Von Nord nach Süd zu Fuß durch die Stadt

14 Stationen hat Frank Nopper bei seinem fünften Gemarkungslauf auf dem Programm. Der OB erfährt, wie unterschiedlich eine Textilmanufaktur und Tanzschule sowie ein Hotel, Krämerladen und Bettenhaus die Auswirkungen von Corona gespürt haben.

Stefan Krämer (Mitte) regt an, vor seinem Unverpacktladen in der Uhlandstraße 27 einen Bügel zum Abstellen von Fahrrädern aufzustellen. OB Frank Nopper (rechts) und der Leiter des städtischen Baubetriebshofs Roland Stampfl (links) wollen die Idee gerne aufgreifen und prüfen lassen. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Stefan Krämer (Mitte) regt an, vor seinem Unverpacktladen in der Uhlandstraße 27 einen Bügel zum Abstellen von Fahrrädern aufzustellen. OB Frank Nopper (rechts) und der Leiter des städtischen Baubetriebshofs Roland Stampfl (links) wollen die Idee gerne aufgreifen und prüfen lassen. Fotos: J. Fiedler

Von Florian Muhl

BACKNANG. Wo drückt Leuten aus den verschiedensten Lebensbereichen in der Stadt Backnang der Schuh? Das herauszufinden, ist vorrangig das Ziel der jährlichen OB-Tour, die Nopper gestern zum fünften Mal in Folge ist beging. Beim Besuch der Firma Lochmann Berufsbekleidung (Sulzbacher Straße 178) wird gleich deutlich, dass der Schuh dort coronabedingt gewaltig gedrückt hat. Als die Pandemie begann, haben die beiden Geschäftsführer Michél Lochmann und seine Frau Marion sofort reagiert. Die beiden haben realisiert, dass Deutschland ein Maskenproblem hat. Innerhalb weniger Wochen produzierte Lochmann Stoffmasken. Dazu brauchte er Schrägband und wandte sich an einen Hersteller. Dieser meinte, er habe davon nur 100-Meter-Rollen, ob das zu viel wäre? Lochmann schmunzelte und sagte: Ich brauche davon 50 Kilometer. Der Band-Hersteller begann daraufhin, für Lochmann zu produzieren. Der Verkauf von Masken – Einwegprodukte führt er aus China ein, FFP2- und FFP3-Masken kommen aus Polen und Tschechien – hat Lochmann gerettet, denn die Nachfrage nach Berufsbekleidung war zwei Monate lang auf fast Null zusammengeschrumpft. „Wir haben viel in neue Maschinen investiert, das war schon ein hohes Risiko“, sagt der Geschäftsführer. „Wenn’s nicht funktioniert hätte, wäre ich platt.“ Alle Maschinen zusammengerechnet kommt er auf einen Wert von Million Euro.

Durch die Pandemie hat Michél Lochmann gelernt, flexibel zu arbeiten. Beispiel: Mäntel für den medizinischen Bereich. Davon hat er an die Rems-Murr-Kliniken 400 Stück verkauft. „Früher bin ich mit meinen vier Mänteln zum Kunden gefahren und hab’ gefragt: Welchen wollen Sie? Heute ist’s anders herum. Heute sagt mir der Kunde, wie der Mantel aussehen soll.“ Durch die Pandemie habe er angefangen, selbst zu produzieren. Derzeit kann er nicht klagen. Vor drei Jahren hatte er neun Mitarbeiter, jetzt sind es 18. 15 in Backnang und 3 in Sulzbach. Nopper muss lachen, als er einen Aufnäher sieht: „Made in Backnang und Umgebung.“ Lochmann kommentiert stolz und schmunzelnd zugleich: „Das Logo habe ich mir schützen lassen.“

Jetzt werden vom Bauhoffahrzeug die beiden E-Scooter abgeholt, mit denen Nopper und Bauhofleiter Roland Stampfl am frühen Morgen von Strümpfelbach aus übers Gewerbegebiet Lerchenäcker in die Sulzbacher Straße gefahren waren. In Strümpfelbach hatten sie Obstbau Körner besucht. Das Verwaltungsduo hat erfahren, dass Martin Körner auf elf Hektar ausschließlich Äpfel anbaut, und zwar acht verschiedene Sorten. Just in dem Moment, als Körner berichtet, dass die Ernte vor drei Wochen begonnen habe und in diesem Jahr gut sei, fährt ein Auto auf den Hof. Fünf Erntehelfer aus Rumänien sind eingetroffen, die jetzt in den kommenden neun Wochen fest mit anpacken werden.

Im Hotel Murrtal in der Talstraße 45 wartet Geschäftsführerin Angelika Endres mit einem leckeren Frühstück auf den OB und seine Begleiter. Seit 2006 leitet sie die Herberge der Drei-Sterne-Kategorie, die über 36 Zimmer und 61 Betten verfügt. Ursprünglich hat sie in Stuttgart mit Stahl gehandelt. Als sie in diesem Job keine Zukunft mehr sah, orientierte sie sich um. „Ich wollte mal was ganz anderes machen.“ Über einen Freund kam sie zur Hotelbranche. „Das hätte ich schon vor 30 Jahre machen sollen. Das macht so viel Spaß“, strahlt die 66-Jährige. Doch im kommenden Jahr nimmt sie Abschied und geht in den Ruhestand. Eine Hotel-Gruppe, die Taste-Group, wird das Hotel an der Murr übernehmen.

Die Coronapandemie hat das Hotel hart getroffen. Überwiegend sind es Geschäftsleute, die dort übernachten. 65 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland. Das war vor Corona. Jetzt kommt niemand mehr. Auch große Veranstaltungen wie Hochzeiten, runde Geburtstage und Konfirmationen werden nicht mehr im Hotel gefeiert. Abgesagt ist auch das Andrea-Berg-Heimspiel. „Wir hatten hier vier Tage lang volles Haus, doppelte Belegung während des Konzerts.“ Dieser Ausfall, der habe sehr weh getan. Endres musste einigen Mitarbeitern kündigen. Andere sind in Kurzarbeit. Wenn nicht die Arbeiter, die die Hochwasserschutzmaßnahmen in der Talstraße erstellen, bei ihr gewohnt hätten, und auch die, die gerade mit dem Bau der Eisenbahnbrücke in Burgstall beschäftigt sind, hätte sie wohl nicht überleben können. Aber sie blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.

Nopper erinnert noch daran, dass das Hotel, das es seit 1993 gibt, ja ursprünglich „Rems-Murr-Hotel“ hieß. Als er nach Backnang kam, habe er bei einem Termin die damalige Geschäftsführerin ermahnt: „Die Rems fließt hier nicht!“ Daraufhin sei 2006 der Name geändert worden in den jetzigen.

Fast ganz ohne Verpackungen läuft alles im Krämerladen Unverpackt ab. Stefan Krämer wäre um ein Haar der Erste gewesen, der im Rems-Murr-Kreis einen Unverpacktladen eröffnet. Das war am 9. Mai diesen Jahres. Doch um ganze vier Tage kam ihm Larissa Berger in Schorndorf zuvor. Krämer nimmt’s gelassen. Seit seinem Start, der in die Coronazeit fiel, erweitert er stetig sein Sortiment. „Was geht am besten“, fragt Nopper neugierig. „Nussecken und Knödelkult“, antwortet Krämer spontan, erntet irritierte Blicke und erläutert: „Knödelkult, das sind fertige Semmelknödel aus 100 Prozent gerettetem Brot im Glas.“ Schade findet er bei diesem Konzept des Knödel-Start-ups aus Konstanz, dass es sich nicht um Pfandgläser handelt. Aber wenigstens Glas. Krämer zeigt die Waage, auf denen Kunden zunächst ihre leere Verpackung wiegen, denn dieses Tara-Gewicht wird dann an der Kasse vom Gesamtgewicht abgezogen, egal, ob es sich beim Einkauf um Nudeln oder Nüsse, Essig oder Öl handelt. Bei seinem Angebot schaut der Ladenbesitzer auf Regionalität. Weite Anfahrtswege mag er nicht. So kommt sein Saft von Streker aus Aspach und sein Bier von Tälesbräu aus Unterweissach.

Dann dreht Krämer den Spieß um und wendet sich an den Oberbürgermeister mit Fragen und Anregungen. Viele seiner Kunden kämen mit dem Fahrrad und würden ihr Rad gegen den kleinen Baum vor den Laden lehnen. Ob man nicht einen Bügel installieren könnte. Nopper gefällt die Idee und lässt diese prüfen. Bei der zweiten Frage, ob denn der Steinbrunnen, aus dem kein Wasser mehr kommt, wieder reaktiviert werde, wird der OB nachdenklich. In der Tat, dieser Brunnen sieht trostlos aus. „Irgendwie verwaist, Herr Stampfl...?“ Der Bauhofleiter sagt, dass der Brunnen immer wieder kaputt gewesen und deshalb bereits ein Teil abmontiert worden sei. Doch Nopper war’s ganz arg. Man solle doch auch in dieser Hinsicht noch mal schauen, was möglich sei. Letzter Punkt war das Thema Barrierefreiheit, denn zum Laden führen drei Stufen hoch. Stampfl sagte einen Besichtigungstermin zusammen mit Baudezernent Stefan Setzer zu. Krämer ist sichtlich zufrieden.

An der Baustelle Gerberstraße haben Frank Braun, Geschäftsführer des Backnanger Ingenieurbüros Frank, und Projektleiter Olaf Platte vom städtischen Tiefbauamt Erfreuliches zu berichten. Ein Dehnungsfugenband sei noch zu verlegen, dann könnte man in etwa zwei Wochen die Aspacher Brücke für den Verkehr freigeben. Der Kreisverkehr sei bereits seit Mittwoch komplett befahrbar. „Ich bin bereits probegefahren – butterweich“, kommentiert Nopper. Was dort in die Mitte hineinkommt, zeigt Braun auf einem Plan. Es ist ein Kunstwerk aus Metall, das stilisiert vier Flügel darstellen soll. Es fehlt auch noch die Möblierung, das heißt, es werden noch einige Bänke aufgestellt. „Im Oktober können wir nach zwei Jahren Bauzeit die Baustelle abschließen“, kündigt Braun an.

Martin Windmüller vom Betten- und Wäschehaus Windmüller findet es „herausragend und großzügig“, was sich vor seiner Tür getan und verändert hat. „Der helle Bodenbelag gibt dem ganzen Quartier eine freundliche Anmutung. Dann wird er ernst und berichtet vom Lockdown. Viereinhalb Wochen, vom 16. März bis 20. April hatte er geschlossen, seine ganze Mannschaft zu 100 Prozent in Kurzarbeit, mit Ausnahme des Auslieferers, der zu 50 Prozent arbeitete. Als Inhaber konnte er selbst nicht in Kurzarbeit gehen. „In dieser Zeit habe ich als Einzelkämpfer so viel geschafft, wie noch nie.“ Und auch für wenigstens etwas Umsatz gesorgt. „Und dann, nach der Öffnung, ist was Erstaunliches passiert“, berichtet Windmüller weiter. „Die Kunden kamen sehr zögerlich, die Frequenz sehr schwach, aber der Umsatz war so hoch wie vor Corona. Das heißt: Wenige Leute haben mehr Geld ausgegeben.“ Der Geschäftsmann kann sich das so erklären, dass viele Bürger das Geld, das sie durch den ausgefallenen Urlaub zur Verfügung hatten, unter anderem bei ihm ausgegeben haben. Allerdings nicht für alle Produkte. Bei Wäsche und Bademoden hat er noch immer starke Einbußen. Die werden aber mehr als kompensiert durch den Verkauf im Obergeschoss. Dort gibt’s alles rund ums Bett. Und da habe sich auch die Senkung der Mehrwertsteuer positiv ausgewirkt. Für seine Kunden war die Ersparnis spürbar. Aus diesem Grund habe er etwas Angst vor dem Januar, wenn die Mehrwertsteuer wieder auf den alten Satz angehoben wird. Er erwartet ein Umsatzloch.

Weil Windmüller auch ein Reisebüro im Haus hat, kommt er auf dieses Thema zu sprechen. „Die Branche hat es ja ganz dramatisch erwischt.“ Noch sei von einer Erholung keine Spur. Denn wenn Kunden wieder gebucht hätten, könnten sie wegen der erneuten Reisewarnungen wieder stornieren. Das heißt, die Mitarbeiter im Reisebüro hätten erst das Geschäft und dann keine Einnahmen.

Die beiden Tanzlehrer Marc Sailer und seine Frau Natalie Horoba können langsam aufatmen. In der Dance Intense Factory in der Fabrikstraße darf wieder getanzt werden. Allerdings haben die beiden von ihren 500 Schülern vor Corona jetzt 150 verloren. Das bedeutet, es gibt auch Einnahmeverluste. Und jetzt sind Ferien. Zeit für Umbaumaßnahmen. Am Wochenende wird abgeklebt, ab Montag gestrichen. Sailer erinnert sich an die ersten Corona-Verbote. „Am Anfang war’s richtig schlimm.“ Im großen Tanzsaal durften anfangs nur maximal elf Personen tanzen, bei einem Abstand von zwei Metern, unten im EG höchstens neun. Jetzt sind oben 20 Personen zugelassen. Noch schlimmer sind die Tanzschulen dran, die Gesellschaftstänze anbieten, aber die gibt’s bei ihm nicht. Bei Sailer wird Hip-Hop großgeschrieben. „Unsere Jüngsten sind drei Jahre alt, unsere ältesten Ende 60.“ Er freut sich über den Standort in der Fabrikstraße. Er ist abgelegen und man störe niemanden. Wo in den 80ern und 90ern die TSG Judo trainierte und sich noch früher die Kantine der Lederfabrik Kaess befand, wird jetzt Showtanz für deutsche und europäische Meisterschaften trainiert.

Weitere Stationen waren das Restaurant Merlin (Eberhardstraße), die Baustelle Kronenhöfe (Eduard-Breuninger-Straße), die Baustelle Maubacher Straße, die Kita Heininger Weg und die Baustelle Zweiradcenter Urban (Weissacher Straße). Zudem ging Nopper noch auf Streife mit Bernd Bracher und Eckhard Gromer vom Vollzugsdienst sowie mit der Polizei in der Oberen Walke und Innenstadt. Begleitet wurde der OB auch von seinem älteren Sohn Carl-Alexander und dem Studenten Julian Kurwan. Beide machten Fotos und Videos. Nopper Fazit war positiv. Er habe keine depressive Stimmung erlebt. Es herrsche fast überall Aufbruchstimmung und Optimismus. „Es tut sich unheimlich viel in Backnang. Wenn alle Bauarbeiten erledigt und die vielen Baustellen weg sind, bringt das die Stadt einen unglaublichen Schritt nach vorn. Backnang ist eine Boomtown, das konnten wir heute geballt sehen.“

Michél Lochmann hat nach Einbruch der Pandemie alles auf ein Karte gesetzt und Masken gefertigt.

© Jörg Fiedler

Michél Lochmann hat nach Einbruch der Pandemie alles auf ein Karte gesetzt und Masken gefertigt.

Angelika Endres, Inhaberin des Hotels Murrtal, kann trotz starker Einbußen noch Lachen.

© Jörg Fiedler

Angelika Endres, Inhaberin des Hotels Murrtal, kann trotz starker Einbußen noch Lachen.

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Erstellt:
28. August 2020, 06:00 Uhr

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