Hitzeaktionsplan Fehlanzeige: Dafür gibt es aber Strategien gegen Hitzebelastung

Die Stadtverwaltung Backnang hat zwar wie die Kommunen in der Umgebung keinen Hitzeaktionsplan. In der Praxis gehören aber vor allem langfristige Konzepte gegen Hitzestress zu den Topthemen.

Lieblingsplatz in heißen Zeiten: Der Baum in der Innenstadt trägt zur Abkühlung des Stadtklimas bei und spendet Schatten. Foto: Tobias Sellmaier

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Lieblingsplatz in heißen Zeiten: Der Baum in der Innenstadt trägt zur Abkühlung des Stadtklimas bei und spendet Schatten. Foto: Tobias Sellmaier

Von Ingrid Knack

Backnang/Murrhardt. Der Trend ist eindeutig: Es gibt immer mehr Hitzetage mit Temperaturen weit über 30 Grad. Auch dass stellenweise die 40-Grad-Marke überschritten wird, gehört mittlerweile hierzulande zur Realität. Hitzeaktionspläne sollen helfen, zur richtigen Zeit das Richtige zu tun – lang- und kurzfristig. Dabei geht es unter anderem um „Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel“, wie sich Landesgesundheitsminister Manfred Lucha Mitte Juli in Stuttgart äußerte. Das Land will die Städte, Gemeinden und Landkreise bei der Erarbeitung solcher Pläne unterstützen. Bereits im März 2017 hatte das damalige Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit einen Handlungsleitfaden veröffentlicht, den eine Bund-/Länder-Arbeitsgruppe erstellt hatte.

Wenngleich die Städte und Kommunen im Ländle durchaus schon lange unterschiedlichste Projekte gegen Hitzebelastungen umsetzen, sieht es in Sachen Hitzeaktionspläne mau aus. Eine der Ausnahmen ist die Stadt Mannheim, die als eine der ersten in Deutschland ein solches Schutzkonzept erarbeitet hat. Auch Heilbronn hat sich auf den Weg gemacht. Wir wollten wissen: Wie sieht es im Backnanger Raum aus? Gibt es solche Pläne? Wie reagiert man langfristig und kurzfristig auf Hitzeperioden?

Mannheim gehört zu den Vorreitern in Sachen Hitzeaktionsplan

Unsere kleine Umfrage ergab: Nirgendwo existiert ein Hitzeaktionsplan. Nicht auf dem Land und auch nicht in Backnang. Stadtbaudezernent Stefan Setzer erklärt, dass in Mannheim in erster Linie unmittelbare Maßnahmen zum Gesundheitsschutz dargestellt seien, die vor allem auf vulnerable Gruppen abzielten. „Wir beschäftigen uns bislang in erster Linie mit der Gestaltung der gebauten und unbebauten Umwelt, um eine Überhitzung der Stadt im Gesamten einerseits zu vermeiden beziehungsweise diese zu reduzieren. Andererseits gilt es, dafür Flächen zu erhalten beziehungsweise zu schaffen, die im Sommer noch einen angenehmen Aufenthalt erlauben, sogenannte kühle Orte. Wir verfolgen also bisher eine langfristige, dauerhaft wirkende Strategie.“

Stadt Backnang arbeitet an einem Landschaftsplan

Aktuell erarbeitet die Stadt Backnang nach den Worten Setzers für die vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft einen neuen Landschaftsplan. Darin werden unter anderem klimawirksame Kaltluftentstehungsgebiete und Kaltluftschneisen definiert. „Diese stadtklimatisch wichtigen Flächen sollen auch künftig von Bebauung freigehalten werden“, so Setzer.

Hitzeverstärkend komme in Backnang die Tallage hinzu. Erhitzte Luft sammele sich in der Talsohle und könne sich bei ungünstiger Bebauung zurückstauen, was man auch als Riegelwirkung bezeichne. Deshalb werde bei Bebauungen im Innenstadtbereich darauf geachtet, dass Gebäude durch eine entsprechende Stellung keine Riegelwirkung erzeugten.

Flüsse haben eine besondere Funktion in Sachen Hitzeschutz

Dass Backnang eine Stadt am Fluss ist, wirkt sich „klimatisch mildernd und ausgleichend“ aus, weiß der Stadtbaudezernent. Die Murr sorge durch ihre große Oberfläche für einen Temperaturausgleich zwischen Tag und Nacht. „Diesen Effekt will sich die Stadt zunutze machen, indem bei der Gestaltung der öffentlichen Räume in der Innenstadt künftig verstärkt Wassersprudler und/oder offene Wasserflächen in Form von Brunnen oder Bassins gebaut werden sollen. Diese wirken einerseits kühlend für das Stadtklima und erhöhen andererseits die Aufenthaltsqualität für Bewohner und Besucher der Innenstadt.“ Die Stadtverwaltung prüft derzeit auch auf einen Gemeinderatsantrag hin infrage kommende Standorte für neue Trinkbrunnen.

Eine große Bedeutung für den Hitzeschutz der Bevölkerung hätten auch siedlungsnahe Waldflächen wie der Plattenwald, sagt Setzer. Überdies seien Einzelbäume und Baumgruppen im Siedlungsgebiet stadtklimatisch von großer Bedeutung. Als Beispiel nennt Setzer den stadtbildprägenden Baum vor der Eisdiele Dolomiti. Bei Neu- oder Umbaumaßnahmen im öffentlichen Raum würden, wo immer möglich und sinnvoll, Baumpflanzungen vorgesehen – zum Beispiel in der Aspacher Straße und in der Eduard-Breuninger-Straße.

Klimawirksame Bäume bei Neubauten

Und: Bei Bebauungsplänen wird laut Setzer darauf geachtet, dass auch von privaten Bauherren „klimawirksame Bäume“ gepflanzt werden. Zudem wird in der Regel vorgeschrieben, dass versiegelte Flächen, die sich im Sommer stark aufheizen können, auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Diese Regelung wirke sich zudem positiv auf die Reduzierung des Oberflächenwasserabflusses aus. Künftig müsse in verstärktem Maß geprüft werden, ob bei Neubauten oder Gebäudesanierungen eine Fassadenbegrünung möglich und sinnvoll sei, so Setzer.

„Fassadenbegrünungen wirken ähnlich wie Bäume spürbar temperaturreduzierend und feuchtigkeitsausgleichend auf das Stadtklima“. Die Begrünung von Flachdächern sei ebenfalls schon lange bei vielen Neubauten oder Bestandssanierungen Standard. „Begrünte Dächer entfalten grundsätzlich dieselben positiven Wirkungen wie begrünte Fassaden. Hinzu kommt aber noch eine Pufferung von Niederschlagswasser, die das Kanalnetz entlastet.“

Pläne in Zusammenhang mit dem IBA-Quartier Backnang-West

„Im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung des IBA-Quartiers Backnang-West sollen die Prinzipien und Funktionen eines klimaangepassten Städtebaus beispielhaft und ganzheitlich auf der Maßstabsebene eines neuen beziehungsweise revitalisierten Stadtquartiers umgesetzt werden“, versichert der Stadtbaudezernent. Dazu zählten vor allem die Neugestaltung des Murruferbereichs und des sogenannten Murrparks mit intensiver Begrünung, viel Grün an Straßen, Wegen und Plätzen sowie die Entsiegelung von asphaltierten Flächen.

Stark zugenommen habe die Bedeutung des Sonnenschutzes auf Spielplätzen. Die Stadt rüstet – dem Vorbild des Annonaygartens folgend – sukzessive die öffentlichen Spielplätze mit Sonnensegeln nach.

Angepasste Arbeitszeiten bei großer Hitze

Neben den baulichen Maßnahmen, die dauerhaft wirken sollen, sorgt die Stadt Backnang mit entsprechenden arbeitsorganisatorischen Maßnahmen für den Schutz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor gesundheitlich belastender Hitze. Als Beispiel nennt Stefan Setzer den städtischen Baubetriebshof: „In den Sommermonaten kann der Arbeitsbeginn bereits auf 6 Uhr vorverlegt werden.“ Und an besonders heißen Tagen gibt es „Hitzesprudel“.

Bürgermeister Armin Mößner aus Murrhardt muss in Sachen Hitzeaktionsplan ebenfalls passen. Doch auch in der Walterichstadt passiert viel, was zum Hitzeschutz beiträgt. Neben Baumpflanzungen im Stadtgebiet und im Stadtwald mit Blick auf einen klimaresistenten Wald und Kaltluftschneisen sowie geplanten Dachbegrünungen spricht er etwa die unter der Hitze leidenden Gewässer an. Diese würden zusätzlich umgewälzt, um den Sauerstoffgehalt stabil zu halten. „Am Feuersee in Murrhardt läuft die Fontäne ununterbrochen und am Waldsee ist die Feuerwehr ein- bis zweimal pro Woche im Einsatz, um mit Pumpen das Wasser umzuwälzen und damit mit Sauerstoff anzureichern. Sowohl der Zulauf als auch der Ablauf sind aktuell trocken. “

Arbeitsgruppe gibt Empfehlungen

Handlungsempfehlungen Eine Bund-/Länder-Arbeitsgruppe hat sich auf Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit geeinigt. Die Kernelemente: 1. Zentrale Koordinierung und interdisziplinäre Zusammenarbeit, 2. Nutzung des Hitzewarnsystems, 3. Information und Kommunikation, 4. Reduzierung von Hitze in Innenräumen, 5. Besondere Beachtung von Risikogruppen, 6. Vorbereitung der Gesundheits- und Sozialsysteme, 7. Langfristige Stadtplanung und Bauwesen, 8. Monitoring und Evaluierung der Maßnahmen. Zu den Empfehlungen kommt man über: www.bmuv.de

Unterstützung Das Thema Hitze beschäftigt auch das Landratsamt Rems-Murr-Kreis. Dieses steht zur Unterstützung der Städte und Gemeinden bereit, wenn diese Hitzeaktionspläne aufstellten, gibt Landratsamtspressesprecherin Leonie Graf Auskunft.

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Erstellt:
12. August 2022, 06:00 Uhr

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