Eine pfiffige Schnapsidee

Eichenkirnberger Brennerei Bohn verwandelt Spenden von altem Whiskey oder Kirschlikör in Reinigungsbrand zur Desinfektion

Wir Schwaben wussten es schon immer: „Weggschmissa wird nichts – wer weiß, ob mr’s mal irgendwann braucha ka.“ Diese alte schwäbische Tugend des Aufbewahrens bewährt sich in Coronazeiten: Die Brennerei Bohn machte heuer zum zweiten Mal aus alten Spirituosen den Rohstoff für die Flächendesinfektion.

Eingespieltes Team: Rainer und Erwin Bohn von der gleichnamigen Brennerei in Eichenkirnberg (von links). Foto: B. Büttner

Eingespieltes Team: Rainer und Erwin Bohn von der gleichnamigen Brennerei in Eichenkirnberg (von links). Foto: B. Büttner

Von Heidrun Gehrke

KAISERSBACH/GSCHWEND/EICHENKIRNBERG. In den Hausbars und Kellern schlummern Unmengen an Schnäpsen und Likören, die kein Mensch mehr will: Partyreste vergangener Jugendtage, nie geöffnete Verlegenheitsgeschenke, peinliche Zeugen früherer Geschmacksverirrungen. Nun darf der alte „Glombaddsch“ rausgezerrt werden aus Regalen und Vitrinen für eine originelle Aktion der Eichenkirnberger Brennerei Bohn.

Im deren Hof stehen seit zwei Wochen in einem Pavillon rustikale Holz-Weinkisten, dort stellen Menschen kontaktlos ihre Flaschen ab. Dort finden sich vom Obstler im Glaskolben über 40 Jahre alte Whiskeyreste bis hin zu zähflüssigem Kirschlikör, der kurz davor ist, zu einer Art Bernstein in der Flasche zu verhärten. „Ich habe aufgehört zu zählen, an wie vielen geöffneten Flaschen wir schon geschnuppert haben und wie viele Ramazottis, Steinhäger, Apfelkorn, Metaxas und Bacardis wir entsorgen durften“, sagt Rainer Bohn. Darunter kamen alte „Schätze“ und auch Minderwertiges zum Vorschein: „Ein Zwetschgenbrand im Glaskolben hatte einen Stich vom Vorlauf, der Klebstoffgeruch war noch drin.“

Die Rohstoffspende trug ein Etikett von 1983. So ändern sich die Moden: Schon eine geringe Menge des ersten Ausflusses aus der Destille – der von heutigen Brennern verschmähte Vorlauf – reiche, um den ganzen Brand mit der untrüglichen Klebstoffnote zu versauen. „Früher wurde alles verwendet. Man sieht, dass nicht immer die Qualität im Vordergrund stand wie heute, sondern die Menge.“ Ein Spender trennte sich von einem Hochzeitserinnerungskorb: „Verschiedene Flaschen mit Etiketten, voller Bilder von Gästen und dem Brautpaar.“ Vor allem Liköre geben die Leute ab, nur etwa 20 Prozent der Spenden seien hochprozentige Brände. Ein Highlight waren für den Brenner zwei identische Gordon Vodkas, ungeöffnet. „Mit Bleistift wurden die Jahre 1972 und 1973 auf dem Etikett notiert, die leere 1,5-Liter-Henkelflasche habe ich fotografiert.“ Der Inhalt einiger ungeöffneter Flaschen sei bis heute trinkbar: „Wir haben gestaunt, wie lange sich Hochprozentiges mit der richtigen Lagerung hält.“

Von der Resonanz auf die „Schnapsidee“ seiner Frau Anja seien sie überrascht: „Viele sind wohl froh, dass sie ihren Altalkohol losbekommen und ihn jetzt für einen guten Zweck raushauen können“, berichtet der Brenner von der enormen Spendenbereitschaft. Anja Bohn habe im Rahmen ihrer noch laufenden Fortbildung zur Edelbrand-Sommelière realisiert, wie viele Flaschen in vergessenen Ecken vor sich hinmodern. „Die Sachen sind nicht wertlos, insbesondere in Coronazeiten, wo sich alles um die Desinfektion dreht“, sagt Rainer Bohn. Angesichts knapper Ressourcen müsse kein kostbares Handdesinfektionsmittel genommen werden, um einen Tisch oder einen Stuhl abzureiben. Desinfektion sei nicht gleich Desinfektion: Im Rohstoff für die Handdesinfektion dürfen manche Bestandteile nicht enthalten sein. Dieser sogenannte „Prima-Sprit“ könne nur von hochwertigeren industriellen Anlagen hergestellt werden und bringe es auf 96 Prozent.

Der Reinigungsbrand ist nur für Flächen geeignet und besteht aus 90-prozentigem Alkohol

Bei dem Alkohol, der beim Brennen der gespendeten Altspirituosen entsteht, handele es sich um 90-prozentigen Alkohol zu Reinigungszwecken, auch Feinbrand genannt. „Dieser Reinigungsbrand eignet sich ausschließlich zur Desinfektion von Flächen“, macht Rainer Bohn den Unterschied klar.

Die Brennerei spendet den Brennvorgang und den dabei entstehenden Alkohol. „Er wird nach der Destillation von uns von 90 auf 85 Prozent heruntergesetzt und ist für den Verbraucher direkt als Reinigungsalkohol zur Flächenreinigung einsetzbar.“

Vor Kurzem war es zum zweiten Mal so weit: 120 Liter Altspirituosen kamen nacheinander in die Brennblase. Die ganze Familie habe „Flasche für Flasche auf den Kopf gestellt und alles in einen großen Pott gekippt“, erzählt Bohn. Gesammelt werde der Rohstoff ungeachtet von Alter und Schnapssorte zunächst in einem großen Kunststofffass, in dem die Brennerei normalerweise ihren Kornbrand oder Obstmaische zwischenlagert.

Anschließend wird der Fassinhalt in die Brennblase gepumpt, die mit Holz auf die Temperatur von 75 bis 80 Grad geheizt wird, bei der Alkohol verdampft. Was sich danach im Kupferkessel abspielt, sei ein gewöhnlicher Brennvorgang: „Material wird erhitzt, Alkohol steigt als Dampf nach oben, kondensiert an einer Kühlung und läuft als glasklare Flüssigkeit ab“, sagt Rainer Bohn.

„Ob ich Obstmaische nehme und den Alkohol aus dem Rohprodukt Obst hole oder aus einem zähflüssigen Likör, ist fürs Brennen egal.“ Zweimal rund 50 Liter Reinigungsbrand habe ihr Alkoholrecycling bis jetzt zusammengebracht. Damit könnten fürs Erste die Anfragen von Schulen, Büchereien, Privatpersonen mit eigener Praxis, Tafelläden und Pflegeheimen aus dem Rems-Murr-Kreis und umliegenden Kreisen bedient werden. Ihnen gehe es darum, ein Zeichen des Zusammenhalts zu setzen: „Wir möchten zeigen, dass es nicht immer um Profit geht.“ Als Bindeglied zwischen Rohstoffspender und Anwender möchten sie etwas beisteuern „zur Unterstützung der Bevölkerung“.

Katja Müller, Bürgermeisterin von Kaisersbach, gab ebenfalls Alkohol ab und sagt: „Jetzt ist ein guter Anlass, den Keller auszuräumen. Irgendwo hat man noch eine Flasche rumfahren von den unliebsamen Spirituosen“, sagt sie. Sie habe aus der Welzheimer Zeitung von der Aktion erfahren und sofort in Bar und Keller das Flaschenlager ausgemistet. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die jemals geöffnet oder leer getrunken werden, ist gering“, meint sie. Statt den Inhalt in den Ausguss zu kippen, entschied sie sich für das Alkoholrecycling und fuhr alles zur Brennerei Bohn. Ihr Eindruck: „Die Spendenbereitschaft ist augenscheinlich groß und das Sammelsurium an unterschiedlichen Flaschen beeindruckend.“ In der aktuellen Situation werde damit doppelt Gutes getan. „Umwelt und Kläranlage werden entlastet und dringend benötigter Rohstoff für Hygiene- und Desinfektionsmittel hergestellt.“

Info

Um nicht mit dem Zollrecht in Schwierigkeiten zu kommen, muss die Brennerei Bohn jeden Reinigungsbrand vom Zoll genehmigen lassen. Laut EU-Zollrecht muss der Altalkohol offiziell erworben worden sein. Dann könne er sicher sein, dass bereits Branntweinsteuer abgeführt wurde, sagt Rainer Bohn. Um dem Zoll gegenüber auf Nummer sicher zu gehen, lassen Bohns jeden Spender ein Formular mit Name, Adresse und Unterschrift ausfüllen. Die Daten werden nicht weitergegeben, versichert Bohn. Er müsse sie im Fall auf Verlangen dem Zoll zum Nachweis über die Herkunft des Alkohols vorlegen. Entscheidend für den Brenner: Er muss seinen Output einem gesicherten Input zuordnen können. „Mit den Erklärungen der Spender erbringe ich den Nachweis, mit welcher Menge Alkohol wir zu der Output-Menge kommen, die wir verschenken“, erklärt er.

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Erstellt:
11. Mai 2020, 11:30 Uhr

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