Problematisches Szenario in Backnang: Hochwasser könnte Mauern eindrücken

In der Innenstadt gibt es beim Hochwasserschutz noch zwei gravierende Lücken. Die Gebäude Sulzbacher Straße 3 und Schillerstraße 44 sind zwei Schwachstellen, die im Falle einer Flut einem Gutachten zufolge dem Wasserdruck nicht standhalten könnten.

In der Vergangenheit strömte das Hochwasser durch die tief liegenden Fenster in das Haus Sulzbacher Straße 3. So seltsam es auch klingen mag: Dadurch wurde das Gebäude an sich stabilisiert. Jetzt nur dichte Fenster einzubauen ist zu kurz gedacht. Foto: privat

In der Vergangenheit strömte das Hochwasser durch die tief liegenden Fenster in das Haus Sulzbacher Straße 3. So seltsam es auch klingen mag: Dadurch wurde das Gebäude an sich stabilisiert. Jetzt nur dichte Fenster einzubauen ist zu kurz gedacht. Foto: privat

Von Matthias Nothstein

Backnang. Ein Gutachten des renommierten Ingenieurbüros Gollub bedeutet einen herben Rückschlag für den geplanten Hochwasserschutz in Backnang. Der Ebersbacher Ingenieur ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die geplante Vorgehensweise der Stadt Backnang beim Gebäude Sulzbacher Straße 3 in der ursprünglich vorgesehenen Form das Gebäude gefährden würde. Dieses Fazit hatte zur Konsequenz, dass die Stadt ihre Bauaktivitäten vorerst gestoppt hat. Auch beim Haus Schillerstraße 44 sind Umplanungen nötig. Die Schutzmaßnahmen können nicht in der Form umgesetzt werden, wie sie im Planfeststellungsbeschluss von 2015 vorgesehen waren. Die Verzögerungen bedeuten, dass es im Falle eines großen Hochwassers immer noch zwei Lücken gibt.

Haus 1 – Was hatte die Stadt geplant? Wenn in früheren Zeiten der Pegel der Murr anschwoll, dann wurde das Untergeschoss des Gebäudes Sulzbacher Straße 3 in schöner Regelmäßigkeit geflutet. Das Wasser drang in erster Linie über die Fenster in den Keller des Gebäudes ein. Zehn Fenster liegen nämlich außergewöhnlich tief. Die einfachste Lösung schien, diese Fenster so auszugestalten, dass sie wasserdicht sind. Technisch wäre das kein Problem. Die Stadt hat daher zehn dieser Spezialanfertigungen gekauft und war bereit, sie einbauen zu lassen. Derzeit lagern sie in einem Fensterfachbetrieb im Umland.

Was spricht gegen das Vorgehen? Bauingenieur Wilfried Gollub hat das Gebäude mehrfach untersucht. Dabei ging es auch um die Frage, ob die Mauer zur Murr hin einem Hochwasser der Kategorie HQ 100 standhalten kann. Eine solche Flut kommt statistisch einmal in 100 Jahren vor. Die Einschätzung des Ingenieurs erfolgte anfangs anhand von alten Bauplänen. Zudem fanden Ortsbesichtigungen mit dem Eigentümer und Vertretern der Stadt- und Landkreisverwaltung statt. Je detaillierter sich der Gutachter mit dem Gemäuer beschäftigte, umso mehr kam er zur Einschätzung, dass der alleinige Einbau dichter Fenster keine gute Idee ist. Denn das Gebäude benötigt bei einem Hochwasser das Wasser der gefluteten Keller als Gegendruck. Sonst würde die zu dünn dimensionierte Hauswand eingedrückt werden. Auch sei es nicht ausreichend, die Wand einfach zu verstärken, weil dann das Gebäude aufschwimmen beziehungsweise die Bodenplatte aufbrechen könnte. Das Fazit des Experten lautet daher: „Die Flutung des Kellers hält die Bodenplatte in ihrer Lage und stabilisiert die Wände durch den Wassergegendruck von innen. Die Voraussetzung für die Widerstandsfähigkeit des Gebäudes ist die Flutung des Untergeschosses.“

Wie geht es weiter? Der Wasserverband Murrtal, dem die vier Kommunen Backnang, Oppenweiler, Sulzbach an der Murr und Murrhardt angehören und der für das Verfahren zuständig ist, muss nun neue Lösungen erarbeiten, wie in diesem Bereich der örtliche Hochwasserschutz sichergestellt werden kann. Es ist laut einer Mitteilung des Landratsamts Rems-Murr-Kreis davon auszugehen, dass mit einer geänderten Planung neue Belange der Grundstückseigentümer betroffen werden. Sofern die Grundstückseigentümer dieser geänderten Planung nicht zustimmen, wird ein Änderungsverfahren erforderlich sein.

Haus 2 – Was hatte die Stadt geplant? Beim Gebäude Schillerstraße 44 unmittelbar flussaufwärts neben dem mexikanischen Lokal Joe Peña’s hatte die Planung vorgesehen, dass die relativ marode Mauer etwas erhöht und gleichzeitig mit einer sogenannten Betonvorsatzschale verstärkt und stabilisiert werden sollte. Im Laufe der Planung zeigte sich jedoch, dass diese derart veränderte Mauer mit Sicherungen in das Gelände rückverankert werden müsste. Diese Anker im Erdreich würden jedoch in Bereiche des Grundstücks hineinragen, die nicht im Planfeststellungsbeschluss enthalten sind. So entsteht laut Erstem Bürgermeister Stefan Setzer „eine neue Betroffenheit“. Mit der Konsequenz, dass eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses erforderlich ist.

Wo steht das Verfahren derzeit? Die Änderung des Planfeststellungsverfahrens läuft bereits. Die Eigentümer haben das Recht, Einwendungen vorzubringen. Diese werden dann in einer Erörterungsverhandlung mit den Beteiligten behandelt. Die Anhörung der Träger öffentlicher Belange ist laut Landratsamt weitgehend abgeschlossen. Die bisher vorgebrachten Anregungen und Bedenken wurden bereits dem Wasserverband Murrtal zur Stellungnahme vorgelegt. Sobald die Anhörung abgeschlossen ist und die Stellungnahme des Wasserverbands Murrtal zu den vorgebrachten Punkten vorliegt, werden alle Betroffenen zu einem Erörterungstermin eingeladen. Laut Landratsamt ist angedacht, diesen Termin noch vor der Sommerpause abzuhalten, sodass die Änderungsentscheidung im Herbst 2023 erteilt werden kann.

Ist dann der Schutz komplett? Neben diesen beiden Lücken gibt es aktuell noch eine weitere Passage im nordöstlichen Stadtgebiet, die noch nicht für ein HQ 100 ausgelegt ist. Es handelt sich um den Aldi-Parkplatz entlang der Gartenstraße. Dort wird demnächst ein neuer Damm gebaut, der zwischen 0,60 und 1,20 Meter hoch werden soll. Um den Erwerb eines Schlüsselgrundstücks hatte es lange Verhandlungen gegeben. Nun sollen die Arbeiten ausgeschrieben und noch in diesem Jahr umgesetzt werden. Die Parkplätze müssen dann weichen. Neben dem Hochwasserschutz gibt es aber an dieser Stelle noch einen weiteren Vorteil: Der Fahrradweg führt künftig ohne Unterbrechung von der Innenstadt bis zum Freibad.

Was wurde bisher geschaffen? Sobald der erwähnte Damm gebaut und die beiden Häuser Sulzbacher Straße 3 und Schillerstraße 44 gesichert sind, ist die Stadt bis zu einem Hochwasser der Kategorie HQ 100 vor der Murr sicher. Und zwar von der nördlichen Stadtgrenze bis in den Bereich hinter Tesat. Dann schließt sich das IBA-Areal an, das in den nächsten Jahren völlig neu bebaut werden wird. Dabei soll dem Hochwasserschutz höchste Priorität eingeräumt werden. Die Innenstadt ist auch deshalb sicher, weil entlang der Talstraße Mauern gebaut wurden. Etliche Pumpwerke sorgen ferner dafür, dass auch die Kanalisation funktioniert. Und wenn erst einmal das Regenrückhaltebecken Oppenweiler in Betrieb geht, ist eine Flut der Murr ohnehin weniger schlimm. Das Becken kann bis zu 850000 Kubikmeter Wasser zurückhalten. Mit dem Bau wurde bereits begonnen, die Fertigstellung wird für 2026 erwartet. Die Prognose lautet, dass alleine die Stadt über 24 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investieren muss. Und dabei ist das IBA-Areal noch nicht mit eingerechnet.

Kommentar
Die Gefahr ist real

Von Matthias Nothstein

Nur noch wenige Restarbeiten sind zu erledigen, dann ist der innerstädtische Hochwasserschutz komplett. Zumindest bis hinter Tesat. So lautete die Sprachregelung der Stadtverwaltung bisher. Oft verbunden mit dem Verweis darauf, was alles schon geschaffen wurde. Nun stellt sich heraus, dass das so nicht stimmt. Die Probleme sind wohl komplexer, als es sich der Laie vorstellen kann. So ziehen sich die Nachrüstungen der betroffenen Gebäude immerhin schon lange hin. Und speziell im Fall des Hauses Sulzbacher Straße 3 zeichnet sich derzeit keine so wirklich realisierbare Lösung ab.

Eines ist aber sicher: Das nächste Hochwasser kommt. Und dann ist es wichtig, dass alle Stellen flutsicher sind. Denn eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Es wäre mehr als nur ärgerlich, wenn die Stadt zwar viele Millionen Euro investiert hat, aber am Ende wieder große Teile der Innenstadt unter Wasser stehen, weil das Wasser doch an einigen Schwachstellen eindringen kann.

Ganz abgesehen davon könnte noch ein ganz anderes Szenario drohen: zwei einstürzende Gebäude. Wie real auch hierzulande eine solche Gefahr ist, zeigen die Beispiele Braunsbach oder Ahrtal. Einerseits. Andererseits reduziert das bereits begonnene Becken Oppenweiler das Risiko erheblich. Wenn dieses fertig ist, besteht auch für die beiden Häuser keine übergroße Gefahr mehr. Daher sollte der Wasserverband speziell bei diesem Becken wirklich Gas geben.

m.nothstein@bkz.de

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Erstellt:
17. April 2023, 06:00 Uhr

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