Mahlzeit ist nicht gleich Mahlzeit

Selbstversuch Schnell, gesund, günstig – in Zeiten der Selbstoptimierung fallen die Versprechen der Hersteller von Trinkmahlzeiten auf fruchtbaren Boden. Aber treffen sie auch zu? Unser Redakteur hat den Selbstversuch gewagt.

Schneller Drink statt Mittagstisch? Trinkmahlzeiten sparen Zeit, sind unserem Redakteur auf Dauer aber zu einseitig. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Schneller Drink statt Mittagstisch? Trinkmahlzeiten sparen Zeit, sind unserem Redakteur auf Dauer aber zu einseitig. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Backnang. Smooth Vanilla, Crazy Coconut, Happy Banana. Nachdem ich mich zu einem einwöchigen Selbstversuch mit Trinkmahlzeiten entschieden (siehe Infotext) und im Supermarkt das entsprechende Regal gefunden habe, bin ich erleichtert und doch insgeheim auch etwas enttäuscht: Die Geschmacksrichtungen heißen nicht Käsespätzle oder Gaisburger Marsch, sondern bedienen vielmehr das Spektrum klassischer Milchshakesorten. Die kommenden Tage werden also süß statt herzhaft. Dazu kommt der Verzicht auf das Kauen, der mir besonders schwerfällt. Für mich ist eigentlich schon eine Suppe als Hauptgang eine Grenzerfahrung.

Aber ist es überhaupt möglich, seine Ernährung vollständig auf Trinkmahlzeiten umzustellen? Auf den ersten Blick sieht es ganz danach aus. Hersteller wie Yfood aus München, das britische Huel oder Ehrmann versprechen alle dasselbe: Ein Drink soll demzufolge einer ausgewogenen Mahlzeit entsprechen. Bei genauerem Hinsehen tun sich allerdings Unterschiede auf. So fordert Ehrmann dazu auf, seinen Foodie „als eine Mahlzeit deiner ausgewogenen Ernährung“ zu genießen und diesen somit eher als Ergänzung zu betrachten. Auch auf der Website von Yfood findet man nach längerem Suchen den Hinweis: „Smart Food ist kein Ersatz für klassisches Essen aus frischen und hochwertigen Lebensmitteln.“ Gedacht sei es eher als gesündere Alternative zu Junkfood und für stressige Tage. Lediglich der Hersteller Mana lehnt sich wirklich weit aus dem Fenster und behauptet auf der Homepage: „Für gesunde Erwachsene ist Mana ein vollständiger Ersatz für jede Mahlzeit. Das heißt, dass du dich ausschließlich von Mana ernähren kannst.“

Wie viele Drinks braucht der Körper?

Zumindest für die ersten Tage will ich die Werbeversprechen wörtlich nehmen und mich ausschließlich von Trinkmahlzeiten ernähren. Aber wie viele davon muss ich über den Tag hinweg zu mir nehmen? Unter der Woche esse ich eigentlich nur mittags und abends. Genügt es aber tatsächlich, sich analog dazu nur zwei Drinks zu genehmigen? Selbstverständlich nicht. Eine ausgewogene Mahlzeit ist ein solcher Drink nämlich, zumindest laut Werbeversprechen, nur im Hinblick auf die inhaltliche Zusammensetzung, nicht aber bezogen auf den Kalorienbedarf. Eine Flasche Huel oder Yfood enthält 500 Milliliter und kostet rund vier Euro, ein Foodie ist etwas günstiger, fasst aber nur 400 Milliliter. Als Referenzmenge für einen durchschnittlichen Erwachsenen geben die Hersteller einen Tagesbedarf von 2000 Kalorien an. Bei aller Vorsicht, die bei pauschalen Aussagen in diesem Zusammenhang geboten ist, deckt eine Flasche Huel (400 Kalorien) damit 20 Prozent des Bedarfs, eine Flasche Yfood (500 Kalorien) ein Viertel. Soll heißen: Ich müsste fünf Flaschen Huel oder vier Flaschen Yfood trinken, wobei ich üblicherweise nur zwei bis drei Mahlzeiten am Tag zu mir nehme. So ganz geht die Rechnung also nicht auf. Bei den Produkten handelt es sich übrigens explizit nicht um Abnehmdrinks.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Zeitersparnis. Und das nicht nur bei der Nahrungsaufnahme, sondern auch beim Einkauf: Die Ration für eine Woche mit vier bis fünf Trinkmahlzeiten pro Tag ist mit einem zehnminütigen Aufenthalt im Supermarkt erledigt – der Abwasch entfällt ganz.

Ob man mit vier bis fünf Mahlzeiten am Tag zu je rund vier Euro günstiger wegkommt als mit „traditionellem“ Essen, wie es die Hersteller gerne nennen, ist natürlich nicht pauschal zu beantworten. Dasselbe gilt für das Verpackungsaufkommen: Nach einer Woche Trinkmahlzeiten hat man eine Menge Plastik auf dem Tisch stehen, wenngleich die Flaschen laut Werbeclaims klimaneutral produziert und recycelbar sein sollen. Ob beim regulären Wocheneinkauf mehr oder weniger Plastik anfällt, kommt auf das individuelle Einkaufsverhalten an.

Trinkmahlzeiten als gesunde Alternative?

Das heikelste und umstrittenste Werbeversprechen gilt zweifellos dem einer ausgewogenen, gesunden Mahlzeit. Der Nutri-Score A, welchen sowohl die Trinkmahlzeiten von Yfood als auch jene von Huel erhalten haben, ist nur bedingt aussagekräftig, wie auch Vanessa Seidel, Referentin für Ernährung und Hauswirtschaft im Landwirtschaftsamt in Backnang, bestätigt. „Der Nutri-Score vergleicht nur Lebensmittel innerhalb einer Kategorie, zum Beispiel im Hinblick auf die Frage, ob in ihnen mehr oder weniger Salz enthalten ist.“ Ein grünes A bedeutet also nicht zwingend „gesund“. Das ist einer der Gründe, weswegen das Unternehmen Yfood im vergangenen Jahr von Foodwatch der Werbelüge bezichtigt wurde.

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Und was ist mit den „über 150 gesundheitlichen Vorteilen“, die Yfood auf der Homepage verspricht, ähnlich wie Huel mit seinen „175 gesundheitlichen Vorteilen“? Diese Begrifflichkeit entpuppt sich beim näheren Hinschauen als irreführend, immerhin legt sie aber nahe, dass man ohne den Konsum der Trinkmahlzeiten auf diese Vorteile verzichten müsse. Tatsächlich handelt es sich dabei um simple Aussagen zu Nährstoffen, wie sie auch in anderen Lebensmitteln vorkommen. Weil etwa Herstellerangaben zufolge in einer Trinkmahlzeit 0,85 Gramm Kalium enthalten sind und schon 0,21 Gramm zur Aufrechterhaltung eines normalen Blutdrucks beitragen sollen, wird dies als „gesundheitlicher Vorteil“ angeführt. „Das könnte man natürlich ebenso gut über einen Apfel sagen“, erklärt Vanessa Seidel.


Auf Dauer nicht gesundheitsförderlich

Die ausschließliche Ernährung durch Trinkmahlzeiten hält die studierte Ernährungswissenschaftlerin für problematisch. „In der Theorie ist es vielleicht möglich, auf Dauer aber nicht gesundheitsförderlich. Zum einen wäre die Ernährung sehr einseitig, da immer das gleiche Protein enthalten ist. Zum anderen ist der Kauprozess, der ja völlig wegfällt, ein wichtiger Aspekt bei der Verdauung und Sättigung.“ Zudem sei zu beobachten, dass Menschen bei einer solchen Ernährung nur wenig zusätzliche Flüssigkeit zu sich nehmen, was sich ebenfalls negativ auswirke.

Dass in den Trinkmahlzeiten viele Nährstoffe enthalten sind, will Seidel diesen gar nicht absprechen. Die Frage sei bloß, wie viel davon der Körper verwerten könne. „Eisen und Zink werden zum Beispiel vom gleichen Rezeptor aufgenommen und blockieren sich gegenseitig. Das Milchprotein erschwert die Aufnahme von Zink zusätzlich, sodass fraglich ist, ob überhaupt etwas davon verwertet werden kann.“

Den Einsatz als ergänzendes Lebensmittel für stressige Momente will Vanessa Seidel nicht gänzlich verdammen, gegenüber der Fertigpizza könne es durchaus einmal die gesündere Alternative sein. Den Effekt hält sie aber für begrenzt. „Wer sich gesund ernährt, den macht eine Trinkmahlzeit nicht krank. Wer sich ungesund ernährt, wird dadurch aber auch nichts gewinnen.“

Selbstversuch: Eine Woche mit Trinkmahlzeiten von Yfood, Huel und Co.

Tag 1 Um nicht gleich ins kalte Wasser geworfen zu werden, beginne ich meinen Selbstversuch erst nach einem letzten Mittagessen und ersetze das Abendessen durch einen Yfood-Drink der Sorte Fresh Berry. Er riecht wie ein normaler Milchshake und schmeckt im Grunde auch so, ist aber relativ dickflüssig und hat einen leicht herzhaften Touch im Nachgeschmack. Ich bin angetan, verspüre aber bald einen Anflug von Übelkeit. Es ist, als hätte ich zu viel Fast Food gegessen und mir dann noch einen großen Erdbeermilchshake genehmigt. Schließlich weicht das Gefühl aber einer nicht unangenehmen Sattheit. Auch für den Sport habe ich Energie. Den restlichen Abend über habe ich keinen Hunger, aber dafür große Lust, noch etwas zu essen – Zufriedenheit fühlt sich anders an.

Tag 2 Den ersten Tag ohne feste Mahlzeit beginne ich für einen möglichst direkten Vergleich erneut mit einem Berry-Drink, diesmal von der Marke Huel. Der Geruch erinnert mich mehr an einen Joghurtdrink, die Farbe erscheint mir weniger kräftig. Ansonsten ist das Erlebnis im Hinblick auf Konsistenz und Geschmack ähnlich. Zwar trinke ich langsamer, habe aber auch diesmal ein Völlegefühl. Der Nachgeschmack ist eher dumpf, nicht wie der einer Süßspeise. Zum Mittag probiere ich einen Foodie der Sorte Vanilla von Ehrmann, der mich relativ satt durch den Nachmittag bringt. Gegen 16.30 Uhr meldet sich der Hunger zurück – das tut er bei mir aber meist auch dann, wenn ich „traditionell“ gegessen habe. Als „Abendessen“ gibt es einen Schokoladendrink der Sorte Huel, der sich von Konsistenz und Geschmack her anfühlt, als würde man Muffinteig trinken. Das ist einerseits lecker, andererseits als Hauptmahlzeit unbefriedigend. Mittlerweile sind auch Bauch und Verdauung etwas unleidlich: Einerseits empfinde ich ein Völlegefühl, andererseits ist mein Magen leer.

Tag 3 Nach einem morgendlichen Happy-Banana-Drink von Yfood bin ich erneut satt, doch meine Laune ist im Keller. Drei Drinks waren am Vortag zu wenige, gleichzeitig missfällt mir der Gedanke, vier oder gar fünf Flaschen trinken zu müssen. Der Hunger ist entgegen meiner Befürchtungen nicht das Problem, die psychologische und gesellschaftliche Komponente – gemeinsam essen, genießen und vor allem kauen – sind die eigentliche Herausforderung. Trotz verschiedener Sorten und Marken empfinde ich meine Mahlzeiten als eintönig und eingeschränkt. Mit fünf Drinks decke ich wohl weitgehend meinen Kalorienbedarf, aber an dieser Stelle kann ich bereits sagen: Ausschließlich Trinkmahlzeiten? Nichts für mich.

Tag 4 Ein weiterer Morgen mit Vanilleshake vergeht, es folgen ein Kokosnussshake zum Mittag und ein Schokoshake zur nachmittäglichen Überbrückung. Am Abend allerdings esse ich „traditionell“ und leite damit in die zweite Phase des Versuchs über, in welcher ich mich an die Empfehlung der Hersteller halte und nur einen Teil der Mahlzeiten durch Drinks ersetze. Auch eine Erkenntnis: Selten haben mir Käsespätzle so gut geschmeckt wie an diesem Abend.

Tage 5 bis 7 Die letzten drei Tage meines Tests folgen einem einheitlichen Schema: morgens, mittags und am Nachmittag eine Trinkmahlzeit, zum Abschluss ein konventionelles Abendessen. Die Aussicht auf eine ordentliche Mahlzeit hilft psychologisch enorm, tatsächlich rücken für mich dadurch die Vorteile der Trinkmahlzeiten, insbesondere die Zeitersparnis, tagsüber wieder stärker ins Bewusstsein.

Fazit Nach einer Woche bin ich froh, mich wieder auf feste Nahrung konzentrieren zu können. Ein regelmäßiger Einsatz von Trinkmahlzeiten ist für mich keine Option. Ein gelegentlicher Drink jedoch, wenn die Zeit drängt oder der Hunger drückt? Besser als eine Tüte Chips erscheint es mir allemal.

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Erstellt:
21. März 2024, 06:00 Uhr

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