Kreistag kämpft für Notfallpraxen in Backnang und Schorndorf

Einstimmig beschließt das Gremium eine Resolution zur ambulanten medizinischen Versorgung und gegen die Schließung der Notfallpraxen in Backnang und Schorndorf. In Gesprächen mit der Politik und der KVBW soll eine Kompromisslösung gefunden werden.

Noch ist die Notfallpraxis in Backnang geöffnet. Geht es nach der KVBW, so soll das nicht langfristig so bleiben. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Noch ist die Notfallpraxis in Backnang geöffnet. Geht es nach der KVBW, so soll das nicht langfristig so bleiben. Foto: Alexander Becher

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Das Thema bewegt die Gemüter, dennoch ging es in der Sitzung des Kreistags am Montag in Backnang gesittet zu. Doris Reinhardt, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), bekam für ihre Ausführungen Applaus – obwohl die Fraktionen ihr inhaltlich zum Teil deutlich widersprachen. „Wir haben das klare Ziel, dass wir die Schließung der Notfallpraxen in Backnang und Schorndorf so nicht hinnehmen“, führte Landrat Richard Sigel aus. Dennoch seien Verwaltung, Gremium und auch die Kreisärzteschaft gesprächs- und kompromissbereit, betonte er. Denn dass auch die KVBW gewissen Zwängen unterliegt, ist allen klar.

Um dem Anliegen des Rems-Murr-Kreises noch einmal Nachdruck zu verleihen, beschloss der Kreistag einstimmig fraktionsübergreifend eine Resolution zur ambulanten medizinischen Versorgung und gegen die Schließung von Notfallpraxen (siehe Infotext), welche Doris Reinhardt sodann übergeben wurde. Darin kommen die Sorgen zum Ausdruck, die mit den Plänen der KVBW einhergehen. Die Notfallpraxis in Schorndorf geschlossen zu lassen, den Standort Backnang ebenfalls zu schließen und dafür alle Leistungen in Winnenden zu bündeln – das sei gewagt, um das Mindeste zu sagen. Als „fatal und so nicht hinnehmbar“ bezeichnete Backnangs OB und Sprecher der Freien Wähler Maximilian Friedrich die Entwicklung. Murrhardts Bürgermeister und zugleich CDU-Sprecher Armin Mößner sprach von einem herben Schritt für die medizinische Versorgung im Kreis und äußerte die Hoffnung auf einen „Rems-Murr-Sonderweg“. „Eine Notfallpraxis ist zu wenig“, stellte auch Klaus-Dieter Völzke (SPD) fest, der als Allgemein- und Notfallmediziner aus eigener Erfahrung berichten konnte. Gerade in Backnang gibt es auch keine Klinik mehr, „die Praxis darf daher auf keinen Fall schließen“. Eine Schließung „wäre unverantwortlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern“, befand auch Bernd Messinger (Grüne).

Im Bereich Backnang ist auch die hausärztliche Versorgung kritisch

Denn im oberen Murrtal ist auch die hausärztliche Versorgung schon jetzt kritisch, wie mehrere Kreisräte, aber auch Doris Reinhardt selbst, betonten. Der Versorgungsgrad liegt im Mittelbereich Backnang nämlich bei gerade einmal 80,8 Prozent. Schon jetzt fehlen 19 Arztsitze und das Problem werde sich in den kommenden Jahren verschlimmern, denn der Anteil der Hausärzte, die 60 Jahre und älter sind, beträgt etwas mehr als die Hälfte. „Hier brennt in der Regelversorgung schon heute die Hütte“, so Reinhardt. Der ärztliche Bereitschaftsdienst könne auch die Lücken in der Regelversorgung nicht schließen.

Im Hinblick auf die Pläne zur Schließung der Notfallpraxen in Schorndorf und Backnang räumte sie ein: „Der Prozess verlangt der Bevölkerung im Kreis viel ab.“ Wie der Landrat, so sprach auch sie sich für das Eintresenmodell aus. Dieses wurde in den Rems-Murr-Kliniken bereits praktiziert: Alle Patienten kommen an der gleichen Stelle an. Dort wird fachkundig entschieden, ob es sich um Fälle für die Notaufnahme oder die Notfallpraxis handelt. Das gehe beispielsweise in Backnang nicht, da es dort keine Klinik mehr gibt, so Reinhardt. Unter den Tisch fallen ließ sie dabei allerdings, dass das Modell in Schorndorf mit der Schließung der Notfallpraxis eben unmöglich gemacht wurde.

In Zweifel zog sie hingegen die angebliche Mehrbelastung der Notaufnahme. Laut Kreisverwaltung hat die Kliniknotaufnahme in Winnenden seit Schließung der Notfallpraxis in Schorndorf einen Zuwachs von mehr als 2000 Patientinnen und Patienten binnen drei Monaten verzeichnet. Da allerdings ambulante Patienten über die KV abgerechnet würden, habe man die Zahlen vorliegen und da betrage der Zuwachs lediglich 400 Personen, so Doris Reinhardt.

Einen Lichtblick wird es ab Sommer geben

Auf Eingeständnisse ließ sich die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVBW nicht festnageln. Dennoch verspürte sie den Nachdruck vonseiten des Gremiums. Gespräche mit den Verantwortlichen mit dem Ziel, den Weiterbetrieb der Notfallpraxen im Kreis zu prüfen, wurden von allen Fraktionen und Gruppen sowie auch vom Landrat unisono gefordert.

Immerhin hatte Doris Reinhardt eine gute Nachricht parat: Die KVBW nehme Geld in die Hand und werde ab Sommer wieder Ärzte in der ambulanten Versorgung sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Der Ausbau der Telemedizin soll die Haus- und Fachärzte zusätzlich entlasten. Doch damit ist es nicht getan, denn die Erwartungshaltung junger Ärztinnen und Ärzte heutzutage sei eine andere. Viele wollen in Teilzeit arbeiten, im Team und in einem Angestelltenverhältnis, so Doris Reinhardt. „Das muss aber auch finanziell darstellbar sein“, führte sie die Problematik aus.

Kommentar
Ein starkes Signal

Von Lorena Greppo

Die Online-Petitionen für den Erhalt der Notfallpraxen im Rems-Murr-Kreis haben in kurzer Zeit mehr als 40000 Unterschriften erhalten. Sie stellen einen klaren Auftrag der Bürgerinnen und Bürger an die Politikerinnen und Politiker aller Ebenen dar, sich für dieses Anliegen stark zu machen. Mit seiner Resolution hat der Kreistag nicht nur der KVBW signalisiert, dass man deren Pläne nicht klaglos hinnehmen will. Auch der Bevölkerung wurde so gezeigt: Eure Bedenken werden gehört. Wie viel das Gremium und die Kreisverwaltung in dieser Angelegenheit ausrichten können, bleibt abzuwarten. Dennoch scheinen zumindest alle verstanden zu haben, dass von ihnen höchster Einsatz gefordert wird.

l.greppo@bkz.de

Die Resolution

Eine gute Notfallversorgung Von Bund, Land sowie von der KVBW wird in der Resolution eine schlüssige Strategie dazu gefordert, wie die Daseinsvorsorge im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung, insbesondere auch in der Notfallversorgung gesichert werden soll. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es gewagt, davon auszugehen, dass eine gute medizinische Versorgung für 433000 Menschen mit einer einzigen Notfallpraxis, wenn auch mit verstärkter Besetzung, ausreichen wird. Die strukturellen Veränderungen bei den Notfallpraxen im Rems-Murr-Kreis sollten daher überdacht und zumindest ein zweiter Standort erneut geprüft werden“, heißt es. Außerdem solle eine Freistellung von der Versicherungspflicht bei Poolärzten angestrebt werden.

Erleichterungen für Hausärzte Die Unterzeichnenden unterstützen die Forderung der Hausärztinnen und Hausärzte, dass weitere Maßnahmen zur Entbürokratisierung der Arbeitsabläufe und Entlastung der Praxen ergriffen werden müssen.

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Erstellt:
15. Mai 2024, 06:00 Uhr

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