Außerordentliche Leistungen in einer ungewöhnlichen Zeit

Handball-Drittligist HC Oppenweiler/Backnang bewegt sich in der Aufstiegsrunde am Maximum, entwickelt sich zur großen positiven Überraschung und stürmt am Ende fast in die zweite Liga.

Marcel Lenz verwandelte in den letzten fünf Spielen der Aufstiegsrunde 21 Siebenmeter in Folge. Mit 102 Toren in 12 Saisonpartien war der nervenstarke Außen auch treffsicherster HCOB-Schütze.

© Alexander Becher

Marcel Lenz verwandelte in den letzten fünf Spielen der Aufstiegsrunde 21 Siebenmeter in Folge. Mit 102 Toren in 12 Saisonpartien war der nervenstarke Außen auch treffsicherster HCOB-Schütze.

Von Alexander Hornauer

Es war eine außergewöhnliche Handballrunde für den HC Oppenweiler/Backnang. Eine, die in der regulären Drittliga-Saison gut begann, dann aber lange auf Eis lag. Als sich die Chance bot, in einer Aufstiegsrunde in den Spielbetrieb zurückzukehren, gaben die Murrtaler nicht nur entschlossen ihre Meldung ab. Sie zeigten auch, dass sie die spielfreie Zeit bestens genutzt hatten. Das Team von Coach Matthias Heineke war die Überraschungsmannschaft dieser Serie, scheiterte im Kampf um den Zweitliga-Aufstieg erst in den Finalrundespielen am Favoriten VfL Eintracht Hagen.

Die Ausgangslage I: Der HCOB hatte in der Vorsaison, coronabedingt wurde sie nach 25 von 30 Runden abgebrochen, Rang sechs erreicht. Die beste Platzierung seit dem Aufstieg im Jahr 2015. Das Team wurde mit Torwart Jürgen Müller auf entscheidender Position gezielt verstärkt. Aus Horkheim kam Aufbauspieler Tobias Gehrke. Allerdings zog er sich in der Vorbereitung einen Kreuzbandriss zu, konnte nicht mitmachen. Aus der Jugend von Frisch Auf Göppingen wechselte Isaiah Klein mit Zweifachspielrecht ins Murrtal. Aus dem eigenen Nachwuchs rückten Eric Bühler und Lukas Rauh auf. Zielsetzung: das Ergebnis aus dem Vorjahr bestätigen, vielleicht übertreffen. Trainer Matthias Heineke sagte schon zu diesem Zeitpunkt: „Wir stehen vor einer Saison mit sehr vielen Unwägbarkeiten. Niemand weiß, was passiert.“ Er hatte die Lage richtig eingestuft.

Start in die reguläre Saison: Im Spätsommer hofften alle, die Saison durchzubringen. Auch beim DHB war man optimistisch, startete mit 18er-Staffeln. Im Idealfall hätte es 34 Spieltage gegeben. Es wurden nur fünf, für Oppenweiler/Backnang gar nur drei: ein Auftaktsieg bei der HG Oftersheim/Schwetzingen, ein Heimsieg vor coronabedingt nur 131 Zuschauern gegen den HC Erlangen II, eine Niederlage in Willstätt. Vor dem vierten Spieltag gingen die Fallzahlen nach oben. Die Partie gegen Blaustein wurde wie die bei der TGS Pforzheim abgesagt. Dann war komplett Schluss. Und lange wusste keiner, wie es weitergehen soll.

Zeit des Wartens: Aus Berlin kam die Ansage, dass der Spitzen- oder Leistungssport weiter trainieren und spielen darf. Trotzdem kam der Spielbetrieb in der Dritten Liga lange nicht in die Gänge. Der HCOB nutzte die Zeit zum Training. Schnelltests vor den Einheiten gehörten zum üblichen Bild. Und es ging alles gut: nicht ein Coronafall im Team, noch nicht mal ein positiver Schnelltest. Die Schwaben nutzten die Trainingseinheiten für die Weiterentwicklung. Aber auch die Sehnsucht nach Spielen wuchs.

Matthias Heineke wies seinem Team einen guten Weg durch die schwierige Runde. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Matthias Heineke wies seinem Team einen guten Weg durch die schwierige Runde. Fotos: A. Becher

Die Stunde der Spieltechniker: Irgendwann war klar, die normale Runde würde nicht mehr fortgeführt werden. Die Spieltechniker im Verband überlegten sich Alternativen und trafen sich zu Online-Meetings mit Vereinsvertretern. Es lief auf drei Optionen hinaus: gar nicht mehr spielen, dafür entschied sich zum Beispiel Kornwestheim. An einer Pokalrunde teilnehmen, das wollten beispielsweise Plochingen und die beiden Pforzheimer Klubs. Und Variante drei bot die maximale Herausforderung: für die Aufstiegsrunde melden. Im Murrtal beriet man sich, dann stieg weißer Rauch auf: Wenn schon, denn schon. Wir starten in den Spielen um den Aufstieg zur zweiten Liga – darauf hoffend, dass diese Runde dem Team nicht nur in seiner sportlichen, sondern dem Verein als Ganzes in seiner Weiterentwicklung helfen würde.

Die Ausgangslage II: Der HCOB bestritt gute Vorbereitungsspiele (Balingen II, Rhein-Neckar Löwen II) und ein schlechtes (SG Pforzheim/Eutingen). In der Vorrundengruppe B (Süd) war Platz vier das angestrebte Mindestziel, weil mit dem Einzug in die Zwischenrunde verbunden.

Die Vorrunde: Im Auftaktspiel feierte Oppenweiler/Backnang den Sieg über den alten Rivalen TSB Horkheim (33:30), das war emotional wichtig. In Runde zwei gab es auswärts ein Remis bei der HSG Hanau (24:24). Im Nachhinein ein verschenkter Punkt, aber ebenfalls im Nachhinein konnte man das auch verkraften. Im Heimspiel gegen den TV 08 Willstätt hielten sich die Murrtaler schadlos, sie siegten 39:31. Die Niederlage beim VfL Pfullingen (24:32) schmerzte, hatte aber den positiven Aspekt, dass alle den Fokus schärften. Im richtungsweisenden Duell mit TuS 04 Dansenberg gab es in der Woche drauf ein 31:25. Damit war der Einzug in die Zwischenrunde vor der finalen Partie bei der HSG Krefeld zu 99,75 Prozent sicher – und darüber hinaus bot sich am Niederrhein die Chance zum Gruppensieg. Die nutzte ein bärenstark aufspielender HCOB, wies den vermeintlichen Favoriten durch ein 38:33 in die Schranken und war Erster.

Die Zwischenrunde: Pünktlich vor den Entscheidungsspielen kam Nachricht aus Köln. Der HC Oppenweiler/Backnang würde im Falle eines sportlichen Aufstiegs auch hochdürfen – der Lizenzantrag war von der Handball-Bundesliga positiv beschieden worden. Sportlich ging es gegen den Nord-Vierten TuS Vinnhorst. Schon im Hinspiel schenkten sich beide Teams nichts, die Hannoveraner legten ein Tor Vorsprung vor – 26:27. Aber beim HCOB wusste man: in der Gemeindehalle Oppenweiler bestand eine Chance. Lang liefen die Gastgeber einem Rückstand hinterher, dann drehte sich das Momentum. Sekunden vor dem Abpfiff traf Marcel Lenz per Siebenmeter zum 31:29, die Finalrunde war erreicht.

Wochen der Entscheidung: In der konnte die Hürde aber nicht höher sein. Mit dem VfL Eintracht Hagen wartete eine durchweg mit Profis besetzte Mannschaft auf die Schwaben. Die Rollen waren klar verteilt. Oppenweiler/Backnang lieferte im Hinspiel eine sehr gute Leistung ab, aber Hagen eben auch – und so hieß es nach den ersten 60 Minuten 31:26 für den VfL. Vor dem Rückspiel gab es eine gute Nachricht: 134 Zuschauer durften zum alles entscheidenden Duell in die Gemeindehalle. Wieder hielt der HCOB gegen Hagen lange Zeit sehr respektabel mit, beim 23:22 nach rund 40 Minuten konnte man kurzfristig auf das Wunder hoffen, doch Hagen schaffte schnell wieder klare Verhältnisse und siegte 39:33. Die Eintracht steigt auf. Im Murrtal war man ein bisschen enttäuscht, vor allem aber auch sehr stolz auf das Geleistete.

Außerordentliche Leistungen in einer ungewöhnlichen Zeit

Die Erkenntnisse: Trainer Matthias Heineke hat ein gutes Händchen, führte die Mannschaft geschickt und clever durch eine schwierige Runde. Wichtig ist dabei das harmonische und gut funktionierende Zusammenspiel mit Co-Trainer Sebastian Frank, dem sportlichen Leiter Jochen Bartels und Teammanager Jonas Frank. Auf dem Feld überzeugten die erfahrenen Spieler mit konstant guten Leistungen, aber auch junge nachrückende Akteure zeigten eine sehr gute Form und klare Entwicklungen. Beispiel eins aus dem Kreis der Routiniers: Die Kaltschnäuzigkeit, mit der Marcel Lenz von außen und vom Siebenmeter seine Chancen nutzt, war in der Aufstiegsrunde von enormer Qualität. In den letzten fünf Spielen der Aufstiegsrunde verwandelte er 21 Strafwürfe in Serie. Beispiel zwei aus dem Zirkel der Talente: Timm Buck übernahm Verantwortung, gefiel als Torschütze, setzte aber auch seine Nebenleute gut in Szene, ein sehr positiver Trend.

Und sonst? Die Aufstiegsrunde wurde zum Internetevent. Weil keine Zuschauer in die Halle durften, organisierten die Vereine Livestreams. Und so sehr sich alle wieder auf die Fans bei den Spielen freuen, sind diese Streams für die Zukunft eine Option. Denn offenbar wurden sie so gut angenommen, dass die Klubs, der DHB und Sportdeutschland.TV zumindest für die nächsten beiden Drittliga-Runden eine Zusammenarbeit vereinbart haben. Ein ebenfalls enorm wichtiger Aspekt: Der HCOB konnte sich auch dank des Streams seinen Fans in der sonst eher traurigen Coronazeit zeigen. Bei den Fans schuf der Sport am Bildschirm trotz räumlicher Distanz ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

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Erstellt:
15. Juni 2021, 06:00 Uhr

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