Nentwich im Interview: „Windkraft wird zum Wirtschaftsfaktor“

Interview Der Grünen-Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich kann die Skepsis in vielen Gemeinden gegenüber Windrädern nicht verstehen. Statt über „Verspargelung“ und „Umzingelung“ würde er lieber über die Chancen reden, die erneuerbare Energien aus seiner Sicht bieten.

Nentwich im Interview: „Windkraft wird zum Wirtschaftsfaktor“

Von den 24 Vorranggebieten für Windkraft, die der Verband Region Stuttgart für den Rems-Murr-Kreis vorschlägt, befinden sich 17 in Ihrem Wahlkreis. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Region?

Ich finde es eine sehr, sehr gute Nachricht. Das obere Murrtal könnte zu einem Eldorado für grüne und erneuerbare Energien werden. Das ist unter mehreren Aspekten positiv zu sehen. Zum einen können wir durch unseren Beitrag die erneuerbaren Energien stark voranbringen. Zum anderen wird Windkraft künftig auch ein Wirtschaftsfaktor sein. Windkraft ist eine der günstigsten Formen der Energieerzeugung. Wenn ich als Gemeinde per Contracting den Firmen und meinen Bürgerinnen und Bürgern günstigen Strom anbieten kann, dann habe ich in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil. Das wird die Wirtschaftskraft im oberen Murrtal stärken.

In den vergangenen Jahren ist der Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg nur schleppend vorangegangen. Vom Ziel, bis zur nächsten Landtagswahl 1000 Windräder zu bauen, hat sich Ministerpräsident Kretschmann längst verabschiedet. Wann nimmt die Energiewende endlich Fahrt auf?

Ich glaube, wir haben sehr viel dafür getan, zum Beispiel mit der Taskforce Windenergie oder mit dem Flächenziel für unseren eigenen Staatsforst. Diese ganzen Mechanismen fangen jetzt an zu wirken, wenn auch nicht immer so schnell, wie man sich das wünscht. Rund 450 Windräder haben wir aktuell aber schon in der Pipeline.

Von den ersten Plänen bis zu dem Tag, an dem sich ein Windrad dreht, vergehen aber noch immer Jahre. Allein für das Genehmigungsverfahren und die Erstellung aller notwendigen Gutachten rechnen die Betreiber mit einer Dauer von zwei Jahren. Erst dann können sie die Anlage bestellen und bauen, was weitere zwei Jahre dauert. Warum geht das nicht schneller?

Weil wir in einem Land leben, in dem wir die Bürgerschaft mitnehmen und das Für und Wider eines Standorts sauber abwägen wollen. Aber ich gebe Ihnen vollkommen recht: Wir sind insgesamt, was unsere Bürokratie angeht, leider immer noch zu träge. Wir haben es zwar bereits geschafft, dass die Dauer eines solchen Prozesses halbiert wurde, Ziel wäre es aber, das noch mal zu halbieren.

Moderne Windräder haben eine Höhe von bis zu 285 Metern, der Stuttgarter Fernsehturm ist nur 217 Meter hoch. Passen solche Ungetüme in den Schwäbischen Wald?

Wir sollten uns eher die Frage stellen: Gibt es den Schwäbischen Wald noch, wenn wir keine Windräder bauen und nicht konsequent auf die Erneuerbaren setzen? Unser Wald ächzt ja jetzt schon enorm unter dem Klimawandel. Es tut weder der Natur noch dem Umweltschutz gut, wenn wir jetzt noch weitere Verzögerungen hinnehmen. Zum anderen sehe ich Windkraft auch als eine Art Brückentechnologie für die nächsten 25 Jahre. Das Landschaftsbild ist für mich daher eher zweitrangig. Abgesehen davon glaube ich, dass der Blick auf Windräder auch ein Stück weit Gewohnheit ist. Wenn ich im Urlaub im Schwarzwald auf dem Rohrhardsberg bei Schonach stehe, dann habe ich um mich herum lauter Windräder. Die stören mich aber nicht, sondern ich sehe sie als Teil der Landschaft an.

Auch der Wald trägt als CO2-Speicher zum Klimaschutz bei. Ist es nicht widersinnig, Bäume zu fällen und dafür Windräder zu bauen?

Wir sprechen von 0,5 Hektar pro Windrad, die dort versiegelt werden. Diese müssen an anderer Stelle wieder aufgeforstet werden. In den Bereichen, wo hier in der Region Windräder geplant sind, habe ich mit den Förstern gesprochen und die sagen auch: Auf diesen Flächen kann man es machen. Aber natürlich ist der Bau eines Windrads immer ein Eingriff in die Natur, der auch mir wehtut. Ich komme ja selbst aus dem Naturschutz. Trotzdem liegt die Priorität für mich derzeit auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien.

Windräder im Wald sind aber auch unter Naturschützern umstritten. Die Landesvorsitzende des Nabu in NRW hat kürzlich erklärt, sie halte Windenergie in Laub- und Mischwald für keine gute Idee. Sie waren selbst lange im Nabu aktiv. Teilen Sie diese Bedenken nicht?

Natürlich muss man beim Natur- und Artenschutz sensibel rangehen. Das ist ja auch der Sinn der Vorranggebiete, dass man Flächen auswählt, die besser geeignet sind als andere. Und natürlich müssen diese Themen auch im Genehmigungsverfahren sauber abgeklärt werden. Parallel dazu haben wir auch Artenhilfsprogramme gestartet in enger Kooperation mit den Naturschutzverbänden. Aber wenn im Schwarzwald darüber diskutiert wird, ob Windräder das Auerhuhn gefährden, dann sage ich: Wenn wir nichts machen, wird das Auerhuhn aufgrund der klimatischen Veränderungen aussterben.

Die Menschen, die in der Nähe der geplanten Standorte wohnen, befürchten auch Auswirkungen auf ihre Gesundheit, etwa durch Lärm oder Infraschall. Reichen 800 Meter Abstand zur Wohnbebauung wirklich aus? In Bayern gelten strengere Abstandsregeln.

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Wir haben die Abstandsregelung ja noch mal von 700 auf 800 Meter erhöht. Der Abstand wurde so gewählt, dass Auswirkungen auf die Bevölkerung nicht mehr signifikant sind. So zeigen etwa Studien zum Infraschall, dass die Belastung durch Flugzeuge und Straßenverkehr deutlich größer ist als durch Windräder. Ich denke, mit den 800 Metern, die jetzt gelten, haben wir den Schutz der Bevölkerung schon sehr im Blick gehabt. Würden wir den Abstand noch weiter erhöhen, blieben in unserem dicht besiedelten Raum nicht mehr viele Standorte übrig. Die höheren Abstandswerte in Bayern dienen wohl auch weniger dem Schutz der Bevölkerung. Die Landesregierung wollte dort eben keine Windkraft haben.

In vielen Gemeinden gibt es die Sorge vor einer sogenannten „Umzingelung“ durch Windräder. Auch der Bürgermeister Ihrer Heimatstadt Murrhardt, Armin Mößner, warnt davor. Können Sie das nachvollziehen?

Ich versuche ja, möglichst viele Sorgen meiner Bürgerinnen und Bürger und auch meiner Bürgermeister nachzuvollziehen. Beim Thema Windkraftausbau würde ich mir allerdings wünschen, dass man eher die Chancen als die Ängste in den Vordergrund rückt. Die Angst vor einer Umzingelung kommt aus meiner Sicht daher, dass es hier eben noch keine Windräder gibt und die Leute den Anblick nicht gewohnt sind. Wenn ich etwa in den Kreis Schwäbisch Hall fahre, wo es heute schon deutlich mehr Windräder gibt, fühle ich mich da auch nicht umzingelt.

22 Länder, darunter Großbritannien, Frankreich und die USA, wollen als Beitrag zum Klimaschutz bis 2050 die Produktion von Atomstrom verdreifachen und neue Kernkraftwerke bauen. Deutschland hat hingegen im vergangenen Jahr die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. War dies mit Blick auf den Klimaschutz nicht eine Fehlentscheidung?

Ich glaube, es war die richtige Entscheidung. Nach Fukushima hat die Politik beschlossen: Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie, die wir so nicht mehr bei uns haben wollen. Das waren übrigens nicht die Grünen, sondern die Regierung Merkel. Wenn so eine lange Linie beschlossen ist, sollte man auch daran festhalten. Auch mit Blick auf die Erzeugungskosten ist das aus meiner Sicht sinnvoll: Diese werden bei Atomstrom je nach Studie auf das Doppelte oder mehr beziffert. Und dann gibt es ja auch noch die Endlagerproblematik. Ich glaube nicht, dass die Zustimmung für ein Atommüllendlager im oberen Murrtal in der Bevölkerung größer wäre als zum Bau von Windkraftanlagen.

Das Interview führte Kornelius Fritz.

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Erstellt:
23. Januar 2024, 06:00 Uhr

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