Ohne Vorbehalte miteinander umgehen
Ein Bündnis lud zur Kundgebung für Vielfalt, Demokratie und Toleranz vor das Schauspielhaus Stuttgart.

© Lichtgut/Bacher
Bei der Kundgebung wurde geredet und gesungen. Bei der Kundgebung wurde nicht nur geredet, sondern auch gesungen.
Von Petra Mostbacher-Dix
Stuttgart - Hier „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Oma oder Ihren Opa“, da „Nerds gegen Nazis“. Plakate, die Bände sprechen. Wie so viele an diesem Samstagnachmittag im Oberen Schlossgarten. Dorthin hatte ein breites Bündnis von kommerziellen und nicht-kommerziellen Kulturorganisationen und Unternehmen, von Künstlerinnen und Künstlern, von Aktivistinnen und Aktivisten geladen. Ihre Kundgebung für Vielfalt, Demokratie und Toleranz fand innerhalb „stimmt-fuer.de“ statt, der bundesweiten Kampagne der Veranstaltungsbranche für demokratische Werte und einer Gesellschaft der Vielfalt und Pluralität.
Einige hundert Menschen jeglichen Alters kamen vor das Schauspielhaus, sangen leidenschaftlich zum Auftakt den Anti-Neonazisong „Schrei nach Liebe“ der Berliner Punkrock-Band Die Ärzte mit. „In der Kultur kommen Menschen aus vielen Ländern zusammen“, so Paul Woog. Der Geschäftsführer der Konzertagentur SKS Michael Russ moderierte mit der zwölfjährigen Magdalena, die deutlich machte, was sie umtreibt: „Alle sollen ohne Vorbehalte miteinander umgehen.“
Denn was passiere, wenn Rechte übernähmen, sei in den USA zu beobachten, sagte ein Aktivist: „Diversität wird abgeschafft, auf dem Stonewall-Denkmal werden Transmenschen getilgt.“ Aber man könne Nein sagen, betonte er, ein Gedicht des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller zitierend: Als die Nazis die Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter holten, habe er geschwiegen. „Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Die Notwendigkeit, seiner Stimme an Urnen und in Protesten Gehör zu verschaffen, unterstrichen auch unter anderem Jochen Siegle (Reporters for Future), Sabiha Ghellal (Hochschule der Medien), Kerim Arpad (Deutsch-Türkisches Forum), Hans D. Christ vom Württembergischen Kunstverein (WKV) und Kolumnist Jo Bauer, der das Netzwerk gegen Rechts mitinitiierte. Letzterer erinnerte an die Nazihorden, die 1930 das Stuttgarter Schauspiel stürmten, weil das anti-rassistische Stück „Schatten über Harlem“ des jüdischen Autors Ossip Dymow lief. „Man muss wissen, wo man steht!“ Geschichte wiederhole sich nicht Eins zu Eins, aber Strukturen. Man müsse über Probleme sprechen, Räume für Dialoge aufmachen, keine Sündenböcke für Wohnungsnot, marode Brücken, Lebensmittelpreise suchen.
Medienprofessorin Ghellal hob hervor: Kultur, ob Literatur, Kunst, Musik, Theater, Film und mehr, sei ein Raum der Freiheit – „für Experimente, Offenheit, Visionen und dafür, auch Unbequemes auszusprechen“.