Nach Schlachthof-Schließung: Die Wege fürs Vieh werden weiter

Bauern und Viehhändler sowie die Vertreter der Metzgerinnung und des Bauernverbands sehen in der vorläufigen Schließung des Backnanger Schlachthofs Kühnle massive Nachteile für die Tiere und die Betriebe. Regionale Schlachthöfe sind für Fleischerzeuger von großer Bedeutung.

Tiertransporte sollten so kurz wie möglich gehalten werden. Doch es gibt immer weniger Schlachthöfe. Foto: Adobe Stock/Stéphane Leitenberger

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Tiertransporte sollten so kurz wie möglich gehalten werden. Doch es gibt immer weniger Schlachthöfe. Foto: Adobe Stock/Stéphane Leitenberger

Von Matthias Nothstein

Backnang. Die Metzgerei Kühnle in Backnang hat nach Vorwürfen der Soko Tierschutz ihren Schlachtbetrieb vorübergehend geschlossen. Nun stellt sich die Frage, wohin all die Bauern ihr Schlachtvieh bringen, die bislang den Backnanger Betrieb als Abnehmer hatten.

Die naheliegendsten Alternativen für die Bauern sind laut Martin Hertweck die größeren Schlachthöfe in Crailsheim und Pforzheim. Der Viehhändler, der für die Viehzentrale VZ mit Sitz in Wolpertshausen arbeitet und Kühnle jedes Jahr mit 250 bis 300 Rindern beliefert hat, ist über die Entwicklung nicht glücklich: „Wenn ich zum Beispiel die Tiere von Rolf Werthwein aus Lautern zum Schlachthof Kühnle gebracht habe, dann waren die gerade einmal 15 Minuten im Anhänger. Nach Pforzheim beträgt die Fahrt über eine Stunde.“ Für Hertweck ist es eine paradoxe Entwicklung, dass man einerseits die kleinen Schlachthöfe offensichtlich nicht mehr möchte, auf der anderen Seite die Politik und die Verbraucher sich eine regionale Erzeugung wünschen. Die Vorwürfe an Kühnle kann der Viehhändler schwer nachvollziehen. „Ich möchte mir aufgrund des Videos nicht anmaßen zu beurteilen, ob das Tier richtig betäubt war. Aber was ich all die Jahre bei Kühnle gesehen habe, da wird der Tierschutz großgeschrieben.“ So führt Hertweck auch an, dass der Betrieb vor einem Jahr von sich aus Kameras installiert hat, um den Zutrieb zu überwachen, dass er die Schweineschlachtung nach den Vorgaben des Veterinäramts umgebaut und eine neue Tötungsbucht für die Rinder bestellt hat. Hertweck glaubt, dass das Veterinäramt beim Schlachthof Kühnle sehr genau hinschaut. „Ich habe das in keinem anderen Schlachthof so erlebt.“

Je größer die Regionalität, umso mehr profitieren die Betriebe und die Kunden

Dass nach dem Ausfall des lokalen Schlachthofs für viele Tiere die Transportzeiten länger werden, beklagen auch die Schweinehalter Andreas und Rainer Müller vom Stiftsgrundhof. Obwohl sie seit fünf Jahren ihre Tiere nicht mehr bei Kühnle, sondern bei einem anderen örtlichen Metzgerbetrieb oder in Göppingen schlachten lassen, betonen sie die Bedeutung der kurzen Wege. Nach Aspach ist es eh nur ein Katzensprung und nach Göppingen ist die Fahrtdauer mit 45 Minuten noch überschaubar. Wenn andere Erzeuger hingegen Tiere nach Ulm fahren, sind sie schon mindestens zwei Stunden unterwegs und in Schlachthöfe im Norden der Republik schnell auch einmal acht Stunden.

Kunden wollen wissen, woher das Fleisch kommt

Andreas Müller wirbt darüber hinaus für Regionalität: „Der Kunde, der bei unserem Metzger einkauft, der weiß, woher das Fleisch kommt und dass die Tiere regionales Futter erhalten haben. Diese Zuordnung fällt immer schwerer, je weiter ein Schwein durch Deutschland gekarrt wird und je anonymer der Erzeuger wird.“ Die Distanz hat auch bei den Erlösen Konsequenzen für den Landwirt. Im Umkehrschluss können Bauern von Nähe profitieren. Müller: „Wir haben gerade in den schwierigen Zeiten mit unserem Metzger Mindestpreisvereinbarungen getroffen, sodass unser Betrieb gesichert ist und wir nicht wie viele Kollegen aufhören müssen. Ein regionaler Schlachthof ist ein wichtiger Mosaikstein für uns.“

Der stellvertretende Metzger-Landesinnungsmeister Rüdiger Pyck befürchtet einen weiteren Rückgang bei Fleischerzeugern. Vielen fehle die Wertschätzung der Bürger, den Spaß an der Arbeit hätten die meisten ohnehin verloren. „Etliche Ferkelerzeuger und Schweinemäster haben die Produktion eingestellt.“ Mit der Folge, dass das Fleisch aus Ländern kommt, in denen Tierschutz nicht im Grundgesetz verankert ist. Pyck, der in der Innung für Tierwohl und Hygiene zuständig ist, weiß noch von 200 kleinen Schlachtbetrieben in Baden-Württemberg, „die kennen alle die Familien, von denen sie ihre Tiere beziehen“. Weitere Wege zum Schlachter kosten die Landwirte mehr Geld, mehr Zeit und mehr Aufwand. Wenn ein Betrieb heute schon nicht mehr auskömmlich produzieren kann und die Kosten noch steigen, dann wird er schließen. Pyck: „Der Bauer hört dann nicht auf, weil er nicht mehr will oder nicht mehr kann, sondern er kann es nicht mehr finanzieren.“

Maurer bemängelt Geiz-ist-geil-Mentalität

Die Fehlentwicklung, die zu der Schließung der regionalen Schlachthöfe und vieler Betriebe geführt hat, wird auch von Jürgen Maurer vom Bauernverband Hohenlohe/ Schwäbisch Hall/Rems kritisiert. Die Gründe sind für ihn offensichtlich, „es ist das Kaufverhalten der Bürger und die Geiz-ist-geil-Mentalität, bei der alles über den Preis geht. Da muss sich die gesamte Gesellschaft hinterfragen, warum die Betriebe dann reihenweise aufgeben.“

Auch Rolf Werthwein hätte in wenigen Tagen wieder einige Rinder an Kühnle liefern lassen, „für mich war das praktisch, ich habe ja nicht die großen Mengen, im Jahr sind es vielleicht zehn Rinder“. Der Sulzbacher spricht Klartext. Als letzter Rinderhalter im Lautertal kritisiert der 55-Jährige die ständig strengeren Auflagen des Veterinäramts oder des Gesetzgebers. Sie seien zuletzt die wesentlichen Gründe gewesen, weshalb viele Bauern in seinem Umfeld die Viehhaltung aufgegeben hätten. Und auch er macht keinen Hehl daraus, dass er die Rinderhaltung ebenfalls an den Nagel hängt, wenn die Entwicklung so weitergeht. Ob die Tierschützer dann aber ihr Ziel erreicht haben, bezweifelt er: „Dann kommt das gesamte Fleisch aus dem Ausland, vielleicht sogar aus Südamerika, wo es keine Kontrollen gibt wie bei uns.“ Mit Blick auf die aktuellen Zustände auf dem Energiemarkt sagt Werthwein: „Dann sind wir beim Fleisch genauso abhängig wie beim Erdgas.“

Innungsmeister: Kein Beleg für systematische Qual

Innungsmeister Pyck bewertet die Filmaufnahmen von Kühnle ohnehin differenzierter. Ohne es relativieren zu wollen sagt er, dass auf solchen Sequenzen zum Teil schwerwiegende Verstöße zu sehen seien, die er auf keinen Fall gutheißen möchte. Aber es würde in diesen Fällen über eine sehr lange Zeit gefilmt und nichts anderes festgestellt. Einzelne Pannen seien kein Beleg, dass Tiere systematisch gequält werden. Pyck: „Manchmal passiert so etwas aus der Situation heraus. Die Menschen sind dann überfordert.“ Ganz generell sagt Pyck: „Auch wenn eine Schlachtung absolut korrekt ausgeführt wird, sieht sie für einen Laien nicht schön aus. Es ist immer Gewalteinwirkung im Spiel, wenn man ein Tier töten muss, das macht niemand gern.“

Pro Woche wurden 20 Rinder und 150 Schweine bei Kühnle geschlachtet

Schlachthof Kühnle ist der einzige regionale und öffentliche Schlachthof im Rems-Murr-Kreis. Das heißt: Bauern konnten bislang der Backnanger Metzgerei Tiere zur Schlachtung bringen. Das eigene Schlachthaus besitzt Kühnle seit dem Jahr 1976. Auf Bitte der Stadt Backnang hat sich Kühnle nach der Schließung des einstigen städtischen Schlachthofs seit dem Jahr 2005 bereit erklärt, dieses Schlachthaus auch für Landwirte oder Kollegen zur Verfügung zu stellen. Im rechtlichen Sinne ist Kühnle damit ein öffentliches Schlachthaus. Pro Woche wurden bei Kühnle etwa 20 Rinder und 150 Schweine geschlachtet. Die allermeisten Tiere kamen von regionalen Höfen, meist aus einem Umkreis von maximal 40 Kilometern.

Abnahme Es bestehen seitens Kühnle keine vertraglichen Verpflichtungen, Tiere abzunehmen. Die Abnahme wurde von Woche zu Woche vereinbart.

Ein Teil der Schweine wird weiterhin für die Metzgerei Kühnle in einem Kollegenbetrieb in der Region geschlachtet. Fast alle Rinder werden ebenfalls in einem Betrieb in der Region für die Metzgerei Kühnle geschlachtet. Die restlichen Landwirte und Lieferanten wurden über Viehhandlungen an andere Schlachtbetriebe vermittelt.

Bioland Helmut Voltz vom Backnanger Stiftsgrundhof betreibt seinen Betrieb nach den Richtlinien von Bioland. Seines Wissens nach lassen keine Bioland-Betriebe bei der Metzgerei Kühnle für ihre Direktvermarktung im Lohn schlachten. „Die Kollegen, die mir bekannt sind, schlachten bei anderen Metzgern in der Umgebung, von denen es zum Glück noch den ein oder anderen gibt. Den Weg, den einige Biobetriebe in unserer Biomusterregion gehen wollen, ist der, dass die Tiere im Haltungsbetrieb in ihrem gewohnten Umfeld betäubt und entblutet werden sollen.“ Erst im Anschluss erfolgt der Transport des toten Tieres zur Metzgerei und zur Verarbeitung.

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Erstellt:
3. September 2022, 06:00 Uhr

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