Lerncoaching am Bildungszentrum Weissacher Tal: Schüler setzen sich selbst Ziele

Lehrkräfte des Gymnasiums haben ein Konzept für Schülerinnen und Schüler der Klassen 6 und 9 entwickelt. Die individuelle Unterstützung soll den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, coronabedingte Rückstände aufzuholen.

Die Sechstklässlerinnen Theresa Dinkel (von links), Isabel Gstalter, Greta Schölzel und Anne Kronmüller finden das neu eingeführte Lerncoaching sehr gut. Verbesserungsvorschläge? Haben sie keine. Die beiden Lerncoaches Elfi Reiser und Andreas Weber (Bildmitte) freuen sich darüber. Sie würden das Projekt gerne langfristig weiterführen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Die Sechstklässlerinnen Theresa Dinkel (von links), Isabel Gstalter, Greta Schölzel und Anne Kronmüller finden das neu eingeführte Lerncoaching sehr gut. Verbesserungsvorschläge? Haben sie keine. Die beiden Lerncoaches Elfi Reiser und Andreas Weber (Bildmitte) freuen sich darüber. Sie würden das Projekt gerne langfristig weiterführen. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Weissach im Tal. Ein Bild von einem Schweinehund liegt im Klassenzimmer auf dem Tisch, dazu eins von einem Zeitdieb und mehrere Zielscheiben, auf denen ein gelber Smiley in der Mitte abgebildet ist. Wie es ihr heute geht? Anne Kronmüller nimmt eine Spielfigur und setzt sie auf der Zielscheibe auf dem Ring mit der Ziffer acht ab. Die Laune der zwölfjährigen Gymnasiastin ist also gar nicht schlecht. Das Maximum, die Ziffer zehn, steht unter dem lachenden Smiley in der Mitte.

Die Zielscheiben, Bilder und Spielfiguren sind nur ein Teil des Materials, mit dem die Lehrkräfte am Gymnasium des Bildungszentrums Weissacher Tal (Bize) versuchen, auf die Situation der Schülerinnen und Schüler der Klassen 6 und 9 einzugehen. In Eins-zu-eins-Gesprächen haken sie nach, wo genau der Schuh drückt, aber auch, in welchen Bereichen es bei den Kindern und Jugendlichen schon richtig gut läuft. Diese sogenannten Lerncoachings sollen ihnen dabei helfen, sich eigene Ziele zu setzen und sie auch zu erreichen. Gerade nach der Coronapandemie, nach unzähligen Mathestunden übers Internet sowie zahlreichen Unterrichtsausfällen, sollen sie dazu dienen, eventuelle Rückstände aufzuholen.

Die Idee dazu kam aus dem Kollegium, aus der Arbeitsgruppe Schulentwicklung. Rosalie Arndt und Andreas Weber seien auf sie zugekommen und hätten das Konzept vorgestellt, berichtet Schulleiterin Simone Klitzing. Die beiden kannten das Prinzip Lerncoaching schon von der Schule, an der sie ihr Referendariat absolviert hatten. Zehn Lehrerinnen und Lehrer nahmen daraufhin an einer Fortbildung teil. Vier von ihnen sind aktuell als Lerncoaches aktiv.

Im Februar und im März haben sie die ersten Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern geführt. Jetzt im April und im Mai sollen Auswertungsgespräche folgen. Dabei wird geschaut, ob die selbst gesetzten Ziele auch erreicht worden sind. Und wenn nicht, woran das liegt.

Bevor es losging, wurde den Klassen 6 und 9 erst einmal erklärt, worum es bei den Coachings geht. Für die Jüngeren sind die zwei Termine pro Halbjahr verpflichtend. Die Älteren können selbst entscheiden, ob sie teilnehmen möchten oder nicht. So soll später auch verglichen werden können, was sinnvoller ist. Etwa ein Fünftel der Stufe 9 nimmt das Angebot wahr.

Die beiden Stufen wurden nicht zufällig ausgewählt. „Klasse 5 war uns noch zu früh, die Schülerinnen und Schüler müssen erst einmal an ihrer neuen Schule ankommen“, sagt Schulleiterin Klitzing. Daher Klasse 6. Und bei Klasse 9 könne man schon einmal die Stellschrauben anziehen fürs Abitur.

Vor den Gesprächen haben alle Kinder und Jugendlichen einen Fragebogen bekommen. Damit sollten sie einschätzen, wie gut sie in verschiedenen Schulfächern sind. Außerdem sollten sie eigene Fähigkeiten in Bereichen wie konzentriertes Arbeiten oder die Zusammenarbeit mit anderen bewerten. Eine Kopie des Fragebogens bekamen die Lerncoaches ausgehändigt, sodass sie sich auf die Gespräche vorbereiten konnten. Mit welchem Coach sie gerne sprechen wollen, durften die Schülerinnen und Schüler selbst auswählen. „Das ist sehr gut aufgegangen. Niemand ist einem Lerncoach zugeteilt worden, den er nicht ausgesucht hat“, sagt Elfi Reiser, die Religion und Psychologie unterrichtet und jetzt auch Lerncoach ist.

Die Treffen dauern 20 bis 30 Minuten

Welche Ziele sich die Schülerinnen und Schüler vornehmen, ist unterschiedlich. „Ich würde gerne in Mathe ein bisschen besser werden“, sagt die elfjährige Isabel Gstalter. Als Lerncoach hat sie sich daher eine Mathelehrerin ausgesucht. Mit ihr hat sie vereinbart, von nun an jeden Tag zehn Minuten Matheübungen zu machen. Ob sie dadurch schon besser geworden ist? „Das weiß ich noch nicht, mein Gespräch war erst gestern“, erklärt die Sechstklässlerin. Die Lehrerin kannte sie vorher noch nicht, aber sie fand es gut, „jemanden von außen zu haben, der da mal draufschauen kann“.

20 bis 30 Minuten dauern die Treffen, die in der regulären Schulzeit stattfinden. Elfi Reiser zieht bisher ein sehr positives Fazit. „Ich bin erstaunt, wie offen die Schüler sind und was für einen realistischen Blick sie auf ihre eigene Situation haben.“ Zu Beginn des Gesprächs versichert sie jedes Mal, dass die Unterhaltung komplett vertraulich ist.

Bei den Gesprächen gehe es nicht nur darum, Lerninhalte zu vermitteln, sondern vor allem darum, individuell auf die Kinder und Jugendlichen einzugehen und zu schauen, wie sie ihr Potenzial besser nutzen können, erklärt die Lehrerin: „Wir arbeiten stärken- und ressourcenorientiert.“

Auch bei der Auswertung später machen die Lerncoaches keine Vorwürfe, wenn Ziele nicht erreicht worden sind. „Hier wird nicht mit dem Rotstift gearbeitet“, so Elfi Reiser. Viel mehr möchten die Coaches zusammen mit den Kindern und Jugendlichen herausfinden, was ihnen im Weg stand. War es vielleicht der innere Schweinehund? Oder ein Zeitdieb wie zum Beispiel eine spannende Serie? Auch Probleme in der Klasse oder mit der Lehrkraft können Gründe dafür sein, warum es gehakt hat, weiß Elfi Reiser.

Selbstverständlich könne nicht jedes Problem mit einem Lerncoaching gelöst werden, sagt ihr Kollege Andreas Weber, der Englisch, Geografie und Geschichte lehrt. „Aber wir ergänzen das Angebot von Beratungslehrern und Schulsozialarbeit.“ Wichtig sei es, sich in dem Gespräch auf ein Ziel zu konzentrieren, das realisierbar sei. Nur so komme es zu Erfolgserlebnissen. Und die seien wichtig, um die Motivation hoch zu halten. Für genauso wichtig hält der Lehrer aber auch die Wertschätzung, die die Lerncoaches den Kindern und Jugendlichen entgegenbringen, indem sie sich ganz auf ihre Situation konzentrieren.

Andreas Weber und Elfi Reiser würden die Lerncoachings gern langfristig anbieten – und das Projekt auf weitere Klassenstufen ausweiten. Doch ob es nach dem Halbjahr verlängert werden kann, ist noch ungewiss. Aktuell werden die Gespräche durch das Förderprogramm „Lernen mit Rückenwind“ des Landes Baden-Württemberg finanziert, das pandemiebedingt entstandene Lernrückstände ausgleichen und emotionale Kompetenzen stärken möchte. „Wir werden schauen, ob wir das weiterführen können – auch unabhängig vom Förderprogramm“, sagt Schulleiterin Simone Klitzing. „Wir wären bereit“, fügt Elfi Reiser hinzu. „Mit uns stehen insgesamt zehn Kolleginnen und Kollegen schon in den Startlöchern.“ Sollte es klappen, dann fänden die nächsten Coachings vor den Weihnachtsferien statt.

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Erstellt:
17. April 2023, 06:00 Uhr

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