überlasteten Behörden nicht erst ein Phänomen der vergangenen zwei oder drei Jahre. „Etwa 2010 habe ich einen Asylbewerber aus Somalia betreut, bei dem das Verfahren einfach nicht vorangegangen ist.“ Der Mann sei allein fünfmal einbestellt worden, um seine Fingerabdrücke nehmen zu lassen und zu registrieren. Das Bundesamt sei einfach nicht ausreichend mit geschulten Mitarbeitern ausgestattet, um diesen Arbeitsaufwand zügig bearbeiten zu können. „Ich habe das Gefühl, dass viele nicht wissen, was sie mit diesen Menschen machen sollen“, sagt sie. Deshalb werde wohl vieles auf die lange Bank geschoben. „Kein Land will diese Menschen haben und mir scheint in manchen Behörden hierzulande auch wenig Bereitschaft vorhanden, sich um sie zu kümmern“, schildert Natascha Husseini.

Die Art und Weise, wie mit Asylbewerbern in solchen Transitzentren umgegangen wird, widerstrebt der ehrenamtlich engagierten Husseini. Diese sollen in solchen Einrichtungen festgehalten werden, bis über ihre Ein- oder Ausreise entschieden ist. Der ehemalige SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte die Zentren als „Haftzonen“ bezeichnet und auch Husseini findet eine solche Internierung „unmenschlich“. „Will man da an der Grenze einfach ein paar Container aufstellen und Menschen verschiedenster Kulturen und Religionen zusammenpferchen? Dass so etwas nicht funktioniert, sieht man doch schon an den sogenannten Hotspots in Griechenland“, sagt sie. „Wir kennen die Probleme, die in der Vergangenheit in solchen Unterkünften entstanden sind“, bestärkt auch Maria Neideck. Solche Zentren seien für die Integration nicht förderlich. Die Sprecherin der AK Asyl in Backnang hält auch ähnliche Einrichtungen auf dem afrikanischen Kontinent für unsinnig. „Wem der Kittel brennt, der wartet nicht auf europäische Beschlüsse“, sagt sie.

In einem sind sich die drei Frauen einig: „Momentan erweckt die Politik den Eindruck, dass die Flüchtlinge das einzige Problem in Deutschland sind“, so Neideck. Sie sieht auch in diesem Kontext vielmehr die Integration als Herkulesaufgabe, die die Politik angehen müsse.

Das Asylverfahren Info Ein Asylverfahren verläuft nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung wie folgt ab: Ausländer, die nach Deutschland einreisen und Asyl beantragen wollen, können ihr Asylbegehren bei den Grenzbehörden vorbringen. Sie werden daraufhin registriert. Dabei werden Stammdaten erfasst, Finderabdrücke genommen und ein biometrisches Passfoto gemacht. Die Asylsuchenden werden dann in Deutschland verteilt und stellen einen Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Das Bamf prüft zunächst, ob es überhaupt für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Wenn nicht, werden die Asylsuchenden an jene Länder überstellt, die gemäß dem Dublin-Abkommen zuständig sind. Dieser Schritt soll in den Transitzentren schon nach einer Woche erfolgen können. Ist das Bamf für das Asylverfahren zuständig, wird der Bewerber zu einer Anhörung geladen, in der er seine Lebensumstände und Fluchtgründe erläutert. Ein Mitarbeiter des Bamf entscheidet dann, ob Schutz gewährt wird.

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Erstellt:
4. Juli 2018, 06:00 Uhr

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