„Ich fühle immer auf gewisse Weise mit“

Der Tod ist ihr Beruf: Die 22-jährige Jennifer Schmid ist die beste ausgebildete Jungbestatterin Deutschlands

Jennifer Schmid ist schon seit ihrer Schulzeit von den Themen Sterben und Tod fasziniert. Ihre Faszination hat sie zu ihrem Beruf gemacht und arbeitet als Bestatterin. Und nicht nur das: Vor Kurzem wurde die 22-Jährige als beste ausgebildete Jungbestatterin Deutschlands ausgezeichnet. Was genau sie an ihrem Beruf mag und was es bei der Trauer von Angehörigen zu beachten gilt, erzählt sie uns im Gespräch.

Für Jennifer Schmid ist der Beruf als Bestatterin genau das, was sie machen möchte. Schon nach einem Praktikum wusste sie: Das ist es, das passt zu mir. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Für Jennifer Schmid ist der Beruf als Bestatterin genau das, was sie machen möchte. Schon nach einem Praktikum wusste sie: Das ist es, das passt zu mir. Foto: A. Becher

Von Silke Latzel

BACKNANG. Es ist ein Mittelweg zwischen Distanz und Empathie, den Jennifer Schmid bei ihrer Arbeit gehen muss. „Ich fühle immer auf gewisse Weise mit, aber ich lasse mich nicht zu sehr fallen“, erzählt die 22-Jährige, die im Bestattungshaus „Zur Ruhe“ in Backnang arbeitet. Es sei allerdings schon vorgekommen, dass sie bei ihrer Arbeit selbst so ergriffen war, dass sie weinen musste: „Es war die Trauerfeier eines Mannes, der sich kurz vor seinem Tod mit seiner 18-jährigen Tochter gestritten hatte. Die beiden konnten sich nicht mehr versöhnen, bevor er starb. Das hat mich daran erinnert, wie ich mit 18 auch Streit mit meinem Vater hatte... Die Musik und der Schmerz des Mädchens, da konnte ich mich dann auch nicht mehr zusammenreißen und habe ein paar Tränen vergossen. Aber das ist dann auch in Ordnung. Wenn man von so etwas nicht berührt wird, wäre das wirklich schlimm. Dann sollte man diesen Beruf auch nicht ausüben.“

Jennifer Schmid weiß, dass jeder Tag der letzte sein könnte – sie sieht es tagtäglich. Auch deshalb ist es ihr wichtig, sich von Freunden und Familie immer so zu verabschieden, „als würde man sich das letzte Mal sehen. Oder auch wenn man jetzt zum Beispiel als Teenager keine Lust hat, dauernd bei Oma und Opa vorbeizuschauen: Man hat nicht unendlich viel Zeit zusammen, irgendwann ist es vorbei und dann kann man es nicht mehr nachholen.“

Ihre Ausbildung hat Schmid im Raum Böblingen absolviert, dann führte sie ihr Weg nach Backnang. Auch, weil ihr Lebensgefährte hier arbeitet – ebenfalls als Bestatter. „Wir reden viel über das, was wir erleben. Das hilft und tut einfach gut. Denn was man nicht ausspricht, bleibt im Kopf, und das ist besonders nach einem vollen Tag oder einem schweren Fall ganz wichtig.“ In diesem Fall helfe ihr übrigens auch, bildlich im Kopf eine Tür zu schließen, wenn sie Feierabend macht.

„Jeder Mensch trauert anders, manche weinen, andere lachen“

Die Themen Tod und Sterben haben die 22-Jährige schon während ihrer Schulzeit interessiert. Nach der Realschule macht sie noch ihr Abitur, dann steht sie vor der Frage: Was jetzt? „Ich wusste nicht so recht, was ich machen soll, nichts war so richtig ,rund‘.“ Deshalb verwirft sie auch die Idee, Floristin zu werden. „Da hätte ich zwar auch Blumenschmuck für Gräber oder Ähnliches gestalten können, aber das war mir einfach zu langweilig, es hat einfach etwas gefehlt.“ Ihre Mutter kommt dann auf die Idee, dass die Tochter doch einfach ein Praktikum in einem Bestattungsunternehmen machen könnte. „Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Bestatter habe ich mir immer als alte Männer mit blasser Haut vorgestellt“, erzählt Schmid lachend. Sie absolviert ein Praktikum, ist begeistert und weiß jetzt: Das ist es, das möchte ich machen. „Ich hatte sehr viel Spaß und auch der Umgang mit den Verstorbenen hat mir schon während des Praktikums nichts ausgemacht.“

Sie beginnt ihre Ausbildung, schließt im März 2019 als eine der Besten ab, wird von der Stuttgarter Handwerkskammer ausgezeichnet. Doch damit nicht genug: Im Vergleich der Sieger der einzelnen Kammern in Baden-Württemberg liegt sie wieder ganz vorne und wird erneut ausgezeichnet, darf sich jetzt Landessiegerin nennen. Und kommt somit automatisch in den Bundeswettbewerb. Abermals ist sie ganz vorne dabei und wird am Ende als beste ausgebildete Jungbestatterin Deutschlands gekürt.

Das allerdings ging nicht ohne eine Prüfung über die Bühne. Sie bekommt eine Aufgabe gestellt, die sie in der Theorie bewältigen muss, beurteilt wurde dann die Umsetzung. „Es ging um einen fiktiven Trauerfall: Ein 12-jähriges Mädchen wurde erstochen. Und dann gab es da noch ein paar Fallstricke, die mit eingebaut wurden, zum Beispiel war vorgegeben, dass die Presse von der Sache wusste und involviert war.“ Schmids Prüfung: Die Trauerfeier vorbereiten und umsetzen, die Familie betreuen und vor allem: gewährleisten, dass die Eltern in Ruhe um ihre Tochter trauen können. Keine leichte Aufgabe – aber sie meistert sie mit Bravour und wird ausgezeichnet.

Während der Ausbildung lernt die junge Frau in der Bestattungsschule auch mit schwierigen Situationen umzugehen. „Natürlich ist ein Kind, das bei einem Unfall gestorben ist, etwas anderes als die Oma, die mit 93 Jahren friedlich eingeschlafen ist“, sagt sie. „Vor allem die Art, wie man dann mit den Angehörigen spricht, ist anders.“ Überhaupt: Es sind die Gespräche, die Schmid als gleichzeitig schwierig und schön empfindet: „Dass die Angehörigen mir viele persönliche Dinge erzählen, das berührt mich und ich mag das gern. Dann ist es wiederum nicht einfach, wenn Menschen vor ihrem Tod sehr gelitten haben oder auf brutale Art zu Tode kamen.“

Extremfälle für einen Bestatter sind etwa Unfälle, Fehlgeburten oder auch Suizide, erzählt Schmid. „Und jeder Mensch trauert anders, manche weinen, andere lachen viel. Wieder andere sind wütend und es kommt auch schon vor, dass sie die Wut dann im ersten Moment an uns auslassen. Aber das ist ganz natürlich und wir nehmen das auch nicht persönlich. Trauerpsychologie ist ja auch ein großer Teil der Ausbildung.“

In der Bestattungsschule werden natürlich noch andere Dinge unterrichtet, etwa wie ein Sarg ausgeschlagen oder ein Grab ausgehoben wird. Auch Betriebswirtschaftslehre, Friedhofsrecht und Marketing gehören dazu. Und ganz wichtig: Die Organisation der Trauerfeier. „Da gibt es ganz viele Dinge zu beachten, auf die man gar nicht kommt, wenn man es nicht gelernt hat“, erzählt sie. „Etwa wie man den Sarg aufstellt oder dass das Weihwasser rechts des Sarges platziert wird.“ Bei Ehepaaren, die gemeinsam zu Tode gekommen sind, werden die Särge symbolisch miteinander verbunden, etwa durch ein Band. Und auch die Fotos der Verstorbenen, die aufgestellt werden, sollten richtig platziert sein. Ebenso der Blumenschmuck: „Kränze von nahen Angehörigen werden immer näher an den Sarg gelegt als beispielsweise die eines Vereins, in dem der Verstorbene aktiv war.“ Auch müsse ein Bestatter ein Gespür für Details haben, die wiederum einfach viel ausmachen: „Hat zum Beispiel jemand gerne geangelt, dann versucht man, das einzubauen, vielleicht mit einer Angel oder so.“

Große Unterstützung von der Familie

Dass ihre Tochter einen relativ ungewöhnlichen Beruf gewählt hat, ist für Schmids Eltern übrigens kein Problem. Im Gegenteil: „Sie unterstützen mich.“ Und auch die Großeltern sind stolz auf sie, nur einer ihrer Opas hatte etwas Zweifel, „da er Bestatter eher als Männerberuf und auch die teilweise körperlich anstrengende Arbeit als ungeeignet für Frauen sieht“. Dass sie gegen Vorurteile ankämpfen muss, empfindet Schmid allerdings nicht. „Hin und wieder werde ich zwar mal von Angehörigen gefragt, warum ich denn nicht etwas anderes mache, aber ich hatte ich nie das Gefühl, dass ich nicht angenommen werde.“

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Erstellt:
15. November 2019, 11:30 Uhr

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