Taugt Lämmle noch als Namensgeber?

Nach August Lämmle benannte Einrichtungen werden nach Bekanntwerden seiner Rolle in der NS-Zeit vielerorts umbenannt. Auch in Aspach und Kirchberg an der Murr gibt es eine Straße, die seinen Namen trägt.

Zahlreiche Straßen in Baden-Württemberg wurden nach dem Dichter August Lämmle benannt – so auch in Aspach-Rietenau. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Zahlreiche Straßen in Baden-Württemberg wurden nach dem Dichter August Lämmle benannt – so auch in Aspach-Rietenau. Foto: A. Becher

Von Lorena Greppo

ASPACH/KIRCHBERG AN DER MURR. Die Grundschulen in Leonberg, Kusterdingen, Ludwigsburg-Oßweil und Rudersberg-Steinenberg haben eines gemeinsam: Sie wurden einst nach August Lämmle benannt. In Leonberg, wo der schwäbische Mundartdichter, Autor und Heimatforscher vorübergehend gewohnt hatte, war Lämmle bis vor Kurzem sogar Ehrenbürger. Inzwischen aber beschäftigen sich viele Verwaltungen, Gemeinderäte und Einrichtungsleitungen intensiver mit ihrem Namensgeber und stellen sich vor allem eine Frage: Ist die Benennung nach August Lämmle noch zeitgemäß? Vielerorts hat man diese Frage angesichts neuester Forschungsergebnisse, die Lämmle als Hitler-Verehrer und Befürworter der nationalsozialistischen Rassenpolitik zeigen (siehe Infobox), mit Nein beantwortet. Die Stadt Leonberg hat Lämmle aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen und will zudem einen neuen Namen für die Grundschule suchen. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in Kusterdingen, wo der Gemeinderat die Namensänderung beschloss, sowie in Rudersberg (wir berichteten), wo sich der Ortschaftsrat Ende März dafür aussprach, die Steinenberger Schule umzubenennen – obwohl aus der Bürgerschaft auch kritische Stimmen hierzu kamen. Eine Entscheidung des Gemeinderats steht noch aus.

Eine Umbenennung der Straßen bedeutet für Verwaltung und Anwohner einen hohen Aufwand.

Und nicht nur die Benennung der Schulen wird überdacht, denn auch zahlreiche Straßen in Baden-Württemberg tragen den Namen des Heimatdichters. Auch in Aspach und in Kirchberg an der Murr befindet sich jeweils eine August-Lämmle-Straße. Die Diskussion um deren Benennung ist bislang aber nicht in die Mitte der Bürgerschaft gedrungen. „Ich habe es registriert, aber in Kirchberg war das bisher kein Thema“, sagt Bürgermeister Frank Hornek. Bestrebungen der Verwaltung, das zu ändern, gibt es momentan keine, das habe einen einfachen Grund: Unter anderem wegen der Coronapandemie habe man viele andere Aufgaben zu bewältigen, die dringender seien. „Als kleine Verwaltung haben wir nicht die Muße, zu überlegen, ob eine Straße, die seit 60 Jahren so heißt, jetzt umbenannt werden soll“, führt Hornek aus. Das bedeute allerdings nicht, dass das Thema nicht zu einem späteren Zeitpunkt noch aufgearbeitet werde, fügt er an. Aus der Bürgerschaft oder dem Gemeinderat seien jedenfalls noch keine Anfragen hierzu an ihn herangetragen worden, so der Bürgermeister. Das könne sich aber ändern, wenn es nun in der Zeitung thematisiert wird, mutmaßt er.

Auch in Aspach seien bisher keine Anfragen hierzu bei der Verwaltung eingegangen, berichtet Hauptamtsleiter Philip Sweeney. Angekommen sei das Thema dort aber schon und man plane auch, es in einer der kommenden Sitzungen des Gemeinderats zur Sprache zu bringen und über Vorgehensweisen zu diskutieren. „Unser Vorschlag ist es, ähnlich vorzugehen wie die Stadt Leonberg“, erklärt der Hauptamtsleiter. Über Plaketten oder ähnliche Zusätze solle klargestellt werden, wie Lämmles Rolle in Zeiten des Nationalsozialismus zu bewerten ist. „Gegen eine Umbenennung spricht der enorme Aufwand, den das bedeuten würde“, so Sweeney. Unter anderem müssten alle betroffenen Adressen neu vergeben werden, Änderungen in den Grundbüchern vorgenommen werden, zudem sind die Anwohner gezwungen, im Anschluss in zig Dokumenten ihre Kontaktdaten zu ändern und womöglich Verträge neu aufzusetzen.

Was sagt der Historiker Peter Poguntke, dessen Gutachten all jene Diskussionen hervorgerufen hat, eigentlich zur Sache? Als Namensgeber für eine Schule tauge der Dichter nicht, so der Historiker. Schließlich wird von Namensgebern öffentlicher Einrichtungen ein Vorbildcharakter erwartet. Die Beibehaltung von Straßennamen erachte er jedoch als relativ unproblematisch – zumal eine Umbenennung, wie erwähnt, für die Anrainer Schwierigkeiten birgt. In Kusterdingen hat der Gemeinderat eine Umbenennung der August-Lämmle-Straße beschlossen – trotz einer Unterschriftensammlung der Anwohner dagegen. Auch in Leonberg gibt es zwei nach dem Heimatdichter benannte Straßen. Sie sollen im Gegensatz zur Grundschule nicht umbenannt werden. Dort soll stattdessen über Lämmles NS-Vergangenheit aufgeklärt werden. Man wolle ein zusätzliches Erläuterungsschild anbringen, welches „die Verstrickungen des Heimatdichters in den Nationalsozialismus erklärt“.

Gutachten zeigt Lämmle als Verehrer Hitlers und der NS-Ideologie

August Lämmle wurde am 3. Dezember 1876 in Oßweil bei Ludwigsburg geboren. Er war ein schwäbischer Mundartdichter, Volkskundler, Volksschullehrer und Politologe. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm er die Cannstatter Volkshochschule und veröffentlichte schwäbische Redensarten, Sagen, Sprichwörter und Volkslieder. 1923 wurde Lämmle Kurator der Abteilung Volkstum am Landesdenkmalamt. 1939 bis 1946 war er Vorsitzender des Bundes für Heimatschutz in Württemberg und Hohenzollern. August Lämmle erhielt 1951 vom damaligen Land Württemberg-Baden den Titel „Professor“. Er verstarb am 8. Februar 1962 in Tübingen. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in Bad Cannstatt.

Ein Gutachten des Historikers Peter Poguntke im Auftrag der Stadt Leonberg, welches im Oktober vergangenen Jahres öffentlich gemacht wurde, beschäftigt sich vor allem mit der Rolle August Lämmles in der Zeit des Nationalsozialismus. Lämmle trat 1933 in die NSDAP ein, schon 1935 erkannte ihm das NSDAP-Gaugericht Württemberg-Hohenzollern aufgrund seiner Vergangenheit als Mitglied der Freimaurer jedoch „die Fähigkeit zur Bekleidung eines Parteiamtes“ auf Lebzeiten ab. „In der NS-Zeit stilisierte sich Lämmle – aus welchen Gründen auch immer –als bedingungsloser Anhänger der NS-Ideologie und des NS-Staates mit Adolf Hitler an der Spitze, ohne dass es für ihn die Notwendigkeit gegeben hätte“, schreibt Historiker Poguntke. Er bescheinigt Lämmle „beispiellosen Opportunismus“ und „blinde Führer-Verehrung“. Der Dichter bezeichnete Hitler unter anderem als „den gläubigsten und mutigsten Mann in der Geschichte der Deutschen“ und nannte ihn „Marschall Vorwärts, wie ihn die Weltgeschichte nicht kennt“. Zudem habe sich Lämmle der Rassenpolitik der Nationalsozialisten wohlgesonnen gezeigt und sprach sich für die „Beseitigung der Fremdstämmigen aus der Führung des deutschen Volkes und Staates“ aus. Am 21. Juni 1947 wurde Lämmle als „Mitläufer“ entnazifiziert und musste 2000 Reichsmark zahlen.

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Erstellt:
14. April 2021, 06:00 Uhr

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