Neues Kapitel in der Notfallrettung

Viele Veränderungen anvisiert – Notarztwagen wird von Althütte nach Murrhardt verlegt – Zusätzlicher Standort in Welzheim

Im Rems-Murr-Kreis wird ein neues Kapitel in der Notfallrettung aufgeschlagen. Um die gesetzlichen Hilfsfristen künftig wieder einzuhalten, sollen die Kapazitäten kräftig wachsen. Mehr Fahrzeuge und mehr Personal sowie ein zusätzlicher Notarztstandort sind geplant. Landrat Richard Sigel spricht zufrieden von einer vorgezogenen Bescherung.

Von sieben Standorten in der Notfallrettung sind künftig sechs mit einem Notarztwagen ausgestattet. Grafik: Landratsamt

© Landratsamt

Von sieben Standorten in der Notfallrettung sind künftig sechs mit einem Notarztwagen ausgestattet. Grafik: Landratsamt

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Spätestens 15 Minuten nach Eingang der Meldung soll der Rettungswagen vor Ort eintreffen, so lautet die Vorgabe. Die gesetzliche Forderung ist erfüllt, wenn sie in 95 Prozent der Fälle eingehalten wird. Dass es damit Probleme gibt, zeigte sich ab 2015, als zunächst die Rettungswagen und ab 2016 auch die Notarztfahrzeuge diese Marke verfehlten. Der Bereichsausschuss für das Rettungswesen unter Vorsitz von Eberhard Kraut versuchte, gegenzusteuern. Unter anderem wurden die Rettungswache in Backnang aus der Stadtmitte in die Lerchenäcker verlegt und in Sulzbach ein neuer Rettungswagen stationiert.

Doch die Maßnahmen verpufften, weil sie von der Entwicklung eingeholt wurden, wie DRK-Kreisgeschäftsführer Sven Knödler für den Bereichsausschuss im Rems-Murr-Kreis erläutert: Die Zahl der Einsätze nimmt zu, der demografische Wandel macht sich bemerkbar, aber auch die Anspruchshaltung in der Gesellschaft wächst, sodass es vermehrt zu Bagatelleinsätzen kommt. Gleichzeitig nimmt die Versorgung durch Hausärzte ab. Auch die veränderte Kliniklandschaft und bisweilen verstopfte Straßen machen dem Rettungsdienst zu schaffen.

Die Statistik für 2017 hat schließlich den Landkreis als Aufsichtsbehörde auf den Plan gerufen: Energisch mahnte das Landratsamt im Frühjahr Verbesserungen an. Besonders im Fokus stand dabei das Obere Murrtal. Der Bereichsausschuss reagierte, indem er ein Strukturgutachten in Auftrag gab. Das Ergebnis liegt seit August vor: Kreisweit sind pro Jahr zusätzlich fast 50000 Fahrzeugstunden und fast 100000 Personalstunden erforderlich. Das entspricht umgerechnet fünfeinhalb zusätzlichen Fahrzeugen und 55 Vollzeitkräften im Rettungsdienst. Außerdem ist die Integrierte Leitstelle um neun Vollzeitstellen aufzustocken.

Weiter wurde durch das Gutachten klar, dass der Schwäbische Wald zwei Notärzte statt bisher nur einen benötigt. So soll nun der bislang in Althütte stationierte Notarztwagen nach Murrhardt verlegt und in Welzheim ein neuer Standort eröffnet werden, um den ländlichen Raum zwischen Großerlach und Alfdorf besser abdecken zu können. Das Problem bisher, so Knödler: War der Notarzt aus Althütte einmal abgerückt, war er für das ganze Hinterland nicht mehr verfügbar. Diese Situation werde es künftig nicht mehr geben: „Man hat den Kreis geschlossen.“ Änderungen gibt es auch in Backnang: Die Rettungswache soll einen weiteren Wagen erhalten, der von Montag bis Freitag zwischen 8 und 20 Uhr besetzt ist.

In mehreren Fällen wird die sogenannte Vorhaltung – also die Zeit, wie lange ein Wagen besetzt ist – erweitert. Das betrifft in Backnang ein Fahrzeug, das bislang täglich von 7 bis 24 Uhr bereitsteht: Es soll künftig rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Der Rettungswagen in Sulzbach, bislang von Montag bis Samstag jeweils zwischen 7 und 19 Uhr besetzt, wird auf täglichen Rund-um-die-Uhr-Betrieb umgestellt. Weitere Veränderungen betreffen Waiblingen/Fellbach, Winnenden und Schorndorf.

Ausbau stellt Verantwortliche

vor große Herausforderungen

Der Ausbau des Rettungsdienstes stellt die Verantwortlichen aber vor neue Herausforderungen: Mehr Personal zieht einen höheren Bedarf an Räumlichkeiten nach sich. Das gilt auch bei der Integrierten Leitstelle, wenn zusätzliche Disponenten kommen. Zweitens: Auch neue Fahrzeuge erfordern mehr Platz – neue Garagen werden gebraucht, oder vorhandene Wachen müssen ausgebaut werden. Und drittens: Das zusätzliche Personal muss überhaupt erst gefunden werden.

Landrat Richard Sigel ist zuversichtlich, dass die Neuerungen rasch umgesetzt werden können – das liege nicht zuletzt auch im wirtschaftlichen Interesse der Leistungserbringer. Im Rems-Murr-Kreis sind künftig alle vertreten, die vom Gesetz dafür genannt werden: neben dem DRK auch der Malteser Hilfsdienst, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Arbeiter-Samariter-Bund. In Winnenden ergibt sich sogar die seltene Kombination, dass der Notarztwagen von zwei Betreibern gemeinsam genutzt wird – vom Roten Kreuz und von den Maltesern.

Was die neu zu besetzenden Stellen betrifft, will Sigel keine Abwerbekampagne in Gang setzen. „Wir fühlen uns nicht als Insel, sondern als Partner in der Region“, versichert er – anderen Landkreisen solle nicht das Personal abgesaugt werden. Stattdessen hofft er auf Nachwuchskräfte, wie sie etwa beim Roten Kreuz ausgebildet werden. Dort werden, wie Sven Knödler erläutert, jedes Jahr 15 Azubis auf die Aufgaben im Rettungsdienst vorbereitet.

Knödler und Kraut verweisen im Übrigen auch darauf, dass die Hilfsfristen lediglich eine Planungsgrundlage darstellen und nicht als ausschließlicher Qualitätsindikator anzusehen seien. Weitere Komponenten seien die Helfer vor Ort, die strukturierte Notrufabfrage in der Leitstelle mit Telefon-Reanimation, die Notfallsanitäter mit der höchsten nicht ärztlichen Qualifikation im Rettungsdienst oder auch das Defi-Netz im Kreis. So könne man Leben retten, auch wenn der Rettungswagen nicht innerhalb der Frist vor Ort ist – wobei der Durchschnitt für 2017 bei 7:48 Minuten lag.

Kommentar
Großer Schritt

Von Armin Fechter

Die Notfallrettung im Rems-Murr-Kreis steht vor den größten Veränderungen seit langer Zeit. Einsatzzeiten werden ausgeweitet, zusätzliches Personal eingestellt und der Fuhrpark ergänzt. Dass dieses gewaltige Maßnahmenpaket auf Kreisebene geschnürt werden konnte und nicht höhere Instanzen damit befasst werden mussten, ist ein gutes Zeichen: Alle Beteiligten – von den Krankenkassen bis zu den Hilfsdiensten – mussten dabei aufeinander zugehen und sich kooperativ zeigen.

Jetzt muss es aber daran gehen, den guten Willen mit Fakten zu untermauern. Die Bewohner des Rems-Murr-Kreises können mit Recht erwarten, dass ihnen im Notfall ein guter Rettungsdienst mit qualifizierten Sanis und versierten Notärzten zur Seite steht. Wenn es dazu noch flankierende Sicherheiten wie die Helfer vor Ort oder gut geschulte Disponenten in der Leitstelle gibt – umso besser. Aber die Hilfsfristen müssen passen. Sonst bleibt immer ein ungutes Gefühl.

a.fechter@bkz.de

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Erstellt:
29. November 2018, 06:00 Uhr

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