Rockdisco Club: Rappelvoll, verraucht und gnadenlos laut

Nachtleben in alten Zeiten (3) Die Rockdisco Club war in den 1960ern und 1970ern bis Anfang der 1980er-Jahre einer der angesagtesten Treffpunkte für junge Leute in und um Backnang. Der Club war Kult und spiegelte das Lebensgefühl der jungen Leute in jener Zeit wider.

Im ersten Stock über der Gaststätte Deutscher Kaiser an der Stuttgarter Straße befand sich der Club Backnang. Um 1970 war die Verbindung zur Friedhofstraße noch befahrbar.

Im ersten Stock über der Gaststätte Deutscher Kaiser an der Stuttgarter Straße befand sich der Club Backnang. Um 1970 war die Verbindung zur Friedhofstraße noch befahrbar.

Von Claudia Ackermann

Backnang. Bis in das Jahr 1964 reicht die Geschichte der Backnanger Rockdisco Club zurück. Rappelvoll, schummrig beleuchtet, gnadenlos laut und bis an die Grenzen des Erträglichen verraucht war es im Club im ersten Obergeschoss des Hauses in der Stuttgarter Straße 37 – und doch waren es die Glanzzeiten der legendären Lokalität. Der Club war damals einfach Kult.

Im Jahr 1964 beschlossen vier Gymnasiasten, in der Gaststätte Deutscher Kaiser sitzend, einen Treffpunkt für junge Leute zu schaffen, wo man diskutieren und gemeinsam Musik hören konnte. Die Schulfreunde waren Hans-Jürgen Hartmann, Roland Janke, Günther Löffler und Arno Schumacher. Getränke zu günstigen Preisen sollten angeboten werden. Die Wirtin Ottilie Schumacher (Arno Schumachers Mutter), die seit 1958 die Gaststätte Deutscher Kaiser führte, unterstützte das Vorhaben und stellte den Gewölbekeller des Hauses zur Verfügung.

Mit viel Elan wurde der kleine, dunkle Raum ausgebaut. An die Wand geschraubte ausrangierte Kinoklappsessel dienten als Sitzgelegenheiten. Das Gewölbe wurde mit Holzbrettern und Schilfrohrmatten verkleidet. Man nannte den Rockkeller „Donna Club“ (nach dem Song „Oh, Donna“ von Ritchie Valens aus dem Jahr 1959). Clubausweise wurden zu den Anfangszeiten ausgegeben, denn ein öffentlicher Gastronomiebetrieb wäre in dem Kellergewölbe nicht genehmigt worden. An den Donna Club von 1964 erinnerte sich Jahre später noch der frühere Gast Dieter Müller. Damals habe er ganz in der Nähe gewohnt und sich schon als 14-Jähriger in den Rockkeller hineingeschmuggelt. Später war er dann Stammgast im Club. „Es war unsere zweite Heimat“, sagt er rückblickend.

Ein Jahr nach der Gründung erfolgt der Umzug vom Keller in die erste Etage

Vor allem bei Schülern und Studenten fand der Donna Club so guten Anklang, dass schon bald der Platz zu eng wurde. Im ersten Stock des Gebäudes befand sich ein ehemaliger Tanzsaal, der nicht mehr genutzt wurde. Schon ein Jahr nach der Gründung zog man in die erste Etage um, der Name „Donna“ fiel weg, und der Club Backnang war geboren. Die erste Bar baute Ernst Kress ein. Später wurde sie durch eine professionelle Gaststättentheke ersetzt, die eine Brauerei sponserte.

Bald darauf nahm man auch die übrigen Räume in dieser Etage dazu, in denen Ottilie Schumacher ihre Wohnräume hatte. Sie zog ein Stockwerk nach oben ins Dachgeschoss. Den ersten Stock baute man zu einer Rockdisco aus. Wo zuvor das Schlafzimmer der Gastwirtin war, entstand nun eine Tanzfläche mit geöffnetem Fachwerk auf einer Fläche von gerade einmal 15 Quadratmetern.

Gründungsmitglieder um 1966: rechts der damalige „President“ Arno Schumacher, daneben „Vice President“ Hans-Jürgen (Hannes) Hartmann und Günther Löffler (mit Krawatte). Der Club bestand nur aus einem einzigen Raum mit gezimmerter Theke. Repros: Claudia Ackermann

Gründungsmitglieder um 1966: rechts der damalige „President“ Arno Schumacher, daneben „Vice President“ Hans-Jürgen (Hannes) Hartmann und Günther Löffler (mit Krawatte). Der Club bestand nur aus einem einzigen Raum mit gezimmerter Theke. Repros: Claudia Ackermann

Das Konzept ging auf. Abend für Abend war der Laden zum Bersten voll, erinnert sich Reinhard Kobald, genannt Chap, der 1968 als 16-Jähriger dazukam und dann fast 20 Jahre lang im Club Schallplatten auflegte. „Der Club war unser Leben“, blickt er zurück.

An den Wochenenden standen die Besucher in einer langen Schlage auf der schmalen Treppe bis hinaus auf die Straße, um noch einen Stehplatz im Club zu ergattern. In dichtem Gedränge wurde auf der kleinen Tanzfläche zur Rockmusik geschwoft. Die Qualität der Musikanlage ließ damals sehr zu wünschen übrig. „Hauptsache war, dass man seine Lieblingssongs einigermaßen erkennen konnte“, schmunzelt Chap.

Aber es war nicht nur die Rockmusik, die die Besucher anzog, von denen viele Stammgäste waren. „Man traf sich fast täglich und teilte Freud und Leid miteinander. Man liebte und man zankte sich. Es wurde aber deutlich mehr gelacht als Tränen flossen“, blickt Chap zurück. An Weihnachten wurde ein Christbaum aufgestellt und geschmückt. Nach besinnlichen Momenten an Heiligabend mit der Familie zog es die jungen Leute zur Party bis spät in die Nacht in den Club. Unvergesslich bleibt wohl vielen die obligatorische Ananasbowle von Ottilie (Tiller) Schumacher, die es gewaltig in sich hatte.

Über der Eingangstreppe ein Poster von Che Guevara

Niemand störte, dass die Luft in den verrauchten Räumlichkeiten oft zum Schneiden war. Schmuddelig waren der Bodenbelag aus Industrienadelfilz und die Cordbezüge der Sitzgruppen. Aber auch das gehörte zur speziellen Clubatmosphäre. Über der Eingangstreppe hing ein Poster von Che Guevara, links davon ein überdimensionaler Facettenspiegel, der bedrohlich nach vorne geneigt über einer Sitzgruppe hing. Kult waren auch die Fototapete mit der Skyline von Manhattan hinter der Theke und das Kuhfell an der Wand der Tanzfläche, damals ein beliebter Einrichtungsgegenstand.

Die Wende kam Mitte der 1980er-Jahre. Rock aus den 1970ern war nicht mehr so gefragt. Disco, Punk und die Neue Deutsche Welle führten den Musikgeschmack an. Andere Discos machten Konkurrenz. Schließlich, im Jahr 1993 nach fast 30 Jahren, kam das Aus für die Betreiber. Mehrere Gastronomen versuchten in der Folgezeit, in den Räumlichkeiten Fuß zu fassen, aber ohne Erfolg. In dieser Zeit hatten die einstigen Clubmitarbeiter Chap und Hucky (Walter Haak) die Idee, eine Revival-Party zu organisieren.

Revival-Party von Chap und Hucky wird ein einschlagender Erfolg

Ein einschlagender Erfolg wurde das Wochenende im September 1998. Natürlich waren die einstigen Clubbesucher ein paar Jährchen älter geworden, aber sich wiederzusehen und an alte Zeiten zu erinnern, das ließen sich viele der Veteranen nicht entgehen. „Wie früher“, war an den beiden Abenden der meistgesprochene Satz, erinnert sich Chap. Jedoch erst im Jahr 2006, als die Räumlichkeiten wieder einmal leer standen, wurden sich Chap und Hucky mit dem Hauseigentümer einig, den Club wieder aufleben zu lassen, wenn auch nur an den Wochenenden.

So wild und verraucht wie früher war es natürlich nicht mehr. Heller und moderner waren die Räume inzwischen gestaltet. Ein Brett mit fünf Buchstaben an der Tanzfläche verwies auf die Anfänge vor fast einem halben Jahrhundert. „Donna“ stand auf dem Originalschild von 1964 geschrieben. Junge und Junggebliebene besuchten den wiedereröffneten Club. Die nächste Discogeneration kam an den Ort der Jugendsünden ihrer Eltern. Rockmusik wechselte sich mit anderen Stilrichtungen ab.

Das endgültige Aus kam 2018

Verschiedene Gründe führten nach und nach zum Rückgang der Besucherzahlen. Jeden Samstag organisierte Chap nun Livekonzerte. Eintritt wurde nicht erhoben, lediglich ein Hut machte die Runde. „Die Bands kamen immer gerne hierher“, sagt Chap. Von den Musikern, die aus ganz Deutschland kamen, hörte er oft den Satz: Die Backnanger Rockkneipe mit Clubcharakter ist einzigartig. Im Jahr 2018 kam dann aber schließlich das endgültige Aus – der Club Backnang wurde geschlossen.

Dringend Fotos gesucht

Bäbbede und Co. Für unsere nächsten Folgen, die sich den Lokalen, Klubs und Discotheken Bäbbede, Riffifi und Belinda widmen werden, suchen wir dringend noch alte Fotos, aber auch Geschichten. Wer hat noch Erinnerungen an diese Kultlokale? Bilder von der Alten Grube oder Bierakademie, vom Monokel oder Hula Hoop und so weiter sind ebenfalls willkommen. Schreiben Sie uns per E-Mail an: redaktion@bkz.de

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Erstellt:
6. Mai 2023, 06:00 Uhr

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