Die glückliche Löwin

Mehr Mut, mehr Vielstimmigkeit – wie Direktorin Christiane Lange die Staatsgalerie Stuttgart zurück in die erste Reihe führen will

Von Baustellen umlagert und geplagt von den Folgen umfassender Sanierungsarbeiten – die Staatsgalerie Stuttgart hat es schwer. Nun aber will Direktorin Christiane Lange Baden-Württembergs Museumsflaggschiff wieder hart am Wind segeln lassen.

Stuttgart Ein großer Schreibtisch, eine Besprechungsecke – zurückhaltend könnte man das Ambiente in Christiane Langes Büro wohlwollend nennen. Auffällig sind eigentlich nur zwei großformatige Bilder von Uwe Lausen. Lausen? Gerade 29 Jahre ist der Maler, als der 1941 in ­Stuttgart Geborene 1970 sein Leben beendet. Über die Literatur kommt Lausen zur Kunst, eine Akademie besucht er nicht. Aber sofort mit dem ersten Auftreten des Zwanzigjährigen ist klar: Da will einer ganz vorne dabei sein. Was interessiert Christiane Lange an Uwe Lausen? „Seine eigene Farbigkeit, seine ­Radikalität.“ Ein passendes Stichwort. Nicht wenige hätten sich von Christiane Lange seit ihrem Antritt als Staatsgaleriedirektorin 2013 genau dies gewünscht: mehr eigene Farbigkeit, mehr Radikalität.

Immerhin nutzt sie die öffentliche Vertragsunterzeichnung für klare Ansagen: Die politisch erwartete Besucherzahl? Widerspreche den Realitäten eines Hauses ­inmitten von laufenden und anstehenden Bauarbeiten. Lange lenkt den Blick auf anderes: „Gerade in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft neu definieren muss, ist die Kunst das Einzige, durch das wir anders denken lernen können“, sagt sie. Und: „Ohne Kultur kann sich die Gesellschaft überhaupt nicht entwickeln.“

Auch dies weckt Erwartungen. Auf eine Staatsgalerie, die 900 Jahre Kunstgeschichte präsentiert, mehr denn je aber auch aktuelle Fragen spiegelt. 2015 löst Lange die Erwartungen ein. „Grenzen des Wachstums“ ist eine Tagung angekündigt, die bundesweit höchstes Interesse findet. „Ausgerechnet das ­Museum“, heißt es vorab, „das dem Sammeln, Forschen und Bewahren verpflichtet ist, scheint einer Wachstumslogik unterworfen zu sein, die der von entfesselten Märkten gleicht.“

Klare Worte findet Lange auch auf der Tagung selbst. Museen seien keinesfalls selbstverständlich, sagt sie. Und fragt, ob knappe öffentliche Haushalte Priorisierungen erforderten. Ein Bumerang. Eben noch gefeiert, gilt Christiane Lange plötzlich als kalte Frontfrau der großen Museen im Ringen um schwindende Gelder.

Der Wind dreht sich. Schwindende Besucherzahlen geraten in den Blick, aber auch die wirtschaftlichen Ausgliederungen des Museumsshops und des Aufsichtspersonals. Die Staatsgalerie, so scheint es, ist nicht nur von Baustellen umzingelt, sondern zeigt auch im Innenleben Risse.

Hat Christiane Lange, bis 2012 Direktorin der Hypo-Kunsthalle mit einer schlanken Organisationsform die Aufgabe in Stuttgart unterschätzt? „Ich war einen so großen Betrieb nicht gewöhnt“, sagt sie offen. Und: „Ich würde heute vieles anders kommunizieren.“

Anfang des Jahres 2017 verlängert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Christiane Langes Vertrag bis 2021. „Wir wollen in allen Fragen der ­Digitalisierung deutliche Schritte nach vorne machen – von der Erfassung unserer Bestände bis hin zu neuen Service-Angeboten für unser Publikum“, sagt Lange seinerzeit. Die Realität aber bringt erst einmal andere Aufgaben: Die Staatsgalerie in der Baustellen-Falle und ein stärkerer Schulterschluss der Leitungsteams aller Kultur­einrichtungen im Zentrum der Landeshauptstadt sind Langes Themen.

Von Mitte 2018 an dringen neue Töne aus der Staatsgalerie: Der umfassende (Dauerleihgaben-)Bestand an Arbeiten von Wilhelm Lehmbruck kann gesichert werden, eine große Sonderausstellung zum Werk des Kunst-Revolutionärs Marcel ­Duchamp kündigt sich an. Zudem ist von personellen Veränderungen die Rede – und bald auch von „Weissenhof City“, einem Projekt, mit dem die Staats­galerie im Sommer 2019 weit in den Stadtraum ausgreift.

Und nun, im März 2019? Christiane ­Lange erzählt von „erfolgreichen Drittmittel-Anträgen“, freut sich über die Nominierung der an diesem Sonntag zu Ende gehenden Duchamp-Schau als „Ausstellung des Jahres“. Eine Bestätigung auch für die Projektverantwortliche Susanne I. M. Kaufmann. Bis jetzt über die Volkswagen-Stiftung finanziert, gehört sie von 1. Juli an fest zum Kuratoren-Team der Staatsgalerie, ohne feste Ressortzuständigkeit.

„Wir wollen das Haus weiter verändern“, sagt Christiane Lange, „das Organigramm ist nicht für alle Zeiten festgezurrt.“ Schon seit 1. Januar zählt Nathalie Frensch neu zur Kuratoren-Riege.

Es bewegt sich viel auf und in Baden-Württembergs Museumsflaggschiff. Ist dies der zweite Antritt von Christiane Lange als Staatsgaleriedirektorin? „Antritt ist für mich eigentlich jeden Tag, seit ich hier bin“, sagt Christiane Lange – und verweist auf einen Zukunftskongress: „Wie kann, wie soll die Staatsgalerie Stuttgart 2030 aussehen? Anfang Januar haben wir darüber hier anderthalb Tage diskutiert.“

„Museen“, sagt Lange, „sind Gradmesser gesellschaftlicher Verwerfungen.“ Dies sei ­„Herausforderung und Chance zugleich“.

Das alles hört sich gut an – aber wie passt dazu, dass die Staatsgalerie von diesem Donnerstag an Bühne für ein Werk des britischen Street-Art-Künstlers Banksy wird, das sich während einer Auktion spektakulär selbst zu zerstören begann? „Ganz hervorragend“, sagt Lange. „Die Aktion hat Interesse weit über die Kunstkreise ­hinaus geweckt. Für mich stellt sich die Frage: Ist Banksy der Duchamp der ­Gegenwart?“

Folgerichtig will Lange „keine Banksy-Kapelle“. Das Bild soll durch die Sammlungsräume wandern. Als Gast unter den „Gästen“, als die Christiane Lange die Kunstwerke in der Staatsgalerie sieht. Und „Gäste“, sagt Lange, „brauchen Aufmerksamkeit“. Und ergänzt: „Die Energie, die man hineinsteckt, kommt zurück.“

Nicht selten erschien Christiane Lange in den vergangenen Jahren als Löwin – kämpferisch bestrebt, auf immer neuen Wegen auf mehreren buchstäblichen Baustellen gleichzeitig Lösungen zu finden.

Entspannt wirkt sie jetzt. „Bis 2020 ­haben wir die erste Generalinventur überhaupt in unsere Datenbank überführt“, sagt sie. „Ein nächster Schritt.“ Und sie ist auf die Ausstellung „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer – Die jungen Jahre der Alten Meister“ gespannt. „Diese Künstler“, sagt Lange „reflektierten die deutsche Geschichte in einer Weise, die international wahrgenommen wurde und das Bild des demokratischen Deutschland mit prägte.“

Wie fühlt sich Christiane Lange inmitten der neuen Winde in und für die Staatsgalerie Stuttgart? „Ich bin“, sagt sie und nimmt das Bild der Löwin auf, „eine glückliche, aber müde Löwin.“ Und die Staatsgalerie? „Wir sind das internationale Haus für ­Baden-Württemberg.“

Zum Artikel

Erstellt:
5. März 2019, 03:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen