Volkskrankheit Kopfschmerz

251 verschiedene Arten von Kopfschmerzen hat die Internationale Kopfschmerzgesellschaft klassifiziert. Der morgige Weltkopfschmerztag ruft dazu auf, diese nicht einfach hinzunehmen. Die vielschichtigen Krankheitsbilder wie etwa Migräne werden von Außenstehenden oft belächelt.

Die Beschwerden können vielfältig sein. Selbst Wortfindungs- und Sehstörungen können bei Migräne auftreten. Foto: Adobe Stock/sebra

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Die Beschwerden können vielfältig sein. Selbst Wortfindungs- und Sehstörungen können bei Migräne auftreten. Foto: Adobe Stock/sebra

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Etwa 50 Prozent der Erwachsenen und 20 Prozent der Kinder zwischen acht und 16 leiden darunter – wiederkehrende Kopfschmerzen. Die Auslöser der Schmerzen sind vielfältig. Manches lässt sich gut behandeln, doch für viele Betroffene bedeutet es einen langen Leidensweg, bis endlich die optimale Behandlungsmethode gefunden ist. Ein Beispiel für diese komplexen und oft sehr heftigen Schmerzen, die bis zur teilweisen Berufsunfähigkeit führen können, ist die Migräne.

Vielschichtige Krankheitsbilder werden von Außenstehenden oft belächelt. So erging es früher, und teilweise auch heutzutage noch, gern auch Migränepatienten. Etwa 7 Prozent der Männer und etwa doppelt so viele Frauen leiden an dieser Krankheit. Schon bei Schulkindern kann sie auftreten. Die Ursachen und Ausprägungen können dabei von Person zu Person verschieden sein, was eine Behandlung erschwert. Denn was dem einen guttut, kann die Attacken beim anderen verschlimmern.

Birgit E. aus dem Raum Backnang leidet seit Kindheit an Migräneattacken. Früher hatte man keine Erklärung für ihre heftigen Schmerzattacken, die gelegentlich von starker Übelkeit und Erbrechen begleitet wurden, denn ihre Beschwerden wurden, abgesehen von den Kopfschmerzen, nicht als Migränemerkmale erkannt. So reagiert sie sehr empfindlich auf Gerüche, bis hin zur Übelkeit. Zudem können Wortfindungs- und Sehstörungen auftreten. Erst im Erwachsenenalter kam man darauf, es mit Triptanen zu versuchen. Diese helfen der 43-Jährigen gewöhnlich beim akuten Anfall, der in der Regel drei Tage dauern kann. Aber: „Nicht jeder Anfall ist wie der andere.“

Regelmäßiges Schlafen und Essen hilft

Auch die Häufigkeit der Attacken variiert – manchmal ist sie drei Monate beschwerdefrei, manchmal erleidet sie diese wöchentlich. „Hilfreich ist regelmäßiges Essen und Schlafen“, hat sie herausgefunden. Im Urlaub und an den Wochenenden ist es jedoch nicht immer einfach, diese Regelmäßigkeit einzuhalten. Zur Prophylaxe nimmt sie jeden Tag Betablocker ein, im akuten Fall greift sie zu Triptanen. „Ganz weg ist es nicht, aber es ist dadurch wesentlich besser geworden“, hat sie festgestellt. Allerdings ist bei der Anwendung Vorsicht geboten – zu häufige Medikamenteneinnahme kann nämlich wiederum zu medikamentenbedingten Kopfschmerzen führen.

„Man weiß noch nicht ganz genau, wo die Migräne herkommt, sie hat jedoch eine starke erbliche Komponente“, erklärt Gunnar Gmehling, Neurologe im Gesundheitszentrum Backnang. Ein Anamnesegespräch klärt im Großteil der Fälle bereits, ob es sich bei heftigen Attacken tatsächlich um Migräne handelt. Häufig beginnen die Attacken in der Pubertät, sie können im Alter zwischen 60 und 70 Jahren nachlassen. Dass Frauen eher betroffen sind oder die Migräne stärker spüren, liegt auch an stärkeren Veränderungen ihres Hormonspiegels im Vergleich zu Männern. „Zum Glück hat sich mittlerweile herumgesprochen, was Migräne eigentlich ist und dass man es nicht einfach als Ausrede für Unpässlichkeit verwendet“, sagt der Neurologe.

Viele Menschen wüssten auch gar nicht, dass sie Migräne haben, da die klassischen Symptome, bis auf den starken Kopfschmerz, fehlen. Er empfiehlt drei Möglichkeiten, um die Krankheit möglichst gut in den Griff zu bekommen. Zunächst auf einen möglichst regelmäßigen Schlaf- und Essensrhythmus zu achten und eventuell als Pillenanwenderin auch die Verhütungsmethode zu ändern. Bei der akuten Attacke sollten rechtzeitig Schmerzmittel eingenommen werden. In schweren Fällen sollte man prophylaktisch vorgehen. Doch auch wenn einem Großteil der Patienten durch diese Möglichkeiten geholfen werden kann – ganz wegbekommen wird man die Migräne nicht.

Neben medikamentöser Behandlung haben sich weitere Methoden als vielversprechend gezeigt. Eine davon ist das Neurofeedback nach Othmer, wie es beispielsweise Heilpraktikerin Annette Hebgen aus Backnang anbietet. Dabei handelt es sich um ein computergestütztes Trainingsfeedback, das die ganz persönliche „Regenerationsfrequenz“ des Gehirns stimuliert. Hirnwellen schlagen in unterschiedlichen Frequenzbereichen aus, man kann so anhand eines EEGs erkennen, ob die Person gerade an Stress leidet oder entspannt ist. „Haben wir etwa beim Einschlafen zu viele Stresswellen, wird uns das nur schwer gelingen“, erläutert die gelernte Krankenschwester. Bei der Methode lernt das Gehirn völlig entspannt, seinen eigenen Regenerationsmechanismus wieder zu benutzen.

Das Gehirn ist kontinuierlich damit beschäftigt, Reize zu verarbeiten

Ursachen In einer weltweiten Migränestudie wurde 2016 herausgefunden, dass 44 Genvarianten auf 38 Genen ein erhöhtes Risiko bilden, an Migräne zu erkranken, denn sie beeinflussen, wie stark der Körper auf Reize reagiert. Das Gehirn ist kontinuierlich damit beschäftigt, Reize zu verarbeiten, und benötigt dafür viel Energie. Erhält das Gehirn zu wenig Energie, kann eine Migräneattacke ausbrechen, lautet eine Theorie. Vermutlich weitet das Molekül Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) die Blutgefäße und erhöht die Schmerzempfindlichkeit der Gefäßhäute. Das könnte zu Entzündungen führen, die wiederum den heftigen Schmerz auslösen. Auslöser der Migräneattacken sind häufig bestimmte individuelle Trigger wie Nahrungsmittel, Stress, Angst, Depressionen.

Medikamente Seit 1993 werden Triptane gegen die Schmerzattacken eingesetzt. Sie ähneln dem Botenstoff Serotonin und verengen die Blutgefäße. Doch die Wirkung kann sich im Laufe der Zeit abschwächen. Zudem sollte man sie nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat nehmen, da es sonst zu einem chronischen medikamentenbedingten Kopfschmerz kommen kann. Seit 2018 ist Erenumab auf dem Markt. Es handelt sich um einen Antikörper, der die Wirkung von CGRP hemmt und sich als verträglich und relativ nebenwirkungsarm gezeigt hat. Er wird als monatliche Spritze verabreicht. Allerdings ist der Wirkstoff sehr teuer und wird daher häufig nur von den Krankenkassen verschrieben, wenn andere Behandlungsmethoden nicht mehr weiterhelfen. Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bei chronischer Migräne ist Botox, das alle drei Monate in die Kopfhaut gespritzt wird. Bei besonders schweren und häufigen Attacken wird eine durchgängige Prophylaxe empfohlen wie mit Betarezeptorenblockern, Antikonvulsia oder Antidepressiva.

Prophylaxe Empfohlen wird ein geregelter Tagesablauf mit regelmäßigen Essens- und Schlafenszeiten. Entspannungsmethoden, Ausdauersport, Akupunktur, Biofeedback sind weitere zusätzliche Hilfsmittel. Anhand eines Migränetagebuchs lassen sich mögliche Auslöser erkennen und vermeiden. In besonders schweren Fällen empfiehlt sich der Aufenthalt in einer Schmerzklinik. Allerdings gibt es in Deutschland nur zwei davon, eine in Kiel, eine in Königstein.

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Erstellt:
4. September 2021, 06:00 Uhr

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