Rauschgiftsüchtige Geliebte erweist sich als Fiktion

Backnanger Schöffengericht verurteilt Kommunikationselektroniker wegen Drogenhandels zu 15 Monaten Gefängnis auf Bewährung

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Nicht ohne Grund gibt die Staatsanwaltschaft ihre Verdachtsfälle ans Amtsgericht Backnang. Wenn an der Sache was dran ist, so betont der Richter immer wieder, ist es das Beste, zu gestehen. Allerdings, so früh wie möglich.

Vor dem Schöffengericht hatte sich ein 38-jähriger Kommunikationselektroniker zu verantworten. Der Vorwurf: Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringem Umfang. Etwas kurios, wie man dem Beschuldigten auf die Fährte gekommen war. Wegen offener Rechnungen sollte eine Gerichtsvollzieherin in der Allmersbacher Wohnung des Angeklagten den Strom abstellen. Sie wurde allerdings nicht vorgelassen und rief deshalb die Polizei. Als der Wohnungsinhaber den Beamten dann öffnete, strömte diesen ein wohlbekannter Duft entgegen. Während die Gerichtsvollzieherin ihres Amtes waltete, telefonierten die Beamten mit der Staatsanwaltschaft und erwirkten einen Durchsuchungsbefehl. Das beeindruckte den 38-Jährigen wenig. Er beanstandete die Dienstausweise der Beamten und brachte allerhand anderes gegen sie vor. Die Beamten ihrerseits erklärten ihm hierauf die vorläufige Festnahme. Nach einem Handgemenge konnte der Widerspenstige aufs Revier gebracht werden. Die Rauschgiftexperten der Polizei durchsuchten in aller Ruhe die Wohnung und fanden in der stark vermüllten Wohnung Marihuana und Amphetamine. Ferner einen sogenannten Crusher, eine Feinwaage und Versandtaschen.

Vom Richter zur Anklage befragt, stritt der Kommunikationselektroniker zunächst alles ab. Er sei zur fraglichen Zeit mit einer Dame liiert gewesen, die konsumiert habe. Aber deren Identität wolle er nicht preisgeben. Ja, es sei sein Fehler, dass er ihren Rauschgiftkonsum geduldet habe. Als der Richter ein Polizeifoto anspricht, das einen an ihn adressierten Lieferumschlag zeigt, kann er die Sache nicht erklären. Er selbst dürfe gar nicht konsumieren, sei er doch seit seiner Jugend herzkrank. Alles sei Sache der holden Weiblichkeit gewesen. Die Beziehung sei seit September 2017 beendet.

Eine der damals beteiligten Polizistinnen sagt aus. Stimmt, die Terrassentür war angelehnt. Ist die Dame im letzten Augenblick entwischt? Sowohl Richter als auch Staatsanwalt sind sehr interessiert daran, ob denn in der Wohnung Dinge vorgefunden wurden, die auf regelmäßigen Damenbesuch schließen lassen. Schuhe, Kleidungsstücke, Kosmetika? Nichts dergleichen gibt die Beamtin an. Und ob denn anhand des Schlafplatzes ersichtlich gewesen sei, dass da zwei genächtigt hätten? Aufgrund des überborderden Mülls sei nur ein Übernachtender vorstellbar. Ganz zuletzt fällt dann der Polizistin ein: Da sei noch etwas gewesen. In Schraubgläsern verwahrte Silikonvaginas und Dildos.

Ein Beamter der Rauschgiftermittlungsgruppe sagt als Zeuge aus. Man habe die Telefonnummer einer Dame auf einem in der Wohnung vorgefundenen Zettel entdeckt. Ermittlungen hierzu ergaben: Die Schöne wohnt in Nordrhein-Westfalen und ist Jahrgang 1923.

Angeklagter und Verteidiger beraten sich noch einmal

Der Richter sieht es als geboten an, dass sich Angeklagter und Verteidiger nochmals beraten. Als diese nach sieben Minuten zurückkehren, nimmt sich die Sache anders aus. Der Inhalt der Anklageschrift, so erklärt der Rechtsanwalt für seinen Mandanten, werde bejaht.

Genauestens wurden die aufgefundenen Rauschmittelreste von der Polizei untersucht. Etwas 500 Konsumeinheiten ergeben sich aus dem beschlagnahmten Material. Darauf bezieht sich der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sei erwiesen, das Geständnis des Angeklagten sei, da erst spät erfolgt, zweiter Klasse. Der Anklagevertreter fordert 18 Monate Gefängnis auf Bewährung. Auf Bewährung deshalb, weil der Beschuldigte nicht vorbestraft sei. Der Verteidiger des Angeklagten betont, dass hier doch ein minder schwerer Fall von Rauschgifthandel vorliege. Wenn schon Freiheitsstrafe, dann nicht über einem Jahr.

Nach kurzer Beratungszeit urteilt das Schöffengericht: 15 Monate auf Bewährung. In seiner Urteilsbegründung betont der Richter, dass es besonderer Gründe bedarf, eine Freiheitsstrafe über einem Jahr zur Bewährung auszusetzen. Der Angeklagte habe sich bisher nichts zuschulden kommen lassen, er habe die Sache, wenn auch spät, gestanden. Aufgrund seiner Ausbildung dürfte er bald wieder einen Arbeitsplatz finden. Sprich: die Sozialprognose ist positiv.

Aber auch Spürbares müsse bei einem Urteil dabei sein. Die Bewährungszeit umfasse drei Jahre. In dieser sollte nichts vorkommen. Ein Bewährungshelfer werde ihm als Gesprächspartner zugeordnet. Und 150 Stunden gemeinnützige Arbeit müsse er auch noch leisten. Alle Beteiligten nahmen das Urteil an.

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Erstellt:
10. Januar 2019, 17:50 Uhr

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