Umsteigen des Klimas wegen

Ein Mitfahrstuhl und ein Lastentransport als alternative Mobilitätskonzepte – Aktionen des Weissacher Klimaschutzprojekts

Nachhaltigkeit soll gemeinsam erprobt werden – das ist das Ziel des Weissacher Klimaschutzprojekts. Nun haben sich die Verantwortlichen zwei neue Aktionen einfallen lassen, die neue Flexibilität in puncto Verkehr bieten: Ein Lastenfahrrad für den Transport von Einkäufen und einen Mitfahrstuhl, durch den Fahrgemeinschaften gebildet werden können.

Einkäufe vom Wochenmarkt Unterweissach mit dem Lastenfahrrad nach Hause bringen – das geht künftig. Silke Müller-Zimmermann vom Verein Klimaschutz konkret will das Angebot bekannter machen. Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Einkäufe vom Wochenmarkt Unterweissach mit dem Lastenfahrrad nach Hause bringen – das geht künftig. Silke Müller-Zimmermann vom Verein Klimaschutz konkret will das Angebot bekannter machen. Fotos: A. Becher

Von Hans-Christoph Werner

WEISSACH IM TAL. An der Bushaltestelle „Lindenplatz“ steht er, der Mitfahrstuhl. Es ist ein alter Stuhl. Silke Müller-Zimmermann hat ihn mit einer roten Rückenlehne versehen. Die Sitzfläche ist mit samtig-rotem Stoff ausgelegt. Die vorderen beiden Stuhlbeine stecken in Kinderturnschuhen. So fällt der Stuhl auf. Das soll er auch. Silke Müller-Zimmermann sichert den Stuhl mit einer Kette, denn er soll über Nacht nicht verschwinden. Wenn Fahrgäste an der Bushaltestelle warten, ist der Stuhl schnell verdeckt. Hier wird man sich noch Zusätzliches überlegen müssen. Es sei denn, alle wissen von dem Mitfahrstuhl.

Erläuternde Hinweise sind auf einem Hinweisblatt zu lesen, das an der Schutzwand der Haltestelle hängt. Wer sich auf den Stuhl setzt, zeigt an, dass er ins Rems-Murr-Klinikum mitgenommen werden möchte. Zumindest wollen die Initiatoren der Aktion mit diesem Fahrziel anfangen. Müller-Zimmermann formuliert etwas allgemeiner: „Der Stuhl soll einladen, sich daraufzusetzen und den Vorbeifahrenden zu zeigen, welches Fahrziel angestrebt wird. Nun kann der Fahrer denjenigen mitnehmen, wenn er das gleiche Ziel hat, oder einen kleinen Umweg zum eigenen Ziel in Kauf nehmen.“ Wobei, so fügt die Unterweissacherin gleich hinzu, nicht dem öffentlichen Personennahverkehr Konkurrenz gemacht werden soll. Aber das Klinikum ist mit Bus und S-Bahn (über Backnang) nur sehr umständlich zu erreichen. So kam man auf dieses Fahrziel. Es kann, wenn die Aktion angenommen wird, auch irgendein anderes Ziel sein.

Während Silke Müller-Zimmermann an der Bushaltestelle Rede und Antwort über die Aktion steht, fahren unablässig die Autos entlang der Stuttgarter Straße. In den meisten Fahrzeugen sitzt nur eine Person. Der Lärm ist groß, die Luft voller Abgase. Auch was die Mobilität angeht, muss sich etwas ändern. Im Aktionsplan der Gemeinde Weissach zum Projekt ist der Satz zu lesen: „Eine Veränderung des persönlichen Verhaltens sehen wir für eine zukunftsfähige und ökologisch bewusste Kommune als unabdingbar an.“

Heute fahren die meisten Menschen allein im Auto

Dem Weissacher Klimaschutzprojekt geht es um solche Verhaltensänderung hin zu mehr ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit gerade auch im ländlichen Raum. Solche Nachhaltigkeit soll nicht von oben verordnet, sondern gemeinsam entdeckt und erprobt werden. Jeder kann sich beteiligen. Etwa wenn er mit dem Auto unterwegs ist und jemanden auf dem Mitfahrstuhl sitzen sieht.

Die Ideen der Weissacher Bürger wurden im Rahmen des Klimaschutzprojekts bei einem Informationsabend im November 2018 abgefragt. Daraus ergaben sich sieben Handlungsfelder: Energie, Bauen, Wirtschaft, Konsum, Ernährung, Umgang mit Ressourcen wie auch Mobilität. Aus diesen Ideen hat die Projektgruppe einen Aktionsplan erstellt. Er wird (siehe Info-Box) den Bürgern im November dieses Jahres vorgestellt. Der Mitfahrstuhl soll „Appetit machen“, sich zu beteiligen. Er sei, so Müller-Zimmermann, ein „sichtbares Zeichen. Da geht was. Wir fangen an, die Sache umzusetzen, die wir mit den Bürgern erarbeitet haben.“ Tina Unold, mit dabei beim Klimaschutzprojekt, fügt hinzu: Das sei vor 70 Jahren eben noch anders gewesen. Da habe der Karle, so ein fiktives Beispiel, der schon einen VW-Käfer sein Eigen nannte, eben angehalten, wenn er Martha hilflos am Straßenrand stehen sah, und gefragt, wohin sie wolle. Heute haben viele ein Auto, doch gefahren wird meist alleine. So ist der Mitfahrstuhl Training für ein neues Miteinander. Und für eine andere Art der Mobilität.

Immer am Freitag stehen neben dem Rathaus zwei Obst- und Gemüsestände sowie ein Molkereiprodukte- und ein Metzgerwagen. Hier schließt eine andere Idee des Klimaschutzprojekts an. Vor allem ältere Leute haben Mühe damit, größere Einkäufe nach Hause zu bringen. Silke Müller-Zimmermann steht mit ihrem Fahrrad bereit. Hinten am Fahrrad ist ein Transportanhänger befestigt. Ein Schild gibt über diese Idee des Klimaschutzprojekts Auskunft: Markteinkaufheimbringservice. Nur wenige der Marktkunden beachten das Schild. Müller-Zimmermann weiß, dass nicht nur diese Idee, sondern überhaupt alles am Klimaschutzprojekt nur über gute Kommunikation funktioniert. Man muss die Ideen vorstellen, die Hintergründe erläutern, zum Mitmachen ermutigen. Und so geht Silke Müller-Zimmermann auf die Leute zu, spricht sie an, weist auf diese Möglichkeit hin. Die Angesprochenen hören geduldig zu, verstehen das Anliegen, haben aber meist keinen Bedarf. Müller-Zimmermann lässt sich nicht entmutigen, geht auf den Nächsten zu. Immer wieder erwähnt sie: Man müsse solidarisch denken, miteinander sprechen. Warum nicht moderne Kommunikationstechnik einsetzen? Vielleicht ist das sogar das Bedeutendste am Klimaschutzprojekt: dass man sich abspricht, wie man den Klimaschutz voranbringen will.

Eine junge Frau gesellt sich zu den an der Bushaltestelle Wartenden. Langes blondes Haar, Sonnenbrille und Telefon am Ohr. Sie entdeckt den roten Mitfahrstuhl. Als sie den Text auf dem Informationsblatt gelesen hat, winkt sie ab. Sie will offenbar nicht ins Klinikum. Aber vielleicht stehen ja bald viele Stühle und die Autofahrer halten zuhauf und man vereinbart gemeinsam, wer wen wohin mitnimmt. So könnte es gehen.

Das vom Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz geförderte Klimaschutzprojekt soll in einem Zeitrahmen von vier Jahren Ideen und Aktionen entwickeln, die zu einer Verhaltensänderung führen. Dazu sind entsprechende Finanzmittel genehmigt worden.

Auf dem Mitfahrstuhl sitzend können Fahrgäste signalisieren, dass sie gerne zum Klinikum in Winnenden mitgenommen werden möchten.

© Pressefotografie Alexander Beche

Auf dem Mitfahrstuhl sitzend können Fahrgäste signalisieren, dass sie gerne zum Klinikum in Winnenden mitgenommen werden möchten.

Info
Aktionsplan für Weissach

Im Rahmen des Projekts „Klima Wandeln – Prima Handeln“ wurde vom Verein Weissach Klimaschutz konkret zusammen mit den anderen Projektpartnern ein Aktionsplan für die Gemeinde Weissach erstellt. Der wird allen Bürgern vorgestellt am Freitag, 15. November, um 18.30 Uhr im Klima-Kulturzentrum, Welzheimer Straße 43. Auf dem Programm stehen eine Lesung von Joy Kerstin Fydrich, diverse Grußworte, die Vorstellung des Aktionsplans und des Aktionslogos sowie Diskussionsrunden zu den verschiedenen Aktionsfeldern. Ende gegen 21 Uhr.

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Erstellt:
5. November 2019, 06:00 Uhr

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