Wohnungsknappheit: Keine Wohnung in Murrhardt und wenig Hoffnung

Theresia Brost ist 67 Jahre alt und lebt derzeit aus einem Koffer. Mit ihrer niedrigen Rente und der unklaren Aussicht auf finanzielle Unterstützung hat sie auf dem umkämpften Wohnungsmarkt kaum eine Chance auf ein eigenes Zuhause. Damit ist sie kein Einzelfall.

Ob in Murrhardt oder anderswo im Rems-Murr-Kreis: Theresia Brost wünscht sich einfach eine bezahlbare Wohnung. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Ob in Murrhardt oder anderswo im Rems-Murr-Kreis: Theresia Brost wünscht sich einfach eine bezahlbare Wohnung. Foto: Stefan Bossow

Von Kai Wieland

Murrhardt. Zwei Betten, auf einem davon liegt ein aufgeklappter Koffer, dazu ein Badezimmer, ein Tischchen mit drei Stühlen unter der Dachschräge und vor dem Haus ein vollgepackter Kleinwagen – dieser überschaubare Kosmos bildet seit einigen Monaten den Alltag von Theresia Brost.

„Es ist kein Leben mehr. Ich existiere bloß noch“, sagt die 67-jährige Rentnerin, die im Backnanger Teilort Sachsenweiler aufgewachsen und in Backnang einst zur Schule gegangen ist. Zwischenzeitlich war sie im Ostalbkreis zu Hause, nun bewohnt sie ein Zimmer in einem Landgasthof im Murrhardter Weiler Siebenknie. „Dabei habe ich mich so auf die Rente gefreut“, fügt sie nachdenklich hinzu.

Theresia Brost hat bereits einen längeren Leidensweg hinter sich. Die einstige hauswirtschaftliche Familienbetreuerin lebte in den vergangenen Jahren seit ihrem Renteneintritt bei einem pflegebedürftigen Mann, um den sie sich für Kost und Logis kümmerte, solange dessen Zustand und auch die eigene Gesundheit es ihr erlaubten. Ende Februar dieses Jahres erlitt sie einen schweren Bandscheibenvorfall, setzte die Pflege unter dem Einsatz von Schmerzmitteln in sehr hoher Dosierung allerdings fort, bis der alte Mann einige Wochen später einen Platz in der Kurzzeitpflege ergattern konnte. Schon Anfang April folgten bei Theresia Brost dann eine Bandscheibenoperation in Winnenden und ein achttägiger Aufenthalt in der Klinik, wobei sie nur um Haaresbreite einer Versteifung der Wirbelsäule entging. „Ich hatte Lähmungen, Ausstrahlung in beide Beine und Sensibilitätsverlust“, berichtet Theresia Brost, die unter den Nachwirkungen noch immer leidet und Schmerzmittel nimmt.

Ein Martyrium der anderen Art nahm damit allerdings erst seinen Anfang, denn der körperlich anstrengende Pflegedienst gegen Kost und Logis ist für sie damit keine Option mehr – eine neue Unterkunft muss her.

Eine niedrige Rente als Handicap

In den ersten Wochen nach dem Klinikaufenthalt kam sie bei ihrer Nichte in Weissach im Tal unter, doch dort sind die Verhältnisse beengt und der Sohn braucht sein eigenes Zimmer. Ansonsten sind familiäre Anlaufpunkte für die Rentnerin rar, auch Kinder hat sie keine.

Die Suche nach einer bezahlbaren Mietwohnung stellte sich jedoch als äußerst schwierig heraus, denn die Rente von Theresia Brost beträgt nur rund 800 Euro im Monat. „Das kann es eigentlich nicht sein, wenn man doch immer am Arbeitsleben teilgenommen hat“, klagt die Rentnerin, die von ihrem Mann geschieden lebt. Teilzeitarbeitsverhältnisse und die mehrjährige Pflege ihres Vaters haben ihre Rente entsprechend geschmälert, ein typisches Beispiel für die noch immer fehlende gesellschaftliche Anerkennung sogenannter Care-Arbeit in den eigenen vier Wänden.

Trotz intensiver Suche auf allen gängigen Immobilienportalen und dem Gang zu verschiedenen Stellen und Behörden wird sie nicht fündig. „In dem Rahmen, der für mich zu stemmen wäre, gibt es überhaupt keine Mietangebote“, sagt Theresia Brost. Einen Antrag auf Grundsicherung (siehe Infotext) könne sie wiederum erst mit nachweisbaren Mietzahlungen stellen und selbst dann bevorzugten die meisten Vermieter gesicherte Einkommensverhältnisse. Sie habe sich außerdem auf Plätze in betreuten Senioreneinrichtungen bemüht, dort seien die Wartelisten aber einfach zu lang.

Um die Nichte zu entlasten und weil ihr gesundheitlicher Zustand es mittlerweile zuließ, telefonierte sich die Rentnerin durch Kataloge für Ferienwohnungen und Landgasthöfe und wurde schließlich in Murrhardt fündig, allerdings nur vorübergehend. Es folgte ein Aufenthalt in einer Ferienwohnung in Fornsbach, seit Mitte August ist sie nun in Siebenknie – eigentlich keine Lösung auf Dauer, allein es fehlt an Alternativen. „Ich habe hier keine Möglichkeit, zu kochen, aber ich kann auch nicht jeden Tag auswärts essen. Jeden zweiten Tag gibt es bei mir deshalb bloß Müsli und Obst“, sagt Theresia Brost. Gemeinsam mit den Kosten für das Zimmer selbst verzehren ihre Ausgaben langsam, aber sicher die verbliebenen Ersparnisse.

Auch an die Stadt Murrhardt hat sich Theresia Brost bereits gewandt, dort habe man ihr allerdings nur einen Platz in einer Sammelunterkunft anbieten können. Das kommt für die Rentnerin nicht infrage. „Ich habe mein ganzes Leben in Miete gelebt, aber immer mit einem gewissen Standard. Es geht einfach nicht, dass ich jetzt mit 67 und einem Bandscheibenvorfall in einer Sammelunterkunft mit Geflüchteten wohnen soll“, betont sie.

Ein hartes Los, aber kein Einzelfall

Armin Mößner, Bürgermeister der Stadt Murrhardt, zeigt sich von dem Fall betroffen. „Ich habe Verständnis für die Lage der Dame und wir versuchen, eine Lösung zu finden, die ihr hilft“, teilt er mit. Allgemein sei es aktuell aber nicht einfach, bezahlbaren Wohnraum zu finden. „Wir haben mehrmals wöchentlich Anfragen nach bezahlbarem Wohnraum seitens der Stadt und dies von Familien und Alleinstehenden quer durch die Gesellschaft“, so Mößner.

Dass Theresia Brost mit ihrer Notsituation kein Einzelfall ist, bestätigt auch Wolfgang Sartorius, geschäftsführender Vorstand der Erlacher Höhe. „Wohnungsnot ist ein Problem, das weit verbreitet ist, und die aktuell lahmende Baukonjunktur wird die Situation in den kommenden Jahren noch verschärfen“, betont er. Gemäß Landespolizeigesetz sei es die Pflicht der jeweiligen Kommune, bei Obdachlosigkeit zu helfen. Sartorius weiß allerdings auch um die Schwierigkeit dieser Aufgabe: „Oft stehen hinter Obdachlosigkeit sehr komplexe Problemlagen.“ Am wichtigsten seien daher eine fachlich qualifizierte Beratung und Unterstützung, hier im Rems-Murr-Kreis sei die erste Anlaufstelle dafür die Fachberatungsstelle Haus Friedrichstraße in Backnang. „Dort wird man beraten, die wirtschaftliche Situation wird besprochen und geklärt, ob und welche Ansprüche man auf Transferleistungen hat.“

Auch beim Landratsamt des Rems-Murr-Kreises wird betont, dass das Thema Altersobdachlosigkeit sehr ernst genommen werde, gleichwohl vergleichbare Fälle laut einer Sprecherin nur selten auftreten und keine konkreten Zahlen dazu vorliegen. „Das heißt allerdings nicht, dass es sich hierbei um Einzelfälle handelt“, so die Sprecherin weiter. „Die niedrigen Zahlen können auch daran liegen, dass die Gemeinden als Ortspolizeibehörde bei drohender Obdachlosigkeit eine Einweisung in eine entsprechende Gemeindeunterkunft vornehmen. Auch die Fachberatungsstelle der Erlacher Höhe leistet hier wertvolle Arbeit und unterstützt Betroffene entsprechend ihren Bedürfnissen.“ Eine Chance für Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, stellten Sozialwohnungen dar, an denen aber ebenfalls ein Mangel herrscht. „Man kann sich bei den Wohnbauträgern auf die Warteliste setzen lassen. Einen Wohnberechtigungsschein erhält man bei der Kommune, in der man sich überwiegend aufhält“, heißt es beim Landratsamt.

Wenig Wohnraum, viel Leerstand

„Der Wohnraum ist gerade in der Region Stuttgart aktuell sehr knapp und dies zeigt, dass die Schaffung von Wohnraum nach wie vor oben auf der Agenda steht“, sagt Armin Mößner und fordert die deutliche Absenkung bürokratischer Hürden für die Schaffung von Wohnraum. Theresia Brost bekommt diesen Mangel am eigenen Leib zu spüren, doch sie ist sich sicher, dass der Leerstand von Immobilien und Wohnungen ebenso zur Verschärfung des Problems beiträgt, weswegen sie zudem an die Bevölkerung appelliert. „Es gibt Menschen, die schlechte Erfahrungen mit geringverdienenden Mietern gemacht haben, aber viele von uns sind ordentlich und zuverlässig“, sagt sie und wünscht sich, dass Immobilienbesitzer mehr über den Tellerrand hinausschauen. „Dann sieht man viel Not und Elend, an dem Menschen zerbrechen.“

Wer Theresia Brost unterstützen oder eine Mietwohnung vermitteln möchte, erreicht sie unter der Telefonnummer 01783416587.

Finanzielle Hilfe für Menschen mit geringem Einkommen

Wohngeld Wohngeld erhalten Menschen, die nicht über ausreichendes Einkommen verfügen, um ihren Wohnraum zu bezahlen. Die Höhe ist abhängig vom Einzelfall und orientiert sich an der Haushaltsgröße, dem Einkommen und der Miete. Zuständig ist die Wohngeldbehörde, der zur Prüfung des Anspruchs ein Mietvertrag vorgelegt werden muss. In der Regel erhält man das Wohngeld zwölf Monate lang, danach muss es neu beantragt werden.

Grundsicherung Grundsicherung kann erhalten, wer über 18 Jahre alt und dauerhaft voll erwerbsgemindert ist oder die für den Rentenbeginn maßgebliche Altersgrenze erreicht hat. Weitere Voraussetzung ist, dass das eigene Einkommen und Vermögen oder das des Ehe- oder Lebenspartners nicht ausreichen. Die Grundsicherung greift also erst dann, wenn kein verwertbares Vermögen mehr vorliegt, wobei gewisse Vermögenswerte davon ausgenommen sind. Grundsicherung kann erst mit einer bekannten Höhe der Kosten der Unterkunft beantragt werden, da erst dann der grundsicherungsrechtliche Bedarf berechnet werden kann.

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Erstellt:
31. August 2023, 06:00 Uhr

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