Immer mehr Kommunen verbieten Proteste gegen Corona-Auflagen

dpa/lsw Heilbronn/Stuttgart. Es scheint, als habe die Debatte um die jüngste Stuttgarter Demonstration mitten in der Corona-Pandemie etwas ins Rollen gebracht. Nicht nur Stuttgart verbietet nach der Schelte zunächst weitere Proteste. Andere Kommunen nehmen sich ein Beispiel.

Harry Mergel, Oberbürgermeister der Stadt Heilbronn. Foto: Silas Stein/dpa/Archivbild

Harry Mergel, Oberbürgermeister der Stadt Heilbronn. Foto: Silas Stein/dpa/Archivbild

Nach der scharfen Kritik am jüngsten Stuttgarter Massenprotest gegen die Corona-Auflagen haben weitere Städte angemeldete Kundgebungen von Gegnern der Pandemie-Politik untersagt. Die Verwaltungen in Heilbronn und Rastatt beriefen sich dabei am Freitag sowohl auf die Infektionsgefahr als auch auf die schlechten Erfahrungen mit den Veranstaltern. Zuvor hatte bereits die Stadt Stuttgart zwei Proteste verboten, um Szenen wie am Karsamstag zu verhindern.

Am Osterwochenende waren bei einer ausufernden Demonstration der „Querdenken“-Bewegung Tausende Teilnehmer ohne Mund-Nasen-Schutz und Abstand unterwegs gewesen. Daraufhin war ein Streit darüber entbrannt, ob solche Veranstaltungen verboten werden können.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) äußerte Verständnis für die Verbote der Kommunen. „Die Entscheidungen der Städte sind in der aktuellen Lage absolut nachvollziehbar“, sagte er der dpa. „Wer eine Demonstration oder Versammlung anmeldet, wird an seinen Absichten gemessen.“

In Heilbronn hatten sich die „Querdenker“ für diesen Samstag (10. April) angemeldet. Die Stadt verwies allerdings auf die fehlende Zusage des Veranstalters, Auflagen des Ordnungsamts wie die Maskenpflicht zu akzeptieren und durchzusetzen. „Auch Erfahrungen aus vergleichbaren Veranstaltungen landesweit begründen bei den Verantwortlichen Zweifel, dass die Auflagen umgesetzt werden.“ Man befinde sich in einer sehr kritischen Phase der Pandemie mit hohen Inzidenzzahlen, sagte Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD). „Es wäre unverantwortlich, eine solche Veranstaltung ohne Abstand und Maskenpflicht durchführen zu lassen.“

In Öhringen (Hohenlohekreis) ist zwar eine kleine Demonstration am Sonntag genehmigt. Es handele sich aber um einen stabilen Kreis von Protestlern, der sich regelmäßig auf einem Parkplatz am Stadtrand trifft, Abstände einhält und Masken trägt, sagte ein Stadtsprecher.

In Rastatt dagegen sind Gegner der Corona-Maßnahmen am Samstag ebenfalls nicht erwünscht. Von der als „Großdemo“ mit rund 1000 Teilnehmern angekündigten Veranstaltung gehe eine erhebliche infektiologische Gefahr für die Bevölkerung aus, erklärte das Landratsamt. „Der Untertitel der Demonstration „Zeig dein Gesicht für die Grundrechte“ impliziere, dass sich die Teilnehmer bewusst ohne Maske versammeln wollen.“ Dies widerspreche aber den Maßgaben zur Eindämmung der Pandemie. Das Gesundheitsamt habe das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit gegen den Infektionsschutz abgewogen. „Zusammengefasst fällt die Ermessensentscheidung zugunsten des Grundrechts Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus.“

In Stuttgart war dies zuvor noch anders entschieden worden. So konnten sich rund 15 000 Menschen am Karsamstag größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammeln. Zumindest auf absehbare Zeit dürfte sich das in der Landeshauptstadt nicht wiederholen: Zwei von Gegnern der Auflagen für den 17. April angemeldete Demos würden untersagt, teilte die Stadt mit. Die Veranstalter sollten Anfang kommender Woche entsprechende Bescheide erhalten. Die Anmelder hätten sich zuvor als unzuverlässig im Sinne des Versammlungsrechts erwiesen, begründete Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) die Entscheidung.

Er hatte zuvor die Erlaubnis für die Demonstration am vergangenen Samstag wiederholt verteidigt und auf das Versammlungsrecht verwiesen, das trotz Corona gelte. Das Landessozialministerium hatte hingegen schon vorab auf ein Verbot gedrungen. Aus Sicht der Behörde und von Rechtsexperten hätte die Veranstaltung in der Pandemie untersagt werden können. Beobachter zeigten angesichts der Bilder vom Cannstatter Wasen Unverständnis. Am kommenden Montag muss sich Nopper im Innenausschuss des Landtags den Fragen der Abgeordneten stellen.

Die Demo am vergangenen Samstag hatten Vertreter der „Querdenken“-Bewegung angemeldet. Sie kritisieren die Politik zum Eindämmen der Corona-Pandemie und bewerten die Maßnahmen als Einschränkung der Grundrechte.

Weder von der Initiative „Es reicht uns“, die einen der beiden untersagten Proteste angemeldet hatte, noch von den „Querdenkern“ gab es bislang eine Stellungnahme zu dem Verbot.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet diese Gruppierung. Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die „Querdenken“-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.

© dpa-infocom, dpa:210409-99-138223/4

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Erstellt:
9. April 2021, 11:05 Uhr

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