So war das Backnanger Nachtleben in den 1950er-Jahren

Nachtleben in alten Zeiten (2) Kleine Fluchten aus der Enge des Alltags: Ein schmaler Geldbeutel, lange Arbeitszeiten und die Folgen von Krieg und Entbehrungen bestimmten das gesellschaftliche Leben in den 50ern. Gleichwohl bestand ein Bedürfnis, die Sorgen des Alltags im Kino oder Tanzlokal hinter sich zu lassen.

Faschingsball in der Restauration zur Blume in der Sulzbacher Straße in Backnang in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre. Foto: privat

Faschingsball in der Restauration zur Blume in der Sulzbacher Straße in Backnang in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre. Foto: privat

Von Armin Fechter

Backnang. Kargheit durchzog alle Lebensbereiche: Wohnraum war knapp, Hausarbeit war Handarbeit, der Garten diente dem Gemüseanbau. Es war, wie Sozialwissenschaftler sagen, eine Zeit, die stark vom Rückzug ins Private und von familiärer Häuslichkeit geprägt war. Abwechslung versprachen die Kinos, sie boten eine willkommene Gelegenheit, in eine andere Welt einzutauchen. Zudem waren sie einer der wenigen Orte, an denen sich junge Leute unbeaufsichtigt treffen konnten. Kein Wunder also, dass die 50er-Jahre zum deutschen Kinojahrzehnt werden sollten.

Backnang war mit Lichtspielhäusern üppig ausgestattet: Da gab es die Bali-Lichtspiele (früher: Backnanger Lichtspiele) in der Kesselgasse, das erste Backnanger Kino überhaupt. Dann gab es die Metropol-Lichtspiele am Schillerplatz – später Central-Theater –, 1947 im Saalanbau des einstigen „Engel“ eingerichtet. Übrigens: Dort hatte bereits 1896 die erste Kinematografenvorstellung, also Filmvorführung, in Backnang stattgefunden, wie Heiner Kirschmer bei seinen Recherchen über die Wirtschaften in Backnang entdeckt hat. Ferner gab es das Filmtheater in der Eduard-Breuninger-Straße (heute: Traumpalast) und ab 1957 das Universum in der Sulzbacher Straße.

Ganz vorne im Kino befanden sich die billigsten Plätze, die „Rasursitze“

Alle hatten einen einzigen großen Saal, der einem Theater ähnlich eingerichtet war, jeweils mit mehreren Hundert Sitzplätzen, aufgeteilt in Parkett, Sperrsitz und Rang und im Preis entsprechend gestaffelt. Ganz vorne befanden sich die billigsten Plätze. Diese wurden von den jungen Männern spöttisch als „Rasursitze“ tituliert – denn um das Geschehen auf der Leinwand verfolgen zu können, mussten die Zuschauer die Hälse so recken, dass es ein Leichtes gewesen wäre, den Bartschnitt zu kontrollieren.

Das Universum bestätigt übrigens für Backnang, welchen Boom das Kino damals erlebte: Die Eheleute Gerhard und Gertrud Eppler hatten zunächst Anfang der 50er-Jahre als Pächter das Metropol übernommen. Bald darauf entschlossen sie sich, ihre eigene Spielstätte zu bauen – ein Kino mit 571 Sitzplätzen.

Das Kinoprogramm dominierten Heimatfilme: „Grün ist die Heide“, „Tausend rote Rosen blühn“ oder „Geier-Wally“ – Zelluloidwerke, die eine kleine Flucht aus der Enge des Daseins erlaubten. Zunehmend entdeckten die Filmemacher aber auch ein jüngeres Publikum, das die gesellschaftlichen Verhältnisse als spießig empfand und sich dagegen auflehnte. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, der Streifen von 1955 mit James Dean, traf den Geschmack dieser rebellischen Generation nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland.

Mit dem Aufkommen des Fernsehens verlor das Kino aber seine herausragende Stellung wieder. Als Erstes musste in Backnang Anfang der 60er-Jahre das Bali schließen, später schlug dann auch für das Central die letzte Stunde.

Heinz Hilt (rechts), Vater des Löwenwirts Markus Hilt, bei einer Fete in den 50ern zusammen mit einem Gast im „Waldhorn“. Foto: privat

Heinz Hilt (rechts), Vater des Löwenwirts Markus Hilt, bei einer Fete in den 50ern zusammen mit einem Gast im „Waldhorn“. Foto: privat

Zum Lebensgefühl der 50er gehörte für die junge Generation spätestens seit Bill Hayleys „Rock Around the Clock“ auch der Rock’n’Roll. Dessen namhaftester Vertreter Elvis Presley löste in seiner Militärdienstzeit in Deutschland wahre Ekstasen aus. Konzerthallen gab es in Backnang freilich keine und Discotheken, in denen der revolutionäre Tanzstil hätte praktiziert werden können, auch nicht. Ernst Kress, der frühere Stadtrat und Gastronom, der die 50er als Jugendlicher erlebte, erinnert sich daran, dass seine ältere Schwester gelegentlich nach Stuttgart fuhr, um ihre Freude am Tanzen auszuleben. Ansonsten aber musste für junge Leute damals die Tanzstunde reichen – immerhin auch das eine Gelegenheit zu Begegnungen. Zudem suchten Tanzbegeisterte gerne Gaststätten auf, in denen eine Jukebox stand, um neue Schrittfolgen und Bewegungen auszuprobieren. So eine Möglichkeit bot sich beispielsweise beim Waldheim, wo ein Automat für ein paar Groschen die neuesten Hits von sich gab. Platz zum Tanzen war draußen, im Freien. Oder man ging ins Café am Burgplatz, das ebenfalls Tanzmöglichkeiten anbot.

Aus einer Tanzstundenclique ist der Stammtisch „Soll i di“ hervorgegangen

Ernst Kress erinnert sich aber auch daran, dass es in den 50ern eigentlich wenig Raum gab, um auszugehen: morgens früh aus dem Haus, abends erst spät, gegen halb sieben, zurück, dann das Fußballtraining – „ich bin nicht viel fortgekommen“. Einen Treff hatten Jugendliche bei der Stadthalle, wo sich das Vereinsheim des FC Viktoria befindet, dort konnten sie Karten spielen, kegeln oder kicken. Die Tanzstunde hatte aber für die jungen Frauen und Männer nachhaltige Bedeutung. Oftmals entstanden daraus lebenslange Bindungen – Ehen ebenso wie tiefe Freundschaften. Aus einer Tanzstundenclique ist beispielsweise auch ein Stammtisch namens „Soll i di“ hervorgegangen. Die famose Gesellschaft traf sich anfangs, um die Übungsabende ausklingen zu lassen, noch im Waldhorn in der Sulzbacher Straße und später dann jahrzehntelang in der Gaststätte Scholpp im Melanchthonweg – über ein Dutzend Frauen und Männer, die auch als Ehepaare, Eltern und Großeltern weiterhin ihre Verbindung pflegten.

Zum Tanzen hatten sich die späteren Soll-i-di-aner einst in der „Blume“ getroffen, dort besuchten sie einen Fortgeschrittenenkurs. Die Lokalität war mit ihrem Saal für solche Aktivitäten bestens geeignet. Auch im Gasthaus Holzwarth, früher Eisenbahn, ebenfalls mit einem großen Saal ausgestattet, gab es solche Angebote. Dort hat Heiner Kirschmer, der langjährige Stadtchronist und Hobbyhistoriker, Ende der 50er seinen Tanzkurs absolviert. Zum Abschlussball ging es dann ins Bahnhofhotel, Backnangs gute Stube, das heutige Bürgerhaus. Da spielte Livemusik, bei Kirschmers Abschlussfeier eine Combo aus Murrhardt. Junge Leute kamen auch gerne alljährlich zum Blumenball und zum Turnerball ins Bahnhofhotel.

Gaststätten mit eigenem Saal bieten Tanz- und Festveranstaltungen an

Darüber hinaus sorgten Gaststätten, die mit einem eigenen Saal die räumlichen Möglichkeiten dazu hatten, für allerlei öffentliche Tanz- und Festveranstaltungen. Die Blume beispielsweise lud dazu ein, ebenso das Waldhorn – es gab Faschings- und Silvesterbälle, wie Markus Hilt erzählt, der heutige Löwenwirt, dessen Eltern Heinz und Angela Hilt viele Jahre das Waldhorn umtrieben, und es gab allerlei andere vergnügliche Feiern mit Menü, Tanz und Programm, die teilweise auch von Vereinen organisiert wurden. Kostümprämierungen, Sketche und kurze Theaterszenen erfreuten sich bei solchen Anlässen immer großer Beliebtheit.

Als die Arbeitszeiten ab den späten 50ern kürzer wurden, als Samstagsarbeit nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme war und das Wirtschaftswunder auch in breiten Schichten der Bevölkerung ankam, veränderte sich die Landschaft. Es entstanden die ersten Tanzlokale, die ersten Klubs: Aus der Blume wurde in den 60ern erst das Tanzcafé Tenne, dann der Twen-Club. In der Gerberstraße eröffnete das Blow Up, aus dem später das Old Dad wurde. Und der Tanzsaal des Deutschen Kaisers verwandelte sich in den Club. Die Welt der Backnanger nahm Farbe an.

Dringend Fotos gesucht

Bäbbede und Co. Für unsere nächsten Folgen, die sich den Lokalen, Klubs und Discotheken Bäbbede, Riffifi und Belinda widmen werden, suchen wir dringend noch alte Fotos. Aber auch Geschichten. Wer hat noch Erinnerungen an diese Kultlokale? – Wer jetzt sein Privatarchiv durchwühlt und Bilder von der Alten Grube oder Bierakademie, vom Monokel oder Hula Hoop findet, darf sich natürlich auch schon melden. Welche Erlebnisse hatten Sie? Schreiben Sie uns per E-Mail an redaktion@bkz.de. flo

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Erstellt:
29. April 2023, 16:00 Uhr

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