Keine Schulverweigerer mehr wegen Corona

Im Bereich des Staatlichen Schulamts Backnang sind derzeit keine Schüler mehr registriert, die aufgrund der Coronamaßnahmen dem Unterricht widerrechtlich fernbleiben. Auch die Waldorfschule Backnang bestätigt das Ende der Zerrissenheit zwischen einigen Eltern und der Schulleitung.

Seit die Einschränkungen wegen Corona beendet sind, gibt es fast keine Verstöße mehr gegen die Schulpflicht. Foto: stock.adobe.com/Ewa Leon

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Seit die Einschränkungen wegen Corona beendet sind, gibt es fast keine Verstöße mehr gegen die Schulpflicht. Foto: stock.adobe.com/Ewa Leon

Von Matthias Nothstein

Backnang. Mit dem Ende der Masken- und Testpflicht hat sich auch das Thema Schulverweigerer erledigt, zumindest in den Fällen, die das mit den Coronamaßnahmen begründet haben. Roland Jeck, der stellvertretende Leiter des Staatlichen Schulamts Backnang, weiß von drei Fällen, die sich einst mit Verweis auf die Einschränkungen und die Maskenpflicht geweigert hatten, die Schulbank zu drücken beziehungsweise ihre Kinder zu schicken, „aber die Kinder sind alle wieder da“. Und auch Katrin Moll, die nicht nur Schulleiterin der Mörikeschule ist, sondern auch geschäftsführende Schulleiterin aller Backnanger Schulen, berichtet: „Die Lage hat sich wieder beruhigt.“ Jeck hat ebenso bei den Schulleitern im Raum Backnang die Lage abgefragt und unisono zur Antwort erhalten: „Das ist kein brennendes Thema mehr.“

Selbst Katrin Walker, die Geschäftsführerin der Freien Waldorfschule Backnang, ist froh, dass auch sie Positives berichten kann. „Corona spielt an unserer Schule keine große Rolle mehr, alle Kinder sind wieder da. Und die Zerrissenheit, die zum Teil in der Lehrer- und Elternschaft vorgeherrscht hat, ist Vergangenheit.“ Als konkretes Beispiel nennt sie den Martinimarkt, der unlängst stattgefunden hat, „da haben alle Eltern angepackt und mit dem gemeinsamen Schaffen wächst man auch wieder zusammen“.

Es wurden Einzelgespräche mit kritischen Eltern und Kindern geführt

Noch vor Jahresfrist sah dies anders aus. Da hatten unverhältnismäßig viele ihrer Waldorfschüler sich um ein Attest bemüht, welches sie von der Maskenpflicht im Unterricht befreien sollte. Auch gab es einige Eleven, die den Schulbesuch gar verweigerten. Walker bestätigt, dass es einige Einzelgespräche mit kritischen Eltern und Kindern gab. Diese Kommunikation ist ihr ganz wichtig, da speziell die Waldorfschule keine Institution sei, „in der man sein Kind einfach abgibt und fertig, sondern in der die Schulgemeinschaft eine ganz besondere Rolle spielt“. Deshalb freut sich die Schulleiterin insbesondere darüber, dass kein einziger Schulvertrag gekündigt wurde oder werden musste.

Deutliche Lernrückstände bei einzelnen Kindern

Nun gilt es, die Verwundungen der vergangenen Jahre aufzuarbeiten. So berichtet etwa Jeck von einzelnen Kindern, die deutliche Lernrückstände haben, weil sie in der Vergangenheit zumindest phasenweise der Schule ferngeblieben sind. „Wenn ein Kind ein bis zwei Jahre keine Schule besucht hat, dann sind die Auswirkungen deutlich zu erkennen. Es gibt Kinder, die nach so langer Zeit gar nicht mehr in die Schule gehen wollen.“ Jeck weiß von mindestens einem Kind, das in den zurückliegenden Monaten eine Schulphobie entwickelt hat. Im Gegensatz zu einer Schulangst ist eine solche Phobie häufig von starken körperlichen Beschwerden begleitet. Oft tritt die Angst schon am Vorabend auf und mündet in häufiges (entschuldigtes) Fehlen, unter anderem auch mittels ärztlicher Atteste.

Pädagogen beschäftigen sich mit Schulabsentismus

Schulverweigerung – Schulabsentismus lautet der Fachbegriff – ist ein Schwerpunkt der Arbeit von Katrin Moll. Schon als junge Lehrerin hatte sie sich an ihrer früheren Wirkungsstätte in der Ludwigsburger Hirschbergschule intensiv mit dem Thema befasst. Aktuell engagiert sie sich in dem Kooperationsprojekt Sisy (Stärken im System), wo sie mit dem Staatlichen Schulamt und dem Jugendamt zusammenarbeitet.

Vier Schulen im Rems-Murr-Kreis – je eine Förder-, Grund-, Real- und Gemeinschaftsschule – widmen sich jeweils einem Thema. Die Mörikeschule hat das Thema Schulabsentismus gewählt. Laut Moll hat es zwar schon immer den Handlungsleitfaden „Unpünktlichkeit und Fehlzeiten“ gegeben, aber nun beschäftigen sich die Pädagogen noch intensiver mit der Materie. Dieser Tage fand ein interdisziplinärer Fachtag an der Mörikeschule zum Thema Schulabsentismus in seinen verschiedenen Formen statt, wozu auch das Fernhalten durch die Eltern zählt. Genau diese Form, dass nämlich die Eltern die Kinder von der Schule ferngehalten haben, hatte in Zeiten von Corona eine besondere Rolle gespielt.

2021 gab es 64 Bußgeldverfahren

Nun stehen wieder die Schulschwänzer im Fokus. Es gilt, mit den schulängstlichen Kindern und ihren Eltern in Kontakt zu bleiben. Moll weiß, dass etwa fünf bis zehn Prozent der Schüler regelmäßig fernbleiben, und zwar ohne gerechtfertigten Grund. Wenn alles nicht mehr hilft, dann muss die Schule die Ordnungswidrigkeit beim Ordnungsamt anzeigen und es folgt ein Bußgeldbescheid für die Eltern. Moll erklärt, dass dies nicht wegen zwei Fehltagen passiert, da muss das Versäumnis schon größer sein. Damit ein Verfahren auch vor Gericht Stand hält, muss die Schule dokumentieren, was sie alles unternommen hat, um dem Kind oder den Eltern zu helfen, eine andere Entscheidung zu treffen.

Gisela Blumer, die Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts Backnang, hat die Zahlen: 2021 gab es insgesamt 64 Bußgeldverfahren, 6 gegen Schüler und 58 gegen Eltern, wobei 5 Verfahren wegen Schulverweigerung sogar vor Gericht entschieden werden mussten. In diesem Jahr sind es bislang 63 Verfahren (12 Schüler/51 Eltern). Ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wurde bereits vor Gericht entschieden, zwei weitere sind noch anhängig. Allerdings gibt es keine Unterscheidung, ob die jeweilige Schulverweigerung durch Corona bedingt ist oder nicht. Aber Blumer sagt: „Der überwiegende Anteil der Verfahren hat mit Corona nichts zu tun.“ Trotzdem ist eine riesige Steigerung festzustellen. Im Jahr 2020 wurden insgesamt nur 29 Bußgelder verhängt, und davon waren lediglich 23 gegen die Eltern gerichtet. Damit hat sich dieser Wert von 2020 bis 2022 fast verdreifacht.

Vertrauensverhältnis zwischen Schule und Eltern ist nicht unendlich belastbar

Kündigung Die Freie Waldorfschule Göppingen hat im März und April dieses Jahres die Schulverträge für die Töchter eines Paares gekündigt. Die Eltern hatten in einer E-Mail an Lehrkräfte und die Geschäftsleitung der Schule Drohungen, Unterstellungen und Vorwürfe im Hinblick auf die schulische Umsetzung der staatlichen Coronamaßnahmen ausgesprochen. Sie warfen der Schule vor, „alle menschenverachtenden Maßnahmen und Verordnungen durchzusetzen“, „Verbrechen gegen die Menschheit zu begehen“ und hegten den Verdacht, dass es einzelnen Lehrkräften Freude bereite, „Kinder zu erniedrigen und zu belehren“. Der Schulverein erklärte in der Begründung die Kündigung mit dem unzureichenden Vertrauensverhältnis zwischen Schule und Eltern. Und das, obwohl die Mädchen in ihrer Klasse gut integriert seien.

Das sagen die Gerichte Die Eltern gingen gegen die Kündigung vor, scheiterten aber mit ihren Beschwerden sowohl vor dem Landgericht Ulm als auch vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Die Kündigungen sind laut Gericht keinesfalls als rechtsmissbräuchlich einzustufen. Die Eltern könnten sich bei den Vorwürfen auch nicht auf das grundgesetzliche Recht der Meinungsäußerung berufen. Entscheidend sei dabei, dass die Kündigung nicht erfolgt sei, um einen kritischen Diskurs zu unterbinden, sondern aufgrund des in Art und Maß völlig haltlosen und unangemessenen Verhaltens der Beschwerdeführer gegenüber den Lehrkräften, das verschwörungstheoretische Anleihen nehme und sich auf konkrete Drohungen und Unterstellungen erstrecke. Eine Entschuldigung sei gegenüber dem Schulverein bis heute nicht ausgesprochen worden.

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Erstellt:
9. Dezember 2022, 06:00 Uhr

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