Syrer im Albverein, Afghanen in der Zunft

Der Verein Kubus hat ein neues Projekt gestartet. Es soll Begegnungen zwischen Zugewanderten und Vereinen ermöglichen. Vereine können so neue Mitglieder gewinnen, für die Zugezogenen wird die Integration über gemeinsame Interessen erleichtert.

Mansour Niazi (aus Afghanistan) und Projektleiter Jochen Schneider (rechts) beliefern Jenny Wolf aus Weissach im Tal mit einer VR-Brille, frisch gebackenem afghanischen Brot sowie einer arabischen Süßspeise. Foto: privat

Mansour Niazi (aus Afghanistan) und Projektleiter Jochen Schneider (rechts) beliefern Jenny Wolf aus Weissach im Tal mit einer VR-Brille, frisch gebackenem afghanischen Brot sowie einer arabischen Süßspeise. Foto: privat

Von Kristin Doberer

WEISSACH IM TAL/BACKNANG/MURRHARDT. Mit „Gemeinsam. Begegnung gestalten“ gibt es ein neues Integrationsprojekt des Vereins Kubus. Das Ziel: Es sollen Begegnungen zwischen Menschen, Vereinen und Institutionen der Mehrheitsgesellschaft sowie zugewanderten Menschen ermöglicht werden. Ganz gezielt wenden sich die Organisatoren aber nicht an Fußballvereine – hier werde ohnehin schon sehr viel Integrationsarbeit geleistet –, sondern an ländliche Vereine, die bisher kaum Kontakt zu Geflüchteten hatten. Bereits dabei sind zum Beispiel der Albverein Weissacher Tal, die Stadtkapelle Murrhardt oder auch die Narrenzunft Murreder Henderwäldler. „Bei einer Kapelle oder einem Albverein, da ist Integration eben noch nicht Alltag“, sagt Jochen Schneider, der Projektleiter bei Kubus. „Wir wollen diese Vereine auch dabei unterstützen sich zu öffnen.“ Im Idealfall sei das eine Win-win-Situation für beide Seiten. „Die Vereine können neue Mitglieder und Ehrenamtliche gewinnen, die Geflüchteten haben mehr Kontakt zu Einheimischen.“ Viele wollen mehr Deutsche treffen, wissen aber nicht, wie sie das angehen sollen, erzählt der Projektleiter. Dabei soll sich das Projekt nicht ausschließlich auf Geflüchtete beziehen, sondern allgemein auf Eingewanderte von außerhalb Europas, die in den vergangenen Jahren angekommen sind. Die aktuelle Situation macht es aber besonders schwer, tatsächlich Begegnungen zu schaffen. Eingereicht hat Kubus das Konzept im März 2020. Dass es trotz der Pandemie geklappt hat, hat den Projektleiter selbst fast etwas überrascht und auch vor Herausforderungen gestellt. Diese wollen sie nun kreativ lösen.

Neue Kontakte durch gemeinsame Interessen.

Ursprünglich sollten die Begegnungen natürlich in Präsenz stattfinden, zum Beispiel in einem Vereinsheim. Zum Kennenlernen finden zunächst zwei Treffen statt. Bei dem einen stellt sich der Verein vor. Mitglieder zeigen eine Präsentation, Bilder oder Videos und erklären, was sie als Verein ausmacht und wie das Vereinsleben aussieht. Durch die Pandemie konnte das bisher nur online stattfinden. Als erster Verein hat sich der Albverein Weissach per Zoom vorgestellt. „Etwa sieben oder acht Familien haben sich per Video dazugeschaltet“, sagt Schneider. Für Personen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, waren Übersetzer dabei. „Die Familien waren angetan, gerade von den Familienwanderungen zum Beispiel, und wollen auch informiert werden, wenn wieder etwas stattfinden kann.“ Auch bekamen die Familien von Kubus vor dem Treffen schwäbische Rindermaultaschen und Brühe geliefert, während der Videobegegnung wurden zum Beispiel auch die Geschichte der Maultasche und verschiedene Zubereitungsmöglichkeiten erklärt. „Es kamen auch schon Vorschläge, dass man mal gemeinsam Maultaschen zubereitet, sobald die Regeln das wieder zulassen“, zeigt sich Schneider erfreut.

Für das zweite Treffen ist dann ein Gegenbesuch bei den Drittstaatenangehörigen vorgesehen. Dadurch sollen die Vereinsmitglieder mehr über deren Kultur und auch deren Weg nach Deutschland erfahren. Zum Beispiel könnten die Geflüchteten berichten, wie Feuerwehr in ihrem Herkunftsland funktioniert oder welche Freizeitgestaltungen es gibt, und zusätzlich könnte es Gerichte aus den Herkunftsländern geben. Da das aktuell nicht möglich ist, hat Schneider syrisches Brot und VR-Brillen an die Mitglieder des Albvereins verteilt. „Damit können diese einen afghanischen Jungen hautnah bei der Flucht begleiten und bekommen zumindest einen kleinen Einblick in die Welt der Geflüchteten.“

Im Anschluss soll es verschiedene Folgebegegnungen geben. Schneider nennt als Beispiel einen Kuchenverkauf, an dem es neben den typischen deutschen Kuchen auch türkische oder syrische Gebäcke geben könnte. Die Projektpartner Kubus und Lockstoff unterstützen dabei alle am Projekt Beteiligten bei der Vorbereitung und Durchführung sämtlicher Aktivitäten und der Moderation der Veranstaltungen. Auch stellen sie Übersetzer, wenn nötig. Bis zum Ende des Projekts sollen die Begegnungen zu Selbstläufern werden, interkulturelle Tandems könnten sich bilden. „Im Idealfall braucht es auch gar keine weitere Moderation. Im Idealfall werden die Drittstaatenangehörigen schlicht zu Vereinsmitgliedern. Dann gibt es bei den Landfrauen eben nicht nur Helga und Ingrid, sondern auch Zeynep“, sagt Schneider.

Gerade am Anfang muss Kubus viel moderieren. Zum einen sei das typische Vereinsleben, das in Deutschland zur Freizeitgestaltung gehört, in manchen anderen Kulturen schlicht nicht bekannt und zunächst fremd. „Klar spielt man auch in Syrien schon mal zusammen Fußball. Aber es fehlt das Verständnis für die Struktur und den Stellenwert des Vereins.“ Dabei sei gerade ein Verein oder eine Institution wie zum Beispiel die Feuerwehr eine gute Möglichkeit, um über gemeinsame Interessen neue Kontakte zu knüpfen und Vorurteile abzubauen. Zum anderen müsse Kubus aber gerade durch die Pandemie viel zusätzlich leisten. So waren Mitarbeiter vor der ersten Aktion bei den Familien und haben ihnen erklärt, wie Zoom eigentlich funktioniert. Geplant sind bereits einige weitere Begegnungen. Zum Beispiel wird sich am 19. Mai die Stadtkapelle Murrhardt vorstellen. Mit kleinen Videos werden die einzelnen Instrumente gezeigt. Wer Interesse hat, kann sich live dazuschalten. Auch gibt es erste Ideen zu einem gemeinsamen Projekt mit Via Backnang. Diese planen einen inklusiven Geocaching-Pfad in einfacher Sprache, durch die Ergänzung weiterer Sprachen können auch dort Begegnungen möglich werden.

Das Projekt „Gemeinsam. Begegnung gestalten“

Das Projekt soll an zwölf Standorten in der Metropolregion Stuttgart stattfinden. Aktuell beteiligen sich bereits einige Vereine, vor allem aus der Backnanger Bucht. Mit dabei sind bisher der Arbeitskreis Integration Auenwald, die Narrenzunft Murreder Henderwäldler, der Treffpunkt Mozartstraße in Fellbach, die Stadtkapelle Murrhardt, der Schwäbische Albverein Weissach im Tal und Via Backnang.

Weitere Vereine und Institutionen sollen noch folgen. Interessierte Vereine können sich an Kubus und den Projektpartner Lockstoff wenden. Diese organisieren dann die Begegnung. Format, Art und Inhalt finden ganz individuell und jeweils angepasst an die Gegebenheiten vor Ort sowie Wünsche und Vorstellungen der Beteiligten statt. Drittstaatenangehörige, die in der Gemeinde und Umgebung leben, werden dann über Integrationsbeauftragte angesprochen.

Aber es können auch Drittstaatenangehörige selbst Interesse an einer bestimmten Vereinstätigkeit äußern. Die Organisatoren würden dann passende Vereine kontaktieren und versuchen, eine Begegnung zu organisieren.

Finanziert wird „Gemeinsam. Begegnung gestalten“ durch Mittel des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union. Geplant ist ein Projektzeitraum bis Ende September 2022.

Weitere Informationen gibt es unter www.projekt-gemeinsam.de. Auf der Plattform können sich die Vereine in einem virtuellen Begegnungsraum präsentieren, dort gibt es Informationen zu anstehenden Veranstaltungen und Links zu den Videoübertragungen sowie Möglichkeiten zum Chatten mit automatischem Übersetzer in acht verschiedenen Sprachen.

Zum Artikel

Erstellt:
17. Mai 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
In Rudersberg hat ein Wolf zugeschlagen. Symbolfoto: Stock.adobe.com
Top

Stadt & Kreis

Tote Schafe in Rudersberg: Ein Wolf war’s

Ein Institut bestätigt nach einer genetischen Untersuchung einen Wolf als Verursacher der zwei toten Schafe in Rudersberg. Das bedeutet, der Wolf ist nun auch im Rems-Murr-Kreis vertreten – wenn das Tier nicht schon längst weitergezogen ist.

Stadt & Kreis

Afrikanische Rhythmen in Großerlach

Harald Hanne aus Neufürstenhütte unterrichtet seit über drei Jahrzehnten afrikanisches Trommeln. Über die Musik hat er seine Leidenschaft für die afrikanische Kultur entdeckt und seine Faszination dafür hält bis heute an.